Tourismus:Regierung will Thomas-Cook-Urlaubern mit Steuergeld helfen

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Thomas Cook hatte am 25. September 2019 Insolvenzantrag gestellt. Foto: Silas Stein/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa) - Hunderttausende Kunden des insolventen deutschen Reisekonzerns Thomas Cook können hoffen: Die Bundesregierung will betroffenen Pauschalurlaubern mit Steuergeld finanziell unter die Arme greifen.

"Die Differenz zwischen dem, was von der Kundenversicherung erstattet wird und dem, was offen bleibt, übernimmt der Staat", sagte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) am Mittwoch in Berlin. Wie die Verbraucher an ihr Geld kommen sollen, ist noch offen. Klar ist dagegen: Die Pleite kommt den Fiskus teuer zu stehen.

Nach vorläufigen Berechnungen der Versicherer Zurich liegt die Schadenssumme mit 287,4 Millionen Euro deutlich über der versicherten Summe von 110 Millionen Euro. Die Versicherung zieht von den 110 Millionen außerdem noch 59,6 Millionen Euro ab, die sie bereits für die Heimholung von etwa 140.000 Urlaubern aufgewendet hat.

Für die Kunden bedeute das, dass weniger als ein Fünftel der Schäden noch gedeckt ist: "Daraus ergibt sich eine Quote in Höhe von 17,5 Prozent für die Regulierung der Ansprüche der Thomas-Cook-Kunden", teilte Zurich mit.

In den nächsten Tagen solle die Erstattung beginnen, erklärte der für Schadensregulierung zuständige Vorstand der Zurich Gruppe, Horst Nussbaumer. Dieser Prozess werde einige Wochen dauern. Vereinzelte Kunden könnten zwar noch Forderungen anmelden, dabei werde es aber nur noch um einen kleinen Betrag gehen.

Die Bundesregierung müsste nach Rechnung von Zurich also mehr als 82 Prozent der Schadenssumme übernehmen. Das Justizministerium ist allerdings der Meinung, dass die Versicherung die Kosten für das Zurückholen der Urlauber nicht verrechnen und aus einem anderen Topf bezahlen muss. Auch andere rechtliche Fragen sollen noch geklärt werden. Wie teuer der Fall für den Bund werde, sei daher noch unklar.

Auch über das genaue Vorgehen bei der Entschädigung werde noch mit dem Insolvenzverwalter und der Versicherung gesprochen, sagte Lambrecht. Die Bundesregierung kündigte ein "möglichst einfaches und kostenfreies Verfahren" an. "Die Kunden müssen aktuell nicht selbst aktiv werden, um ihre Rechte zu wahren", hieß es. Die Regierung werde Anfang 2020 "über die weiteren Schritte zur Abwicklung informieren".

Anders als Individualtouristen sind Pauschalurlauber versichert, wenn ihr Reiseveranstalter pleite geht und die gebuchten Ferien ausfallen. Doch im Fall des Branchenriesen Thomas Cook zeigten sich die Grenzen der gesetzlichen Sicherung, die in Deutschland auf 110 Millionen Euro pro Versicherer gedeckelt ist.

Mit der Entscheidung der Bundesregierung sollen Tausende Klageverfahren und langjährige Rechtsstreitigkeiten vermieden werden. Erste Anwälte hatten sich bereits in Stellung gebracht. Sie werfen dem Gesetzgeber vor, geltendes EU-Recht nicht korrekt umgesetzt zu haben.

Die deutsche Thomas Cook, die in den Sog der Pleite der britischen Mutter geraten war, hatte am 25. September Insolvenzantrag gestellt. Das Unternehmen hatte anschließend schrittweise alle gebuchten Reisen abgesagt, zuletzt Trips mit Abreisedatum vom 1. Januar 2020 an, auch wenn sie bereits ganz oder teilweise bezahlt worden waren.

Nach jüngsten Angaben der Insolvenzverwalter sind 525.000 Urlauber von dem Reisestopp betroffen. Es handelt sich dabei allerdings nicht ausschließlich um Pauschalurlauber. Zur genauen Zahl der Pauschalreisenden wurden keine Angaben gemacht.

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, lobte die Berliner Entscheidung. Es sei gut, dass die Bundesregierung geschädigte Verbraucher der Thomas-Cook-Pleite nicht im Regen stehen lassen wolle, schrieb Müller bei Twitter. Wichtig seien nun unbürokratische Auszahlungen und eine bessere zukünftige Absicherung von Pauschalreisen.

Die Grünen-Politiker Markus Tressel und Tabea Rößner begrüßten, "dass die Bundesregierung die Betroffenen entschädigt und sie nicht zu jahrelangen Prozessen zwingt". Dies sei aber keine vorweihnachtliche Großzügigkeit, sondern ein Schuldeingeständnis. "Mit der Begrenzung der Haftungssumme hat die Bundesregierung den Reisekonzernen jahrelang niedrigere Versicherungsprämien beschert."

Ähnlich argumentierte FDP-Fraktionschef Michael Theurer. Wenn die Bundesregierung einsehe, "dass sie bei der Umsetzung der EU-Richtlinie einen Fehler gemacht hat, sollte sie die Haftungsobergrenze für alle deutlich anheben", sagte er.

Kerstin Kassner, tourismuspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, forderte eine nationale Insolvenzabsicherungspflicht für Luftfahrt- und Reiseunternehmen. "Nicht nur das mühsam ersparte Geld für den Urlaub muss endlich richtig geschützt werden. Auch viele ebenfalls betroffene kleine Reisebüros stehen vor dem Ruin."

Johannes Fechner, SPD-Fraktionssprecher für Recht und Verbraucherschutz, brachte einen Fonds ins Gespräch, "in den auch die Reiseveranstalter einzahlen", wie er den Zeitungen der "Funke Mediengruppe" (Donnerstag) sagte. Die Deckelung von 110 Millionen Euro begründet Fechner damit, dass keine Versicherung bereit gewesen sei, eine höhere Summe zu versichern.

Der Präsident des Branchenverbandes DRV, Norbert Fiebig, mahnte, eine verbesserte Absicherung sei nicht zum Nulltarif zu haben. "Ein künftiges Modell muss Kundengelder absichern und eben auch für die Reiseveranstalter wirtschaftlich tragbar sein."

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