Süddeutsche Zeitung

Tisch-Knigge für Kinder:Da haben wir den Salat

Mit vollem Mund spricht man nicht - das sollte eigentlich jedes Kind wissen. Doch Kinder mit Tischmanieren werden selten, deshalb boomen Benimm-Kurse.

Patricia Bröhm

Ein Salatteller kann eine Herausforderung sein. Vor allem, wenn man acht Jahre alt ist und sein feinstes Kleid trägt. Wie soll man die großen, knackigen Salatblätter samt Sauce unter Vermeidung größerer Katastrophen in den Mund befördern?

Dass die Hände dabei nicht zum Einsatz kommen dürfen, ahnten die Kinder ja schon. Dass der Salat aber auch nicht mit Messer und Gabel in mundgerechte Stücke geschnitten werden darf, ist den meisten am Tisch neu.

Benimmtrainer Clemens Heinrich macht vor, wie man ein großes Salatblatt mit dem Besteck in ein mundgerechtes Päckchen faltet. Sieben Mädchen und Jungen zwischen acht und zwölf Jahren haben sich an diesem Samstagmittag im Berliner Gourmetlokal "Fischers Fritz" eingefunden, um im "Kinder-Knigge-Kurs" alles über Tischmanieren zu lernen.

Unterhalten bei Tisch oder schweigend kauen?

Wie halte ich das Besteck richtig? Wo gehören die Hände während des Essens hin und wo nicht? Warum kann ich den Kopf nicht auf den Tisch legen, wenn ich müde bin? Clemens Heinrich, im Hauptberuf stellvertretender Restaurantleiter im "Fischers Fritz" des Berliner Regent Hotel, muss öfter bei den absoluten Grundlagen anfangen: "In vielen Familien wird nicht mehr gemeinsam gegessen, also lernen die Kinder auch keine Tischmanieren." Besonders schwer fällt vielen das Stillsitzen bei Tisch. Und dass man sich beim Essen unterhalten kann, ja, sogar soll, das aber nicht mit vollem Mund, lernt natürlich nicht, wer mit der Tiefkühlpizza alleine vor dem Fernseher sitzt.

Der Kinder-Knigge-Kurs im Regent Hotel am Berliner Gendarmenmarkt ist kein Einzelfall. Eine wachsende Zahl an Hotels und Restaurants in ganz Deutschland bietet ähnliche Kurse an - vom Tischdecken bis zur Handhabe von Messer, Gabel und Serviette steht dort alles auf dem Programm. Auch auf dem Buchmarkt häufen sich einschlägige Titel.

Für Dagmar von Cramm, Autorin des "Kinder-Knigge" und Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, ist der Rückgang der Tischmanieren bei Kindern (und Erwachsenen) keine Überraschung: "Die 68er-Generation hat mit vielen Traditionen aufgeräumt und dabei zum Teil das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Was früher von klein auf ganz selbstverständlich bei Tisch eintrainiert wurde, ist heute vielen Kindern unbekannt."

Von Cramm hat beobachtet, dass inzwischen vielfach Erzieherinnen im Kindergarten oder Hort diejenigen sind, die den Kindern die Standards gesitteten Essens vermitteln. Viele Kinder machen dort erst die Erfahrung, gemeinsam zur Mahlzeit um einen Tisch zu sitzen. An einigen Ganztagsschulen laufen bereits Diskussionen, anstatt der Selbstbedienung mit Tablett wieder den guten alten Tischdienst einzuführen, so dass die Kinder gemeinsam um den Tisch sitzen, sich gegenseitig Schüsseln und Platten reichen, lernen zu teilen und Tischgespräche zu führen. "Das schafft ein anderes Miteinander, als wenn jeder vor seinem Tablett sitzt", sagt die Ernährungswissenschaftlerin.

Den Eltern empfiehlt von Cramm, zu Hause - wo immer möglich - gemeinsame Mahlzeiten einzuhalten, zu festen Essenszeiten. Und klare Regeln aufzustellen: gemeinsam anfangen, gemeinsam enden, die Kinder sollen beim Tischdecken und -abräumen helfen. "Eltern müssen führen, auch in der Beziehung. Und immer wieder einschärfen, dass die Ellbogen nicht auf den Tisch gehören, die Suppe nicht geschlürft wird - auch wenn es lästig ist."

Ein Knigge-Kurs kann natürlich nicht die häusliche Erziehung ersetzen. Aber vielleicht Denkanstöße für die ganze Familie liefern. "Die Kinder sind durch die ungewohnte Umgebung im Restaurant und die Gemeinschaft in der Gruppe viel aufmerksamer und lernfreudiger als zu Hause, wo sie bei den immer gleichen Ermahnungen schnell auf Durchzug stellen", sagt Clemens Heinrich im Regent Hotel. Und manchmal profitieren auch die Eltern. Neulich kam ein Mädchen zum Fortgeschrittenen-Kurs. Und erzählte, wie sie ihrer Mutter zu Hause erstmal beigebracht habe, dass man Salat nicht mit dem Messer schneidet.

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Quelle:
SZ vom 5.2.2008
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