Todkranke:Kai Stiegler hat gegen seine Krankheit gekämpft

Sabine und Bernd Stiegler stammen aus Stuttgart. Vor ein paar Jahren haben sie sich selbständig gemacht, in Dresden, mit einer Estrichfirma. Sie teilen die Liebe für Motorräder, Tattoos, Deep Purple. Jetzt sitzen sie schweigend in ihrem Auto. Vor ihnen fährt der Mercedes Sprinter, Nummernschild L-AS840. Auf dem Heck steht: "Letzte Wünsche wagen".

Sabine Stiegler starrt durch die Windschutzscheibe, die Hand ihres Mannes auf dem Knie. Dann dreht sie sich zu ihm, ihre Augen sind groß, die Fragen auch: Was passiert, wenn das hier vorbei ist? Kommt dann der Tod? Kommt er schneller? Wird es sein wie im Film, wenn der Held am Ende seinen Frieden macht? Wird es für uns Frieden geben oder nur ein Ende?

Kai Stiegler hat gegen seine Krankheit gekämpft. Je mehr sein Körper nachgab, desto widerständiger wurde sein Kopf. Er ging zum Zahnarzt, ließ sich die Füllungen herausbrechen, wollte an einen Irrtum glauben. Auch er hatte gegoogelt und war auf seine Symptome gestoßen: Zittern, Krämpfe, Geschmacksstörungen. In den Foren stand: Amalgamvergiftung, in den Foren stand: heilbar.

In Pflegeheimen fehlt Zeit und Geld

Kai Stiegler hat in Dresden Eventmanagement studiert, in New York wollte er arbeiten, aber schon beim Abschlussball mussten Freunde ihn stützen. Ein Jahr ist es her, dass er aufhörte zu sprechen, und Ärzte mit den Eltern zu sprechen begannen. Darüber, dass ihr Sohn an seiner Krankheit sterben wird, bald. Bernd Stiegler dachte an Fredi Bobic, und dass Kai schon einmal die Sprache versagt hatte, vor Überraschung und vor Freude. Er dachte darüber nach, ob sich so ein Moment noch einmal erleben ließe.

Nun ist so ein Leben selten filmreif und noch seltener hat es ein Happy End. Schwerstkranke können in Deutschland nicht darauf hoffen, dass sich ihre Wünsche erfüllen. Individuelle Sterbebegleitung gibt es wenn, dann nur im Hospiz. In Pflegeheimen fehlt Zeit und Geld. Es fehlt ein Gesetz, welches das ändert.

Man kann nicht sagen, dass Kai Stiegler Glück gehabt hätte, aber er hatte eine Pflegerin, der er wichtig war. Sie stellte den Kontakt zum Team des Wünschewagens her. Der VfB Stuttgart stellte eine Loge. Die Eltern stellten sich ihrer Angst: Patientenverfügung, keine Wiederbelebung, im Falle des Falles.

Durch Stuttgart wälzt sich hupendes Blech - Heimspiel trifft auf Canstatter Wasen. Der Wünschewagen schleicht vorbei am Break Dancer und Grandls Hofbräuzelt, Karsten Queitzsch brummt das Wort "Rettungsgasse". Kai Stiegler sitzt in seinem Rollstuhl, die Unterarme ruhen auf einem Kissen, darauf das Logo des VfB. Es ist schwer zu sagen, ob ihm das alles gefällt, das Klingeln der Karussells, das Stop and Go, die taumelnden Männer in ihren rot-weißen Trikots. Die Krankheit hat sich in sein Gesicht eingeschrieben, als Ausdruck andauernden Erstaunens.

20 Minuten vor Anpfiff ist es still in den Eingeweiden der Mercedes-Benz-Arena. Der Flur gleicht einer Ahnengalerie: ein verschwitzter Giovane Élber beim Fallrückzieher, ein schlecht frisierter Jogi Löw beim Herzen des DFB-Pokals. Draußen in der Kurve drehen sie ihre Schals wie Propeller, der Stadionsprecher dröhnt bis nach drinnen. Die Eltern beugen sich zu ihrem Sohn: "Ist es gut?" Kai Stiegler blinzelt, einmal nur.

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