Trend der Saison: Penner-Chic:Ganz unten

Das musste ja so kommen: Nachdem Junkies, Punker und Zigeuner ausgeweidet sind, hat die Mode den Stadtstreicher als Inspirationsquelle entdeckt.

Verena Stehle

Nanu, was haben denn diese Vogelscheuchen auf der italienischen Vogue zu suchen, wo sonst nur Supermodels herumlungern? Die Chefin des Luxusmagazins, Franca Sozzani, würde jetzt mit ihren Designer-Stöckelschuhen auf den Boden stampfen und schimpfen: Mammamia, das sind doch keine Vogelscheuchen. Das sind Obdachlose!

Mode; Stadtstreicher; Penner-Chic; Patrick Mohr; Getty Images

Für die Berliner Fashion Week schickte Patrick Mohr Obdachlose auf den Laufsteg.

(Foto: Foto: Getty Images)

Es ist so wahr wie elend: Die Mode hat den Stadtstreicher als Idol ausgetrommelt. Und ja, es musste so weit kommen. Alle anderen Randgruppen, die die Mode herrlich inspirierend findet - Junkies, Punker, Zigeuner -, sind modisch längst ausgeweidet. Und wer könnte in dieser Weltkrise mehr Hoffnung stiften als der Obdachlose: überlebt auch ohne Dach über dem Kopf und ohne Geld in der Tasche.

Die italienische Ausgabe der Vogue hat ihren Hoffotografen Steven Meisel gleich für drei verschiedene Penner-Visuals beauftragt. Und auch sonst sieht es im Modebetrieb mancherorts aus wie unter der Wittelsbacher Brücke in München. Stadtstreicher werden als Laufstegmodels gebucht (bei der Show des deutschen Designers Patrick Mohr), in Fotostrecken - wie der aktuellen W - sind Mädchen auf Parkbänke drapiert, zugedeckt mit Designerpapiertüten.

Neuerdings sympathisieren auch Szene-Snobs mit Obdachlosen. In einem TV-Interview erklärte Erin Wasson, amerikanisches Model und Designerin: "Die ärmsten Leute ziehen die verrücktesten Styles aus dem Abfall!" Auch sie selber macht auf Gammelschwester. Shampoo? Pfh. Ihre T-Shirts? Wie aus dem Müllcontainer von Bergdorf Goodman. Immerhin hat Erin Wasson ein Dach über dem Kopf - ihr New Yorker Apartment hat ungefähr den Grundriss vom Flughafen Tegel.

Armut als Stilmittel

Selten wurde ein so romantisches Bild gezeichnet von Menschen, die aus dem Einkaufswagen leben und nach allem anderen riechen als nach "Coqui-Coqui". Auch der New Yorker Straßenmodefotograf Scott Schuman stellte jetzt den Schnappschuss eines Penners mit blauen Schuhen und blauer Brille in sein Blog "The Sartorialist" - zwischen all die perfekten Park-Avenue-Elfen - und lobte seinen Stilwillen.

Überhaupt soll es unter Obdachlosen nationale Stildifferenzen geben: John Galliano verglich den Pariser Clochard (großer Hut, geschulterter Mantel) schon vor zehn Jahren mit einem Impresario. Und New Yorker Stylisten sagen, ihre Obdachlosen sähen aus wie vom Laufsteg des japanischen Avantgarde-Designers Yohji Yamamoto. Äh ja.

Das Vogue-Cover ist eine gute Vorlage, wie die Luxuskundin den bettelarmen Chic leicht selber machen kann: dunkler Bronzepuder, Kleid mit der Schere demolieren, an was Schlimmes denken. Ja, es wäre nett, jetzt zu schreiben: "Das Titelbild ist Sinnbild dafür, wie schäbig sich die Mode in Krisenzeiten vorkommt." Aber am Ende will sich die Mode wieder nur den eigenen Blechnapf mit Münzen vollhäufen. Sie ist auch nicht nett. Und schon gar nicht die Heilsarmee.

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