Süddeutsche Zeitung

Tödliche Pflaster:Beethoven von seinem Arzt vergiftet?

Bislang ging man davon aus, dass die hohen Bleikonzentrationen im Haar des Musikers eine Folge "verbleiter" Weine waren. Doch möglicherweise starb Beethoven an einer medizinischen Behandlung.

Oliver Rezec

An der Bleivergiftung, die den ohnehin schwerkranken Ludwig van Beethoven schließlich getötet hat, war womöglich sein eigener Arzt schuld.

Das vermutet der Wiener Gerichtsmediziner Christian Reiter nach der Analyse mehrerer Haare des Komponisten.

Zwar war seit einigen Jahren bekannt, dass Beethoven Bleikonzentrationen im Haar aufwies, die achtzigfach über dem normalen Wert lagen.

Bislang jedoch hatte man dies auf seine ausgeprägte Vorliebe für süßen Wein zurückgeführt: Der wurde nämlich damals von Winzern oft mit Bleizucker versetzt.

Die neuen Untersuchungen, die Reiter im Mitteilungsblatt der Wiener Beethoven-Gesellschaft vorstellt, zeichnen nun ein viel genaueres Bild vom Blei-Eintrag in Beethovens Körper. Dazu wurde jedes Haar mit einem Laserstrahl beschossen. Das Material, das dabei verdampft, wird aufgefangen und in einem Massenspektrographen auf seine Bestandteile hin analysiert.

Nur einen fünfzigstel Millimeter misst das Loch, das der Laser ins Haar brennt. Menschliche Haare wachsen täglich um etwa 0,3 bis 0,4 Millimeter und bauen dabei auch die Gifte ein, die zu dieser Zeit im Körper zirkulieren. So werden sie, Abschnitt für Abschnitt, zum chemischen Archiv des Körpers, das mittels Laserstrahl abgefragt werden kann.

Der jüngste Eintrag liegt jeweils unmittelbar über der Kopfhaut. Im Falle Beethovens zeigte sich nicht etwa ein kontinuierlicher Bleikonsum, wie eine schleichende Vergiftung durch gepanschten Wein erwarten ließe - vielmehr gab es einzelne Tage mit hohen Bleimengen, gefolgt von längeren Phasen ohne nennenswerte Bleizufuhr.

Ein Abgleich mit Beethovens handschriftlichen Aufzeichnungen lieferte eine Erklärung. In seinen letzten Jahren bis zu seinem Tod 1827 verständigte sich der taub gewordene Komponist mit seiner Umwelt mithilfe von "Konversationsheften": Was er zu sagen hatte, schrieb er dort hinein.

Aus diesen Heften und aus Aufzeichnungen seines Arztes Andreas Wawruch lässt sich die Krankengeschichte des Komponisten rekonstruieren.

Bleisalz gegen Lungenentzündung

Nach einer regnerischen Kutschfahrt an Lungenentzündung erkrankt, wurde Beethoven von Wawruch mit Bleisalzen behandelt. Diese galten als schleimlösend - ihre Einnahme zeigt sich heute als Spitze im Bleidiagramm. "Eines wusste Wawruch aber vermutlich nicht: Beethoven litt zu dieser Zeit schon an einer Leberzirrhose", sagt Reiter.

Das Schwermetall, das ein Gesunder womöglich verkraftet hätte, war für Beethovens Leber zu viel. In seinem Bauchraum begannen sich in der Folge große Mengen Flüssigkeit zu sammeln, die aufs Zwerchfell drückten und dem Komponisten das Atmen erschwerten.

Wawruch punktierte ihn in den folgenden Wochen viermal. Er stach ein Loch in Beethovens Bauchhöhle, um die Flüssigkeit abzulassen - mitunter bis zu 14 Liter. Im Abgleich mit der Haaranalyse entdeckte Gerichtsmediziner Reiter nun, dass genau an jenen Tagen, an denen Beethoven von Punktionen berichtete, die Bleiwerte in seinen Haaren nach oben schnellten. Reiter führt das auf sogenannte Bleiseifen zurück.

Damals war es üblich, die Einstichwunde mit solch klebrigen, bleihaltigen Pasten zu verschließen. Sie hielten die Wunden dicht und desinfizierten sie gleichzeitig. Die Giftigkeit des Schwermetalls sei zwar durchaus bekannt gewesen, erklärt Reiter, doch Antibiotika gab es noch keine. So erschien das Blei als das kleinere Übel - und hat trotzdem womöglich den Tod Beethovens beschleunigt.

Dass die Untersuchung nicht lediglich Blei gemessen habe, das von außen an Beethovens Haare gelangt sei - etwa durch mit Bleiseife verschmierte Hände oder in den Jahrzehnten nach seinem Tod - sei sicher, behauptet Gerichtsmediziner Reiter, denn der Laserstrahl dringe bis zum Kern des Haars vor.

Detlef Thieme, Toxikologe am Forensisch-Toxikologischen Centrum München, präzisiert: "Stoffe, die von außen ans Haar kommen, können auch hineindringen. Aber sie verteilen sich dann gleichmäßig. Die Signale dieser Untersuchung sprechen tatsächlich dafür, dass das Blei aus dem Körper stammt."

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Quelle:
SZ vom 30.8.2007
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