Der Kaiser der Paradeiser residiert in Frauenkirchen. Eine kleine Gemeinde ganz im Osten Österreichs zwischen Neusiedler See und der Grenze zu Ungarn. Die pannonische Tiefebene besteht im Wesentlichen aus plattem Boden unter endlosem Himmel.
Grün, weiß, rot, gelb: Mehr als 3200 Tomatensorten kämpfen auf Herrn Stekovics Feld ums Überleben.
(Foto: Foto: Stekovics)Hier gedeihen die Untertanen des Kaisers: Paradeiser oder Paradiesäpfel. So nennen Österreicher Tomaten, und niemand in Europa baut mehr unterschiedliche Arten an als Erich Stekovics. Mehr als 3200 Tomatensorten kämpfen auf seinen Feldern in Sichtweite der barocken Kirchtürme gegen Hitze und Trockenheit. Grüne, gelbe, blaue, fast schwarze Exemplare. Tomaten, die aussehen wie faltige Geschwulste. Gelbe Früchte von der Größe einer Murmel, die in dichten Rispen am Kraut reifen. Fleischparadeiser, Salatparadeiser. Hohle Früchte, gestreifte, runde, längliche. Tomaten, die zuckersüß, wie Kiwi oder nach Kartoffeln schmecken. Wer soll das alles kaufen, Herr Stekovics? Wer isst diese exotischen Tomaten?
"Es geht mir darum, Vielfalt zu bewahren, wir bauen an, um zu erhalten", sagt der 41-Jährige. Wer wisse denn schon, dass es so viele unterschiedliche Tomaten gibt? Oder Chili und Paprika, von denen Stekovics 680 verschiedene Sorten anbaut, dazu 70 unterschiedliche Gurken, Dutzende Auberginen, Knoblauch, Maulbeeren, Himbeeren, Erdbeeren. ,,Natürlich könnte ich zehn Tomatensorten identifizieren, die besonders schön aussehen und am besten schmecken und sie verkaufen'', sagt Stekovics. ,,Aber was passiert dann mit all den anderen? Mit all den verschiedenen Aromen und Geschmäckern?'' Stekovics blickt zum Himmel, wenn er von Aromen zu schwärmen beginnt und lächelt entzückt.
,,Geschmack erzählt in schönster Weise vom Himmel'' ist in eine Steinplatte von der Gestalt eines Grabmals gehauen, die vor dem Betrieb am Rande Frauenkirchens steht. Stekovics wollte ursprünglich Priester werden, studierte einige Semester Theologie, erteilte Religionsunterricht, bevor ihn das Gemüse zurück nach Frauenkirchen holte und Stekovics das, was er von seinem Vater gelernt hatte, zum Beruf machte: die Landwirtschaft, den Gartenbau. Die Sinnsuche wich der Suche nach Aromen.
In den Regalen der Supermärkte sind diese längst nicht mehr zu finden. "Ich habe den Glauben an den Konsumenten verloren", sagt Stekovics. Was der Kunde nicht kenne, was ihm seltsam erscheine, das kaufe er nicht: Eine Supermarkttomate hat fest zu sein, knallrot und prall. Ohne Falten, ohne Risse, sonst lässt der Konsument sie liegen. Die Industrie bedient dabei hemmungslos die eigenen Bedürfnisse: Obst oder Gemüse müssen resistent gegen Schädlinge sein, der Ertrag so hoch wie möglich, die Früchte sollten sich gut lagern lassen und einen Transport durch Europa überstehen.
Letzteres ist den industriellen Züchtern eindruckvoll gelungen. Nur sind dabei Früchte entstanden, die kaum noch Aroma in den Gaumen bringen. Etwa die legendäre Hollandtomate. Oder die Erdbeersorte Elsanta, die in Deutschland einen Marktanteil von fast 75 Prozent hat. Sie sieht schön aus, ist fest und lagerfähig. Dass sie fast keinen Geschmack hat, stört die wenigsten Kunden.
"99,9 Prozent der Tomaten, die wir essen, hängen am Tropf", sagt Stekovics. Bei solchen Sätzen blickt er sein Gegenüber direkt an, alles Schwärmerische ist aus dem Gesicht gewichen. Auf konventionellen Tomatenplantagen steckten die Wurzeln der Pflanzen in einem Gefäß von der Größe eines Wasserglases, das mit Nährstofflösung gefüllt ist, sagt der Landwirt."