Familientrio:Trauzeuge mit schlechtem Gewissen

Darf man die Ehe seines Bruders bezeugen, obwohl man überzeugt ist, dass die Frau ihm nicht guttut? Die drei SZ-Familienexperten antworten.

Mathias J. aus Winsen fragt:

1 / 5
(Foto: EdNurg/Fotolia)

Mein jüngerer Bruder, 50, will heiraten. Er ist seit seiner Jugend Alkoholiker, nach mehreren Therapien trank er aber weniger, hatte Leben und Job gerade so im Griff. Die "Neue" trinkt eher mit. Die beiden mögen sich wirklich, doch sie spricht auch das "Suchtmonster" in ihm an. Er trinkt wieder mehr. Ich soll nun Trauzeuge sein, will aber eine Beziehung, die seine Sucht stärkt, nicht bezeugen. Was soll ich tun?

Kirsten Fuchs

2 / 5
(Foto: Stefanie Fiebrig)

Das haben Sie doch ganz klar formuliert. Das Problem ist ja, dass Ihr Bruder sowohl die Frau als auch das Trinken liebt, und Ihre Kritik daran wird er vielleicht nicht als Liebe empfinden können. Obwohl Liebe auch bedeutet, sich um den anderen zu sorgen und ihn nicht jede Dummheit machen zu lassen. Sie werden sich also aus Liebe unbeliebt machen müssen. Daran sind Eltern ja gewöhnt. Zwischen Geschwistern ist diese Fürsorge nur in besonderen Situationen nötig. Aber so eine Situation haben Sie hier. Wenn Sie der einzige sind, der sich da einmischt, wird das kein Spaß für Sie. Sie sind der Hochzeitsstörer und Schwarzmaler. Gerade wenn es um die angeblich leichteren Drogen geht, macht man sich sehr unbeliebt, wenn man anderen da reinquakt. Aber es könnte auch sein, das Ihre klare Position dafür sorgt, dass Ihr Bruder und seine zukünftige Frau darüber reden. Ja, bewegen Sie etwas. Und machen sie sich schon mal den Aufkleber hinten ans Auto: "Ich bremse auch für Spaß!" Sie sind toll! Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Jesper Juul

3 / 5
(Foto: Anne Kring)

Mein spontaner Rat wäre, hier optimistisch zu bleiben. Die beiden könnten vielleicht wirklich gut für einander sein in der Hinsicht, dass Ihnen ihr gegenseitiges Versprechen das Gefühl von emotionaler und existenzieller Leere nimmt, das immer ein großer Faktor im Leben von Alkoholkranken ist. Sie könnten sich sogar mit den beiden zusammensetzen und Ihnen Ihr Dilemma erklären und nach ihren eigenen Gedanken dazu fragen. Die andere Option wäre, dass Sie Ihrem Bruder von Ihrem Zögern berichten und ihn nach seiner Meinung fragen. Das könnte Ihn dazu bringen, seinen Plan zu überdenken. Oder eben auch nicht. Wie immer es dann ausgeht, Sie hätten Ihr Bestes getan. Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

Collien Ulmen-Fernandes

4 / 5
(Foto: Anatol Kotte)

Aus Ihren Worten spricht jahrelanges Leiden als Familienmitglied eines Süchtigen. Alleine die Wortneuschöpfung "Sucht-Monster" lässt mich zusammenzucken und erinnert mich an "Sprech-Zwerg" oder andere niedliche Eigenkreationen von Betroffenenkreisen, in denen viel, wenn nicht gar zu viel über eine Problematik geredet wurde, bis hin zu einer Sprache, die sich nicht von dem Problem antizipiert, sondern es immer in sich trägt. Dass Ihr kleiner Bruder jetzt so verliebt ist, dass er mit 50 noch mal heiraten will, sollten Sie aber erst einmal als ein kleines, schönes Wunder für sich nehmen. So beschissen ist sein Leben ja dann doch nicht gelaufen, wenn er auf die alten Tage noch mal so viel Utopie wagt wie eine Ehe. Die Entscheidung trifft er übrigens allein. Und sein Wunsch, Sie als Trauzeuge einzubinden, ist ja auch eher ein Signal der Verbundenheit als die Frage, ob Sie nach einem tiefen Background-Check mit der Ehe einverstanden sind. Handeln Sie als jemand, der den Bruder liebt und unterstützt. Aber vielleicht hilft es, wenn Sie ihm einen Wunsch mit auf den Weg geben: Ich hätt` dich gern noch ein paar Jahre, mit Leber, ohne Alkoholdemenz. Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

5 / 5
(Foto: N/A)

Weitere Leserfragen und Expertenantworten sowie andere Artikel rund um Kinder, Familie und das Elternsein finden Sie auf unserer Übersichtsseite.

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: