Süddeutsche Zeitung

Familie:Ein Testament ist eine Erleichterung für alle

Mit Krankheit und Tod beschäftigt sich keiner gern. Dabei helfen Schriftstücke wie Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht den Angehörigen - und einem selbst.

Kolumne von Michèle Loetzner

Wie unangenehm auf einer Skala von eins bis zehn ist es für Sie, diesen Text zu lesen? Eins steht für "Kein Problem", zehn steht für "Mir stellen sich die Nackenhaare auf". Mindestens bei einer sieben, schätze ich. Woher ich das weiß? Weil es für mich genauso unangenehm ist, darüber zu schreiben. Wer setzt sich schon gern mit dem eigenen Tod auseinander, wenn er nicht muss? Testament, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht - das sind alles Wörter, die man möglichst großräumig meidet. Sie stehen ungefähr auf einem Beliebtheitslevel mit Geschlechtskrankheit, Eigenbedarfskündigung und Steuerprüfung. Vielleicht sogar noch eins darunter. Dabei ist so ein Testament relativ einfach und schnell verfasst. Und vor allem: sehr, sehr wichtig. Es ist geradezu unverantwortlich, dass mehr als 73 Prozent der Deutschen keines haben. Sie finden, da bin ich jetzt etwas streng? Leider nein.

Kurz vor meinem 30. Geburtstag starb meine Mutter an Darmkrebs. Sie hat nie geraucht und nie getrunken. Außerdem ging sie uns Kindern mit ihrem Vollkornbrot und Biogemüse unfassbar auf die Nerven, machte regelmäßig Sport und ließ keine Vorsorgeuntersuchung aus. Sagen wir so: Den Darmkrebs hat keiner kommen sehen. Ich befürchte, das Lesen dieses Textes ist auf der Unwohlseinsskala gerade auf eine Acht gestiegen. Sorry. Wollen wir gemeinsam noch hoch zur Neun? Bitteschön: Zwei Jahre später starb mein Vater an Lungenkrebs. Er war starker Raucher. Das hat man schon eher kommen sehen. Dennoch: Beide waren in keinem Alter, um zu sterben. Meine Mutter wurde 54, mein Vater 56. Beide haben mir ein Testament hinterlassen, und dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Nicht, weil sie mir Reichtümer verschafften, sondern weil diese Schriftstücke eine genaue Anleitung waren, was im Fall ihres Todes zu regeln und zu beachten ist.

Und nun durchbreche ich meine persönliche Zehn: Bevor ich selbst Mutter wurde, habe auch ich - hoch schwanger - ein Testament sowie eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht verfasst. Denn wer weiß schon, was bei so einer Geburt alles passieren kann? Gute Laune macht das natürlich nicht. Beim Verfassen der Schriftstücke habe ich die ganze Zeit geheult, so grauen­voll war die Vorstellung, dass meine Tochter ohne ihre Mutter aufwächst. Aber ich fand und finde, dass es meine Aufgabe als Elternteil ist, meinem Kind möglichst wenig Chaos zu hinterlassen - und meiner Familie einen Fahr­plan, wie nach meinem Ableben zu agieren ist.

Man ist froh für jede Form von Bedienungsanleitung

Was man im Zustand des größten Verlusts nämlich überhaupt nicht braucht, sind Zweifel, stundenlanges Suchen nach bestimmten Dokumenten und die Frage, was der Ver­storbene gewollt hätte. Im Gegenteil, man ist froh für jede Form von Bedienungsanleitung, die man kriegen kann. Ein Testament ist so eine Bedienungsanleitung. Es regelt nicht nur die Erbfolge, sondern zum Beispiel auch die Be­nennung eines Vormunds für minderjährige Kinder und deren religiöse Erziehung. Letzteres ist mir ziemlich egal. Wo mein Kind ohne mich aufwächst, allerdings nicht. Und auch nicht, wie es mit meinem Vermögen umgeht. "Ver­mögen" klingt in meinem Fall übertrieben, allerdings ist es natürlich hilfreich für einen Erben zu wissen, was alles existiert und wo es zu finden ist. Am Ende vergammeln Goldbarren in irgendeinem Schweizer Schließfach. Ein Überblick über die bestehenden Bankkonten erspart viel Detektivarbeit. In den Unterlagen meines Vaters fand ich einige Jahre nach seinem Tod Kontoauszüge einer Bank, von der ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Nach einem nervigen und hochkomplizierten Prozedere mit mehreren E­-Mails, Telefonaten, einer offiziellen Übersendung des Erbscheins und noch mehr Blabla kam heraus, dass das Konto gar nicht mehr existierte. Dafür ging mindestens ein Tag kostbarer Lebenszeit drauf, und ich hätte mir das alles sparen können, wenn ich meinem Vater vertraut hät­te. Aber kurz hatte eben auch ich mich zu Träumen über Schließfächer voller Goldbarren hinreißen lassen.

Nun zu Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. Wie müssen solche Schriftstücke aussehen? Eine Patientenverfügung regelt, wie bei medizinischen Maßnahmen zu verfahren ist, wenn Sie das nicht mehr selbst formulieren kön nen. Der Klassiker sind lebenserhaltende Maßnahmen. Mit einer Vor­sorgevollmacht bevollmächtigen Sie eine andere Person, bestimmte Aufgaben zu erledi­gen. Das kann so ziem­lich alles sein von Bank­geschäften bis hin zu Kündigungen. Für beide Schriftstücke gibt es Vorlagen zum Downloaden im Internet. Da muss man nur ausfüllen, ankreuzen und unterschreiben. Fer­tig. Ein Testament ist komplizierter. Es gibt zwei Möglichkeiten. Sie kön­nen ein "öffentliches notarielles Testa­ment" errichten, indem Sie es einem Notar diktieren oder dort eine Schrift mit der Erklärung abgeben, dass diese Ihren letzten Willen enthält. Sie ahnen es: Das kos­tet Geld. Es hat aber den Vorteil, dass jemand weiß, dass und wo ein Testament existiert. Bein­haltet der Nachlass komplizierte Erbfolgen, Ent­erbungen oder ein großes Vermögen, ergibt so ein Notar auch durchaus Sinn, damit keine Fehler in der Formulierung passieren. Für die meisten Menschen reicht aber wahrscheinlich auch einfach ein "privates handschriftliches Testament". Worauf das gekritzelt wird, ist egal. Es muss eben vor allem selbst geschrieben und mit Datum und Ort versehen sein, getippt und ausgedruckt ist auch mit Unterschrift nicht gültig. Und dann muss natürlich auch irgendjemand wissen, wo es liegt, sonst war die gesamte unangenehme Erfahrung umsonst. Meines liegt, wie man so schön sagt, an einem sicheren Ort. Ich hoffe sehr, meine Tochter braucht es noch ganz, ganz lange nicht.

Und jetzt finde ich, sollten Sie und ich einen Schnaps trinken nach diesem schweren Thema. Aber gut, dass wir drüber gesprochen haben, oder?

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Quelle:
SZ PLAN W vom 8. Juni 2019/swen
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