SZ: Frau zu Salm, haben Sie eigene Erfahrungen mit dem Tod naher Angehöriger?
Als ich sechs Jahre alt war, starb mein dreijähriger Bruder zu Hause vor meinen Augen bei einem Unfall. Meine Eltern konnten nicht miteinander darüber sprechen, auch nicht mit uns Kindern. Beide waren vollkommen absorbiert von ihrem eigenen Schmerz, was für mich mehr als verständlich ist. Eine Therapie hätte ihnen sicher geholfen, aber Anfang der siebziger Jahre war die Zeit dafür noch nicht reif. Man schwieg.
Gab es keine Versuche in Ihrer Familie, die Sprachlosigkeit zu durchbrechen?
Das ist unheimlich schwierig für Eltern. Was soll man sich auch gegenseitig fragen? "Tut es dir auch so weh? Geht es dir auch so schlecht?" Wir hatten aber ein schönes Sonntagsritual auf dem Friedhof: Unsere Mutter stellte Blumen ans Grab und zündete eine Kerze an. Sie stand dann schweigend neben meinem Vater. Meine jüngeren Geschwister daneben. Trotzdem waren wir immer froh, wenn wir danach zum Sonntagsausflug aufgebrochen sind.
Eine Blitzkarriere in der Medienbranche: Mit Anfang 30 leitete Christiane zu Salm MTV Deutschland, gründete anschließend den Frauensender tm3 und baute ihn zu dem umstrittenen Gewinnspielsender 9Live um. Nach einem kurzen Gastspiel im Vorstand von Hubert Burda Media engagierte sie sich bei Start-up-Unternehmen, legte einen Investmentfonds auf und betätigt sich nach wie vor als beachtete Kunstsammlerin. Heute ist sie Eigentümerin des Berliner Nicolai-Verlages. Seit etwa zehn Jahren widmet sich die 50-Jährige zudem ehrenamtlich der Begleitung Sterbender und ihrer Angehörigen. In diesem Zusammenhang ist nach dem Bestseller "Dieser Mensch war ich" auch das Buch "Weiter Leben. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen" entstanden, in dem Trauernde ihre Geschichte erzählen.
Und heute? Hat Ihre Beschäftigung mit dem Sterben und der Trauer etwas in Ihrer Familie ausgelöst?
Ich bin vor einiger Zeit mit meinen Eltern, die mittlerweile getrennt leben, noch einmal zum Grab meines Bruders gegangen. Auch da haben sie geschwiegen. Beim anschließenden Kaffeetrinken spürte ich plötzlich, wie viele unausgesprochene Schuldgefühle in der Luft lagen. Da hab ich gesagt: "Wir tun doch alle nur unser Bestes im Leben." Auf einmal weinten wir zu dritt. Etwas hatte sich gelöst.
Hat es die Menschen, die in Ihrem Buch vorkommen, erleichtert, dass sie ihre Geschichte erzählen konnten?
Sie alle haben für das Buch das schmerzlichste Kapitel ihres Lebens geöffnet. Für die meisten war das nach wie vor ein schmerzlicher, aber auch heilsamer Prozess.
Was hat Sie besonders berührt?
Die Sprachlosigkeit - und was das mit den Betroffenen macht. Das Gefühl des Verlustes eines geliebten Menschen ist unbeschreiblich. Es verschlägt einem im Sinne des Wortes die Sprache. Die Seele verfällt in Schockstarre.