Tränen lügen (nie):Weinende Männer sind schön

Männer heulen, weil sie von ihrer eigenen Größe und Relevanz zutiefst überzeugt sind. Frauen dagegen schaffen das Kunststück, Tränen taktisch auf den Punkt genau einzusetzen.

Christian Mayer

Wenn Männer Abschied nehmen müssen, wenn sie sich ihrer Vergänglichkeit bewusst werden, öffnen sich oft alle Schleusen. Dann weinen sie hemmungslos wie der Schweizer Nationalspieler Alex Frei beim Eröffnungsspiel der EM, als dem Unglücklichen nach seiner Verletzung schlagartig klar wurde: Das war's mit dem Ruhm.

Seltsamerweise gelten im Fußball wie in der Politik ähnliche Regeln bei der Darbietung emotionaler Maximalbetroffenheit.

Normalerweise beißen die Akteure im Tagesgeschäft die Zähne zusammen, selbst wenn die Umfragewerte miserabel sind und alles den Bach runtergeht. Sie rennen einfach weiter, bis zur letzten Minute, vielleicht schießt ja doch noch einer den erlösenden Treffer, oder ein Wunder geschieht und Kurt Beck wird Kanzler. Und dann ist auf einmal alles vorbei, wie am letzten Bundesligaspieltag von Ottmar Hitzfeld, und aus hirngesteuerten Machtmenschen werden Gefühlsschwämme, die man nicht mal kneten muss, damit sie Rotz und Wasser heulen.

Wenn der Kampf vorbei ist, geht der Krampf weiter. Weinende Männer sind schön, sie sind anmutig, sie sind ganz ehrlich gerührt von sich. Für Helmut Kohl und Gerhard Schröder, für den Allesversteher Johannes B. Kerner sowie für die meisten Männer überhaupt gilt: Sie sind nahe am Wasser gebaut, weil sie von ihrer eigenen Größe und Relevanz zutiefst überzeugt sind.

Im Falle der gescheiterten Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton schluchzten dagegen vor allem die Wahlkämpferinnen kollektiv auf, während die Kandidatin im Eingeständnis der Niederlage größtmögliche Contenance hielt - insofern war Clintons öffentliche Seelenmassage am Samstag in Washington dramaturgisch eindrucksvoll.

Nur Frauen schaffen das Kunststück, Tränen taktisch und auf den Punkt genau einzusetzen und dabei den Fluss zu kontrollieren. Männer dagegen lassen sich von ihren Gefühlen übermannen, sie können in gewissen Momenten (Beziehung futsch, Champions-League-Finale verloren, Mauer gefallen) einfach nicht an sich halten und sind daher glaubwürdige Heulsusen.

Doris Schröder-Köpf - hier bei der Abschiedsrede ihres Mannes als SPD-Vorsitzender - ist übrigens ein Beispiel dafür, dass Weinen auf großer Bühne, etwa auf sozialdemokratischen Parteitagen, immer gut ankommt. Vor allem, wenn der Urheber der Tränen, der natürlich ein großer Mann sein muss, die Beobachter so traurig stimmt.

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