Aus Ihren Worten spricht jahrelanges Leiden als Familienmitglied eines Süchtigen. Alleine die Wortneuschöpfung "Sucht-Monster" lässt mich zusammenzucken und erinnert mich an "Sprech-Zwerg" oder andere niedliche Eigenkreationen von Betroffenenkreisen, in denen viel, wenn nicht gar zu viel über eine Problematik geredet wurde, bis hin zu einer Sprache, die sich nicht von dem Problem antizipiert, sondern es immer in sich trägt. Dass Ihr kleiner Bruder jetzt so verliebt ist, dass er mit 50 noch mal heiraten will, sollten Sie aber erst einmal als ein kleines, schönes Wunder für sich nehmen. So beschissen ist sein Leben ja dann doch nicht gelaufen, wenn er auf die alten Tage noch mal so viel Utopie wagt wie eine Ehe. Die Entscheidung trifft er übrigens allein. Und sein Wunsch, Sie als Trauzeuge einzubinden, ist ja auch eher ein Signal der Verbundenheit als die Frage, ob Sie nach einem tiefen Background-Check mit der Ehe einverstanden sind. Handeln Sie als jemand, der den Bruder liebt und unterstützt. Aber vielleicht hilft es, wenn Sie ihm einen Wunsch mit auf den Weg geben: Ich hätt` dich gern noch ein paar Jahre, mit Leber, ohne Alkoholdemenz.
Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".