Süddeutsche Zeitung

Trend:Warum lieben Kinder Schleim so sehr?

Glibber in Döschen macht so ziemlich jedes Kind glücklich. Dafür gibt es eine wissenschaftliche Erklärung.

Von Rike Drust

Es liegt in der Natur des Schleims, uneindeutige Gefühle auszulösen. Einerseits ergibt er eine prima radio­aktive Masse beim Legospielen, und er kann herrliche Furzgeräusche machen, wenn er zurück in die Dose gequetscht wird. Andererseits sammelt er Fussel, sobald man ihn an die frische Luft lässt, und hinterlässt ätzende Flecken auf Tischen, Wänden und Sofas - das kann schon mal Ärger geben.

Die Spur des Schleims durch die Kinderzimmer der Welt beginnt in den 70er-Jahren (wer jetzt ganz ­leise ist, hört irgendwo einen Fidget Spinner schluchzen). Als Mattel damals giftgrüne glibberige Masse in kleine giftgrüne Plastikmülltonnen füllte und als "Slime" verkaufte, lag die Betonung eher auf eklig: Um ganz sicherzugehen, dass die Kinder "Bäh!" riefen, während sie dem Hersteller das Produkt aus den Händen rissen, waren manchmal Aug­äpfel, Würmer oder Insekten drin. Auf keinen Fall reinlangen, aber unbedingt reinlangen!

Die ganze Ambivalenz der Substanz kommt am besten in der Szene im Film "Ghostbusters" zur Geltung, in der Bill Murray nach dem Angriff vom später als Slimer bekannten Geist angewidert feststellt: "Er schleimte mich voll", und Dan Aykroyd begeistert ruft: "Das ist ja toll!".

Neurologen ahnen mittlerweile, was den Unterschied macht: Menschen, die sich im Kontakt mit Wabbelmasse ex­trem wohlfühlen, erleben dabei vermutlich eine sogenannte "Autonomous Sensory Meridian Response", kurz ASMR. Der Begriff bezeichnet ein anhaltendes beruhigendes Kribbeln, das vom Kopf die Wirbelsäule entlangläuft und durch Geräusche wie Wispern oder Ploppen ausgelöst wird oder durch bestimmte Berührungen.

Kinder scheinen für ASMR besonders empfänglich - was erklärt, warum sie sich zum Einschlafen gern etwas vorsingen lassen, die Wange an das Gesicht ihrer Erwachsenen pressen oder an ihnen herumzuppeln. Es erklärt, warum sie, wenn sie älter werden, gern glibbern und pflatschen.

Schleim selber machen

50 Gramm Bastelkleber (wasserlöslich) erst mit einem Glas warmem Wasser mischen, dann Lebensmittelfarbe und/oder Glitzer einrühren. Kleine Mengen Kontaktlinsen­flüssigkeit zugeben, bis die Masse nicht mehr an der Schüssel klebt. Der Schleim hält sich in einer verschlossenen Dose mehrere Tage.

Abgesehen davon ist Schleim heute so glamourös wie nie. Während die Erwachsenenwelt schlief, hat er in den sozialen Medien eine Art Makeover erlebt. 2016 stellten thailändische Teenager Schleim selbst her und fügten statt Würmern attraktive Zutaten wie Glitzer, Pastellfarben und Rasierschaum hinzu. Sie filmten, wie sie mit dem glitzernden, fluffigen, fabelhaften Schleim spielten, luden die Videos bei Instagram hoch: voilà, Wellness für die Augen.

Mittlerweile gibt es nordame­rikanische Schleim-Accounts auf Instagram mit mehreren Millionen Followern. Die erfolgreichsten Macher können dank Schleim ihr College selbst bezahlen, ihre Eltern in den frühzeitigen Ruhestand schicken oder Talkshow-Größen wie Jimmy Kimmel erklären, was es mit dem Internet­-Phänomen auf sich hat.

Wer das wirklich verstehen will, dem sei empfohlen, Schleim selbst herzustellen. Glitzernd fließt er um die Hände. Er fühlt sich kühl an, und es ist herrlich, ihn auseinanderzuziehen und zusammenzumatschen. Im Gegensatz zu Knete hat Schleim keine Erwartungen, Schleim will nichts werden, er ist schließlich schon was: beliebt und schön und entspannend.

ASMR, das stellt man dann fest, funktioniert mit Schleim auch für Erwachsene bestens, und natürlich gibt es dafür auch Videos. Darin schneiden Frauen Schleim durch, ziehen ihn lang, kneten ihn und stecken die Finger rein. Millionen von Menschen gucken diese Videos zum Einschlafen oder Entspannen. Die Schönheit des Schleims hat viele Formen. Kinder wissen das schon lange, Erwachsene kommen der Sache gerade erst auf die Spur.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3930127
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche Zeitung Familie/bavo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.