Süddeutsche Zeitung

Tinnitus:Gewöhnen an den Pfeifton

Eine spezielle Verhaltenstherapie macht angeblich vier von fünf behandelten Patienten mit Ohrgeräuschen das Leben erträglich. Allerdings dauert die Therapie sehr lange.

Rosemarie Plötzeneder

Die Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT), eine spezielle Form der Verhaltenstherapie, befreit 80 bis 84 Prozent der Patienten von dem quälenden Pfeifen im Ohr, teilt Tereza Heitzmann, HNO-Ärztin an der Universitätsklinik von Navarra in Spanien (www.cun.es) . Das Training ändert zwar nichts am Ohrgeräusch selbst. Vielmehr gewöhnen sich die Geplagten an den Tinnitus, so dass das damit verbundene Leiden endet.

Den Weg für diese spezielle Form der Verhaltenstherapie ebnete die Beobachtung, dass 94 Prozent aller Menschen in einem absolut schalldichten Raum einen Tinnitus haben. Nur unterdrückt unser Gehirn im Alltag normalerweise dieses oftmals störende Geräusch.

Das neurophysiologische Modell von Pawell Jastreboff, das der TRT zugrunde liegt, geht von der Vermutung aus, dass das Gehirn von Tinnitus-Patienten Geräusche verstärkt und so das Pfeifen wahrgenommen wird.

Unterstützt wird die These von der Beobachtung, dass viele Tinnituspatienten auch einen Hörschaden haben. Das Gehirn will dies ausgleichen und verstärkt Umgebungsgeräusche und eben auch das "Ohrensausen". Dies würde auch erklären, warum viele Betroffene lärmempfindlich sind, obwohl sie schlecht hören.

Der Erfolg der TRT beruht darauf, dass das Gehirn lernt, das als störend empfundene Geräusch zukünftig nur noch unbewusst wahrzunehmen. Dieses Ziel wird auf zwei Wegen erreicht, so Heitzmann.

Einerseits durch das sogenannte direktive Counselling, andererseits durch die Geräuschtherapie. Im Rahmen des direktiven Counsellings, das fünf- bis sechsmal innerhalb von zwei Jahren durchgeführt wird, klärt der Therapeut den Patienten eingehend über die Krankheit auf und erarbeitet mit ihm Verhaltensstrategien, sodass das Geräusch nicht mehr ins Bewusstsein vordringt und auch keine negativen Emotionen oder Reaktionen hervorruft.

Das zweite Standbein ist ein externer Rauschgenerator, ein kleines Gerät, dass am oder im Ohr befestigt wird, sodass absolute Stille Tag und Nacht nicht möglich ist. Das soll die Wahrnehmung von Geräuschen allgemein und vom Tinnitus-Ton im Speziellen im Bereich der Hirnrinde minimieren. Wichtig ist allerdings, dass die Therapie immer den Umständen und dem Bedarf des Patienten individuell angepasst wird.

In Deutschland hören etwa 2,9 Millionen Menschen ein Pfeifen im Ohr. Die Hälfte leidet allerdings nicht, ein Fünftel nur teilweise darunter. Aber knapp eine Million Deutsche sind schwer beeinträchtigt, teilt Frau Elke Knör, Geschäftsführerin der Deutschen Tinnitus Liga e.V. in Wuppertal (www.tinnitus-liga.de) mit. In Deutschland wird der akute, also neu aufgetretene Tinnitus anders als etwa in den USA schulmedizinisch behandelt - und dadurch die Aufmerksamkeit auf das Geräusch gelenkt. In den USA empfehle man, so Knör, eher eine Auszeit.

Die TRT ist ein Konzept, dass sowohl in Deutschland als auch in den USA bei chronischem Tinnitus angeboten wird. Allerdings gibt es auch hier Unterschiede, die durchaus Einfluss auf den Erfolg der Behandlung haben können.

In den USA müssen die Patienten zum Teil über ein Jahr auf die Therapie warten, und dann ist sie mit hohem finanziellen Einsatz verbunden. Vielleicht liegt es eben daran, dass auch aus den Staaten ebenso hohe Erfolgsquoten gemeldet werden wie nun aus Spanien.

In Deutschland hingegen, bedauert Knör, denken noch viele, dass Gesundheit nichts kosten darf, man kaufe sich lieber ein neues Auto als für eine Reha-Maßnahme zu bezahlen. Und das könnte den Erfolg der TRT durchaus mindern.

Ganz so schnell, wie manche hoffen, geht es mit der "Heilung" aber sowohl hier als auch auf der anderen Seite des Atlantiks nicht. Heitzmann spricht von einer Therapiedauer von ein bis zwei Jahren, manchmal auch länger. Und selbst wenn in diesem Zeitraum der Tinnitus nicht verschwunden ist, bedeutet dies noch kein Versagen der Therapie. Daher ist Geduld angesagt. Der Weg ist zwar steinig, doch alternative, wie z. B. medikamentöse Therapien mit Antidepressiva können bislang nur die Auswirkungen des Tinnitus wie Angst und Stress beeinflussen, lösen allerdings nicht das Problem der Verarbeitung und Wahrnehmung im Gehirn.

Manchmal bessert sich der Tinnitus auch durch die Behandlung einer anderen Erkrankung, wie z. B. einer Herzrhythmusstörung, Bluthochdruck, Schilddrüsenüber- oder unterfunktion oder nach einer Zahnsanierung. "Viele Betroffene kommen mit der Zeit auch immer besser mit dem Tinnitus klar", erläutert Knör. Für Betroffene gibt es also Hoffnung denn sie gewöhnen sich an den Tinnitus so wie an den Lärm einer stark befahrenen Straße.

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