Kolumne: Vor Gericht:Schwere Jungs

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(Foto: sz)

Unser Kolumnist verneigt sich vor katholischen alten Damen, die tun, worüber viele die Nase rümpfen: Sie helfen ehrenamtlich Menschen, die für viele Jahre hinter Gittern gelandet sind.

Von Ronen Steinke

"Viele in meinem Freundeskreis verstehen das überhaupt nicht", erzählte mir neulich eine der Damen der katholischen Straffälligenhilfe in Freiburg. Es war am Abend nach einer Lesung. Die Dame, ihr Name war Claudia Bjerstedt, wirkte schüchtern, vorsichtig, so als sei das, was sie tue, etwas Anrüchiges: Bjerstedt hilft ehrenamtlich Menschen, die im Knast sitzen.

Da geht es zum Beispiel um Straffällige, die ihre Strafe abgesessen haben, viele Jahre hinter Gittern verbracht haben. "Nach zwanzig Jahren kommen die Leute raus und haben in der Regel gar niemanden mehr. Alle ihre früheren Bekannten sind tot oder wollen nichts mehr von ihnen wissen." Das seien Menschen, die dann Hilfe bräuchten. In der Theorie sollen sie, die ihre Strafe verbüßt haben, ja durch den Strafvollzug "resozialisiert" sein. Das klingt sehr schön. Das stimmt natürlich selten. Gefängnis bedeutet meist Vereinsamung. Desozialisierung trifft es oft besser.

In den USA dürfen Langzeitverurteilte oft eigene Hunde halten. Warum nicht in Deutschland?

Das seien dann Menschen, so sagte die Frau, die oft mit 60 Jahren körperlich wie 80-Jährige seien - "vorgealtert". Krank, pflegebedürftig. "Aber kein Pflegeheim will die haben." Also engagieren sich die Damen der katholischen Straffälligenhilfe, leise, unauffällig, machen Anrufe, helfen - und nehmen es in Kauf, dass Pflegeheime sie für bescheuert erklären und auch in ihrem gutbürgerlichen Freundeskreis die Nase gerümpft wird. Mit diesem Engagement darf man nicht auf Applaus hoffen. Nicht in der Gesellschaft, auch nicht in den Medien. Mit dem Thema kommt man nicht in die ARD-Spendengala. "Wir haben nicht die Niedlichen", so hat sie achselzuckend zu mir gesagt, resigniert.

Wozu man sagen muss: Was könnte bewundernswerter sein? Früher, so hat Claudia Bjerstedt noch erzählt, ist sie auch noch einmal in der Woche mit ihrer Hündin Cilly in die Justizvollzugsanstalt Bruchsal gegangen, zu den sogenannten Langstrafern, den schweren Jungs, die für zehn, zwanzig Jahre einsitzen. "Einfach mal den Hund streicheln, da kommen viele aus ihren Zellen raus, wir reden gar nicht viel, aber das bedeutet denen viel. Das Taktile, das geht in Haft völlig verloren mit der Zeit." Denn im Gefängnis ist es so: Berührungen zwischen Personal und Inhaftierten sind tabu. Das gilt auch für Ehrenamtliche. Mit dem Hund aber geht es.

In Amerika, hat sie noch erzählt, dürften Langzeitverurteilte und Menschen, die in der Todeszelle sitzen, also auf ihre Hinrichtung warten, oft sogar eigene Hunde halten, "das hilft so sehr", in Deutschland sei das leider verboten. "Ich verstehe das nicht." Seit ein paar Jahren ist ihre Hündin jetzt tot. Die Häftlinge fragen immer noch oft nach ihr.

Ich verneige mich. Falls jemand zu Weihnachten oder aus einem anderen Anlass nach einem guten Zweck sucht, um zu spenden: Straffälligenhilfe gibt es in jeder Stadt. Nicht nur für Fahrtkosten von Menschen wie Claudia Bjerstedt hin zur JVA braucht es Geld, auch für Urlaubsbetreuung für die Kinder von Gefangenen, die draußen sind, aber mitleiden und sich oft schämen.

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(Foto: Bernd Schifferdecker/Bernd Schifferdecker)
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