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Trendsportart Slacklining:Der moderne Seiltanz

Ein schlappes Nylonband, zwischen zwei Bäume oder auch Felstürme gespannt: Die neue Trendsportart Slacklining findet immer mehr Anhänger.

Takis Würger

Als Johannes in den Abgrund schaut, fangen seine Beine an zu zittern. Der 16-Jährige sitzt auf einem Nylonband, das er über einen Felsspalte irgendwo im griechischen Meteora-Gebirge gespannt hat; Olszewski will darauf laufen. Unter ihm 400 Meter Luft, vor ihm 45 Meter Todesangst. Olszewski atmet tief ein, spürt den Wind, lauscht seinem Herzschlag.

Er schließt die Augen. "Einswerden mit dem Seil", nennt er das. Nach ein paar Minuten steht er auf. Sein Fuß zittert noch ein wenig, als er ihn über das Nylon nach vorne schiebt. Schritt für Schritt tastet sich Olszewski über das Band bis auf die andere Seite der Schlucht. "Ich hatte noch nie solche Angst", sagt er hinterher "es war der Hammer".

Johannes Olszewski aus Ottobrunn bei München begeistert sich für eine moderne Form des Seiltanzes, das Slacklining. Mit diesem Hobby ist Olszewski nicht allein, doch über Schluchten spannen die wenigsten ihre Seile: Die meisten Slackliner üben in Parks auf Gurten, die in Kniehöhe zwischen zwei Bäume hängen. "Slack" ist englisch und bedeutet lasch oder locker, "Line" heißt übersetzt Band.

Im Gegensatz zum Seiltänzer, der über ein straffes Stahlseil balanciert, laufen Slackliner über einen elastischen Riemen aus Nylon. Anfänger sehen darauf aus wie volltrunken und machen schnell den Flattermann, Profis dagegen springen auf dem Band Salti und erreichen angeblich einen Zustand der Meditation.

Erfunden haben diese Disziplin ein paar Kletterer im kalifornischen Yosemite-Nationalpark in den 80er Jahren. Immer wenn es regnete und die Felsen zu rutschig zum Klettern waren, vertrieben sie sich die Zeit damit, auf Tauen und Absperrketten zu balancieren. Irgendwann spannten die Kletterer auch bei Sonnenschein ihre Bänder - so wurde Slacklining zu einer eigenen Sportart.

Olszewski machte seine ersten Schritte auf der Slackline vor fünf Jahren in einer Kletterhalle. Er schaffte es nicht, die Balance zu halten und fiel immer wieder auf die Matte. Doch der Ehrgeiz trieb ihn weiter. Heute kann er sich auf dem Seil hinlegen und einen Rückwärtssalto springen. Mittlerweile traut er sich auch auf sogenannte Highlines, wie vor zwei Wochen im Meteora-Gebirge.

Die Schlucht, über die er balancierte, war so tief, das der Eiffelturm in ihr Platz gehabt hätte. Olszewskis einzige Sicherung war ein Gurt um seine Hüfte, den er mit einem Karabiner an der Slackline befestigt hatte. Als er den Abgrund überquert hatte, fühlte er sich, als würden Glückshormone und Adrenalin in seinem Körper Salsa tanzen. "Mit Worten lässt sich das nicht beschreiben, so krass ist das."

Slacklining in der Schule

Andreas Kroiß kennt dieses Gefühl. Während seines Sportstudiums hat er eine wissenschaftliche Arbeit über die neue Trendsportart geschrieben. "Slacklining ist eine Herausforderung für Körper und Geist - und es macht irre viel Spaß", sagt er. Kroiß arbeitet als Mathematik- und Sportlehrer in München, nebenher jobbt er in einer Kletterschule.

Sowohl im Gymnasium als auch in der Kletterschule bringt er seinen Schülern das Slacklinen bei. "Das schult die Koordination und stabilisiert die Muskulatur." Die Muskeln seien auch der Grund dafür, dass Anfänger so stark wackeln, wenn sie die ersten Schritte auf der Line machen: Sie sind die Schwingungen nicht gewohnt und versuchen automatisch auszugleichen. "Aber man passt sich schnell an und schafft dann auch die ersten Schritte", sagt Kroiß.

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Slacklining-Festival

Dass Slacklining immer beliebter wird, freut natürlich die Anbieter des Materials. Vor zehn Jahren musste man sich seine Bänder noch selbst basteln, heute gibt es in Deutschland über ein Dutzend Firmen, die sich auf Slacklining spezialisiert haben. Einer der Hersteller sagt, dass sich die Nachfrage in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht habe.

Sogar ein Slackline Festival gibt es mittlerweile. In Chemnitz findet diesen August das dritte "Slackfest" statt. Der Organisator Christian Köhler kündigt eine 100 Meter hohe Highline an und erwartet über 200 Besucher. "Das wird wie ein Rockfestival, nur dass statt Musik Slacken auf dem Programm steht - ein Mordsspaß", sagt er.

Der Spaß spielt bei der Arbeit von Stefan Sailer eine geringe Rolle. Er arbeitet als Ergotherapeut in der Schweiz und nutzt die Slackline, um gelähmten Patienten zu helfen. Menschen, die durch einen Schlaganfall oder ein Schädelhirntrauma nicht mehr richtig gehen können, stellt er auf das Schlappseil. "Wir haben dadurch die Möglichkeit, Muskeln zu aktivieren, die gelähmt sind", sagt Sailer.

Das Training auf der Slackline führe dazu, dass Patienten aufrechter stehen und besser gehen können. Zusammen mit einem Kollegen hat Sailer eine Diplomarbeit über den Einsatz der Slackline in der Ergotherapie geschrieben und dessen Wirksamkeit untersucht. "Die Erfolge sind beeindruckend", sagt er.

Doch es gibt auch Gegner des Trendsports. Die Bayerische Schlösserverwaltung etwa, die für den Englischen Garten zuständig ist, hätte nichts dagegen, wenn Slacklining ein Zeitvertreib von kalifornischen Kletterern bleiben würde.

Denn die Schlaufen, mit denen die Bänder an die Bäume gegurtet sind, quetschen der Rinde den Saft ab. "Bei jungen Bäumen kann das zu irreparablen Schäden führen", sagt Jan Björn Potthast, Sprecher der Schlösserverwaltung. "Wir überlegen uns gerade Maßnahmen, wie diese seltsame Sportart bekämpft werden kann."

Johannes Olszewski stört das kaum. Er spannt seine Bänder meistens im eigenen Garten - oder irgendwo in den Bergen. Und da kämen die Ordnungshüter eh nicht hin, sagt er. "Es sei denn, sie fangen selbst an zu slacken."

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SZ vom 03.06.2009/bre
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