"Beute"-Videos bei Youtube:Kanal Kajal

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Auf Youtube präsentieren junge Frauen stolz ihre Shopping-Beute. Sie filmen frisch erstandene Kleidung und Kosmetik, geben Schmink- und Einkaufstipps. Mit solchen "Hauling"-Videos erreichen sie Hunderttausende Zuschauerinnen. Einige sind mittlerweile so erfolgreich, dass Markenhersteller sie gezielt ausstatten.

Eva-Maria Geilersdorfer

Lamiya steht an der Kasse einer Filiale der Modekette H&M, die Warteschlange zieht sich bis um die Ecke. Es ist stickig und voll, aber Lamiya ist glücklich. Ihre Ausbeute kann sich sehen lassen: ein Rock, ein Gürtel, zwei Cardigans. An ihrem Handgelenk baumeln weitere Tüten - von Zara, Mango, Buffalo - drei Paar Schuhe, Jeans, Oberteile. "Nur Schnäppchen", wird die 24-Jährige später sagen. Dann, wenn sie in ihrem Zimmer sitzt und die Kamera einschaltet. Zwölf Minuten lang wird sie jedes Teil einzeln aus den Tüten holen, sie wird erzählen, wie viel es gekostet, wo sie es gekauft hat und wie sie es kombinieren will. 77.000 Menschen werden ihr dabei zusehen. 77.000, deren Gesichter Lamiya nie gesehen hat. Sie alle sind Teil der Beauty-Community auf YouTube, Lamiya alias "The Dorient" ist eine ihrer Gurus.

Wer auf der Internet-Plattform nach "Hauling" sucht, findet dort nicht nur Lamiyas Videos, sondern unzählige ähnliche Filmchen. Der Begriff leitet sich ab vom englischen Wort "haul", Beute. Mädchen, die ihre Einkäufe in die Kamera halten und dabei über Mode oder Kosmetik reden - das ist ein Trend aus den USA, der auch hierzulande seit einiger Zeit einen regelrechten Boom erfährt. Hunderttausende Fans folgen den Vorkäuferinnen und ihren "Beauty Channels", YouTube-Kanäle, auf denen sie nicht nur "Hauls" veröffentlichen, sondern ein ganzes Repertoire an Schönheitsvideos: In "Tutorials" werden Schmink- und Pflegetipps gegeben, in "Reviews" Kosmetikprodukte bewertet, in "Tags" Fragen beantwortet wie "Was ist deine Lieblingsmarke?".

Entscheidend ist, dass die Vorkäuferinnen die Bezugsquelle der Produkte nennen, damit die Fangemeinde weiß, wo sie hingehen muss. Umsetzbarkeit ist alles. Deshalb präsentieren die YouTuber auch selten exklusive Ware: Die gezeigten Kosmetika bekommt der Zuschauer meist in der nächsten Drogerie, Kleidungsstücke tragen in vielen Fällen das Logo bekannter Massenmode-Hersteller und sind damit auch für Teenager erschwinglich. Das Mädchen von nebenan kann nun im Laden um die Ecke einkaufen, um auszusehen wie das Mädchen im Web - und damit wie eine ganze Generation von Girlies.

Die Zahl der Video-Anbieter ist längst unüberschaubar, doch wer eine wirklich große Fangemeinde im YouTube-Beautysektor hat, sieht entsprechend aus: Lamiya zum Beispiel ist groß und schlank, mit ihren langen braunen Haaren und den vollen Lippen erinnert sie an Disneys Pocahontas. Sie dreht seit zwei Jahren YouTube-Videos, mehr als zwei Millionen Mal wurde ihr Kanal bisher aufgerufen, mehr als 66.000 haben ihn kostenlos abonniert. Was aussieht wie eine billige Verkaufsshow im Netz, sei nur "ein Austausch unter Freundinnen", sagt die 24-Jährige: "Die Videos befriedigen Neugierde. Viele wollen wissen, was die andere kauft, wie sie sich schminkt, welche Produkte sie verwendet." Der Großteil ihrer Zuschauer sind Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren, der Rest Frauen bis etwa Mitte 30. Auffallend ist, dass auch immer mehr Männer die Community für sich entdecken.

Die Schweizerin Julia alias "MissChievous" - dunkle Haare, ein Gesicht wie ein Porzellanpüppchen - zählt zu Europas erfolgreichsten "Beauty-Gurus", so nennen sich die Vorkäuferinnen. Julia hat Fans auf der ganzen Welt, dreht Schönheitsvideos auf Englisch und Deutsch. Mehr als 370.000 Mädchen haben ihren Kanal abonniert, der schon knapp acht Millionen Mal aufgerufen wurde. "Die Leute wollen sich nicht auf Werbung verlassen. Ich sage meine ehrliche Meinung zu einem Produkt. Und ich bin natürlich, kein Model. Das kommt an", sagt Julia, die ihr Alter nie verraten würde. Berufsgeheimnis. 20 bis 30 Stunden pro Woche arbeitet "MissChievous" an ihren Videos, antwortet auf Fragen oder bearbeitet ihre Fanpost - für viele Mädchen sind beliebte YouTuber wie Julia oder Lamiya Vorbild, für manche gar eine Art Star. Das weckt auch Neider: Beleidigungen seien ebenfalls an der Tagesordnung, sagt Lamiya.

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