Süddeutsche Zeitung

Trendsport:Gateball erobert die Seniorenwelt

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Wer sagt, dass Alte keinen Sport treiben können? Aus Japan kommt ein neuer Thrill für Senioren: Gateball. Sogar eine WM gibt es schon.

Christoph Neidhart

Kichern dringt vom kleinen Sportplatz hinter dem Kindergarten. Auf den Bänken liegen Trainingsjacken und Taschen, drei alte Frauen machen Pause. Zehn Senioren spielen auf dem Hartplatz Gateball, eine Frau ist Schiedsrichterin. Der Gateballclub ,,Amica'' trainiert - wie jeden Werktagvormittag.

Gateball ist die Sportart, die in Japan eigens für den Lebensabend erfunden worden ist. Der älteste Amica-Spieler an diesem Morgen ist 88 - und stolz auf seine Jahre. Er hört nicht mehr gut, deshalb wiederholt er sein Alter zweimal. Zwei Mitspielern haben Hirnschläge die Sprache geraubt, aber sie verständigen sich mit Zeichen, nach geglückten Spielzügen auch mit Urlauten.

Gateball hat sich zu einem globalen Trendsport entwickelt. Sogar eine Gateball-WM gibt es. Weltweit spielen acht Millionen Menschen Gateball, sechs Millionen von ihnen in Japan, größtenteils Rentner. Mit einem langen Hammer, wie für Crocket, schlagen die Gateball-Spieler rote und weiße Kugeln über ein Spielfeld, auf dem drei kleine Tore stehen.

Taktik und Teamgeist

Fünf Spieler bilden eine Mannschaft; jede Kugel muss - in der richtigen Reihenfolge - durch die drei Tore rollen, was jedes Mal einen Punkt gibt. Das Spiel ist spannend, weil die Mannschaften nicht nur versuchen, möglichst rasch Punkte zu machen, sondern vor allem mit ihren Kugeln die Spielzüge der Gegner zu stören.

Geschicklichkeit, Taktik und das Team sind für Gateball wichtiger als Kraft und Ausdauer, und es geht nicht um Geschwindigkeit. Aber die Amica-Spieler sind mit vollem Ernst dabei. Einer der alten Herren schlägt ab; sein Swing verrät, dass er einst Golf gespielt hat. Er hoppelt seiner Kugel nach; überhaupt laufen die alten Leute auf krummen, altersmüden Beinen mit heiterer Leichtigkeit übers Spielfeld. Die Freude am Spiel lässt sie ihre Beschwerden offenbar vorübergehend vergessen.

Die Kugeln sind nummeriert, die Spieler stecken sich die Nummer jener Kugel an die Jacke, die sie spielen. Am Unterarm tragen sie einen kleinen Zähl-Computer, mit dem sie die Punkte registrieren. Sie tragen Sportschuhe und Kleider, wie sie sie früher wohl zur Arbeit getragen haben: der Mann mit dem Swing ein gebügeltes weißes Hemd, mehrere Frauen Sonnenhut, wie er zur Feldarbeit gehört.

Bloß nicht "boke"

Gateball ist mehr als Spiel, Leidenschaft oder Sport. Die Japaner werden von klein an dazu erzogen, niemandem zur Last zu fallen. Die größte Angst älterer Menschen ist es, ,,boke'' zu werden, wie sie sagen - ,,boke'' übersetzt sich am ehesten mit senil und pflegebedürftig. Um möglichst lange fit zu bleiben, damit sie sich selber versorgen können, sehen Japans Rentner sich in der Pflicht, altersgemäß aktiv zu bleiben.

Das fällt leichter, wenn sie eine Aufgabe haben. Wenn sie nicht nur die Gesellschaft brauchen, sondern die Gesellschaft auch sie. Dazu suchen sie Freiwilligen-Aufgaben in der Gemeinde, von der Gartenarbeit bis zum Japanisch-Unterricht für Ausländer.

Und da die japanische Gesellschaft sich klar in Alterskategorien strukturiert, empfinden die meisten Alten es als selbstverständlich, in die leichten Pflichten und Beschäftigungen dieser Lebensphase hineinzuwachsen. Dazu gehört auch Gateball, die Sportart an der Schwelle zur Gebrechlichkeit, die diese möglichst weit hinausschieben soll.

Freie Gefühle

Als es dem Spieler mit der Nummer sieben mit einem perfekten Schlag gelingt, eine gegnerische Kugel wegzustoßen, machen zwei Frauen quietschend einen kleinen Luftsprung. Sähe man nicht hin, man dächte, sie seien glückliche Kinder. Auch dies gehört zur japanischen Auffassung vom Alter.

Während Erwachsene sich an einen steifen Benimm halten müssen, dürfen Kinder und Alte ihren Emotionen freien Lauf lassen. Am Rande des Sportplatzes taucht eine gebrechliche Frau mit Rollator auf, begleitet von einer Pflegerin: Die Gateball-Spieler winken ihr zu. Sie gilt als alt, ein bisschen ,,boke''. Solange man noch Gateball spielt, ist man das nicht.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2007
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