Tierhaltung:Eine Frage des Mitgefühls

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Auf seinem Hof hält Hubert Heigl Schweine nach ökologischen Prinzipien und spürt, wie gut das auch dem Menschen tut. Ob seine Vorschläge aber in Berlin Gehör finden, wo gerade das neue Tierwohllabel erarbeitet wird: Da hat er Zweifel.

Von Lennart Laberenz

Dienstag vor Ostern, zwanzig nach acht, vor den Fenstern scheint längst die Sonne auf die Felder, aber Hubert Heigl, hochgewachsen, schmal, zugewandt, ist mit einem Gedanken noch nicht fertig. Seine Frau Eveline schaut schon zur Küchenuhr, Sohn Stefan wartet auf der Bank. Draußen klettert die Sonne über den Jurarücken: Eichkreith, eine Streusiedlung von Kallmünz in der Oberpfalz. Nebenan ein älteres Austragshaus, am Waldrand ein Hof. Man kann weit schauen.

Die Heigls sind Schweinezüchter, bewirtschaften 120 Hektar Land. Ein ökologischer Bauernhof, flächengebundene Tierhaltung nennt man so etwas. Im Kern des Betriebs funktioniert ein Kreislauf, der sicherstellt, dass der Boden nicht mit Stickstoff übersäuert wird, das Grundwasser sauber bleibt. Die Zahl der Tiere steht im richtigen Verhältnis zur Ackerfläche, auf der Getreide angebaut wird. Die Tiere produzieren Dünger, vom Getreide nutzen die Heigls ein Teil als Stroh. Es geht um eine Balance.

Außerdem verwenden die Heigls keine Pflanzenschutzmittel, sie fahren nicht mit dem Striegel über Äcker, behandeln die Schweine nicht mit Hormonen, und sie mischen keine Aminosäuren ins Futter. Klingt vernünftig und macht Mühe. Anders als in konventionellen Betrieben müssen sie misten: Dienstags und samstags schieben sie Stroh und Kot in die Mitte der Stallgassen. Hubert Heigl zieht sich dann den grünen Overall über, kommt mit dem Lader, nimmt alles auf, fährt es zum Misthaufen. Sie treiben Tiere aus den Verschlägen, verteilen frisches Stroh in Boxen und Ausläufen, schütten Futter in die Tröge. Viel Arbeit eben.

Aber noch sitzen wir am Küchentisch. Kurzes Nachdenken darüber, was vernünftig ist, was normal. In "normalen", also konventionellen Betrieben stehen Sauen in engen Kästen auf Spaltenböden, können ein paar Zentimeter vor, ein paar zurück, Stroh gibt es nicht. Kot und Urin fallen unter ihnen in einen Kanal, es stinkt beißend nach Ammoniak. Während wir am Frühstückstisch sitzen, brennt eine solche Stallanlage in Vorpommern, 7000 Sauen, 50 000 Ferkel. Nur 1300 Tiere werden gerettet. Der Gedanke, der Hubert Heigl am Frühstückstisch nicht loslässt, ist: Empathie.

Haarsträubende Prozeduren bei Geburt, Aufzucht, Transport, Tötung

Gerade ist ein Buch des Ethikers Thilo Hagendorff erschienen, Titel: "Was sich am Fleisch entscheidet". Hagendorff spinnt an einer Art Globalthese, er meint, dass friedliche und sichere Lebensverhältnisse davon abhängen werden, wie wir uns als Gesellschaft zum Klimanotstand verhalten. Eine zentrale Rolle spiele unser Verhältnis zu Tieren, das Hagendorff als Spiegel unserer moralischen Verfasstheit versteht. Er findet vor allem in der Tierindustrie Sadismus und Gewalt, haarsträubende Prozeduren bei Geburt, Aufzucht, Transport, Tötung. Ein Optimierungswettlauf für riesige Mengen günstiges Fleisch, Hack, billige Wurst. Das funktioniere nur, wenn Menschen Umweltschäden, Schmerz und Leid hinnähmen, indem sie selektiv ihre Empathie ausschalten. Kreisläufe und Balance gibt es in der Tierindustrie schon lange nicht mehr.

Stimmt, sagt Heigl, darum geht es ihm, steht jetzt doch vom Tisch auf, der Gedanke wird griffiger: Am einzelnen Tier lernt man nicht nur mitzufühlen, es zeigt sich auch, wie ein Betrieb gestrickt ist und wie der Bauer, der ihn führt. Vom einzelnen Tier sollte man ausgehen, Heigl redet jetzt schneller, eindringlicher. Und Tierwohl, wie soll das gehen, wenn Tausende Schweine in Kästen fixiert sind?

Über manchen Geschichten hängen große Zusammenhänge wie dunkle Wolken: Landwirtschaft, Subventionen, Symbolpolitik, Fragen nach unserem Essen und der Moral darin; der Umstand, dass Menschen viel über Umweltzerstörung durch die Lebensmittelindustrie wissen, die Qualen der Tiere. Und doch meistens zum Fleisch aus den Kühltruhen der Discounter greifen.

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Kallmünz also, Landkreis Regensburg. Die Region hat wenig zwiebeltürmige Kulissenhaftigkeit, und Hubert Heigl, geboren 1964, an Gesicht und Körper nichts vom Krachlederbauern, den Bayern so gerne herzeigt. Er ist nicht nur Schweinezüchter, sondern auch Funktionär: Präsident von Naturland e.V.. In Deutschland organisiert der Verband rund 4200 Betriebe, mehr als 35 000 Öko-Höfe gibt es insgesamt. Heigl ist als einziger Ökobauer auch in der Borchert-Kommission, die eigentlich "Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung" heißt und von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eingesetzt wurde. Gerade trifft sich die Kommission zu entscheidenden Sitzungen, Klöckner möchte vor den Wahlen unbedingt einen symbolischen Schweinezucht-Beschluss durchs Bundeskabinett bekommen.

Verbraucher sollen bloß nicht mit höheren Preisen verschreckt werden

Der Fleischkonsum der Deutschen stagniert, das Prestige der Branche ist, zusammengefasst, mies. Die Kommission sollte Vorschläge erarbeiten, wie man all das verbessern könne. Vor einem Jahr veröffentlichte sie erste Empfehlungen, stellte fest, dass eine erfolgreiche Nutztierhaltung breite gesellschaftliche Akzeptanz brauche. Das Ziel sei "eine verbindliche Umorientierung in Richtung auf eine substantielle Erhöhung des Tierwohlniveaus bei möglichst geringen Umwelteinwirkungen". Unter den Worten ringen handfeste Interessen miteinander: Großbetriebe, Großschlachter, Hersteller von Pestiziden, Futtermitteln und Tiermedizin wollen ihre Erträge nicht verlieren, Supermarktketten sollen ihre Waren nicht von Billigerzeugern im Ausland beziehen. Vor allem: Verbraucher sollen nicht mit höheren Preisen verschreckt werden. Schwieriges Vorhaben im Land des Superbillig-Hackfleischs.

Die Kommission empfahl Prämien. Schweinezüchter sollten für ihren Mehraufwand entschädigt werden, der entsteht, wenn sie der konventionellen Schweinezucht ganz oder teilweise den Rücken kehren. Allerdings möchte Julia Klöckner ihr freiwilliges Tierwohllabel auch in der Kommission durchsetzen. Heigl atmet laut aus.

Wenn man Bauern im Ort fragt, erzählen sie lang und viel von Vorschriften, von Schwierigkeiten, Kontrollen und Frust. Davon, dass Heigl seine Sachen mit frischem Elan betreibe, bewundernswert. Jetzt gerade steht er zwischen Ställen im warmen Sonnenschein, erzählt von der Arbeit der Kommission, seine Stimme klingt fast heiter: So wie bisher könne es nicht weitergehen, das wüssten alle. Auf seinem Hof geht es genau darum: Es anders zu machen. Mittlerweile haben sie 90 Muttersauen in den Ställen.

Heigl hat in den Achtzigerjahren Landwirtschaft studiert. Damals war die Lehrmeinung der Hochschule: Produktion intensivieren, Erträge steigern, Gewinne maximieren. Ökologie war ein Randthema, eher was für Spinner. Er erzählt knapp von seinen Eltern, vorsichtige Worte: 1930er-Jahrgänge, viel Schulbildung, nun ja, hatten sie nicht. Der Vater arbeitete acht Stunden in der Fabrik, danach im Familienbetrieb, fünf Hektar Wald, elf Hektar Land, zwölf Kühe. Wurde eine Kuh krank, wusste das die Mutter sofort, es bedrückte sie, ein malades Tier im Stall war eine schlimme Sache. Sie pflegten es gesund, Heigl lacht, Tiere mit Familienanschluss waren das.

Er übernimmt den Betrieb der Eltern, versucht es mit dem Intensivieren. Schafft mit sechs Bauern im Dorf eine Pestizid-Spritze an, die Erträge steigen. Wenn sie beim Ausfahren Wind im Rücken haben, klebt ihnen Chemie auf der Haut. Gleichzeitig tauchen Pflanzengifte im Symbol des bayerischen Selbstverständnisses auf: im Bier. Heigl wird unwohl, so kann es nicht weitergehen, er stellt den Betrieb auf ökologische Prinzipien um.

Aus der Zeit bewahrt er eine erste Abrechnung der Landshuter Meyermühle auf, Knotenpunkt in der Kette ökologischer Lebensmittelherstellung, bekannt für strenge Auflagen: Sie hatten seinen Roggen akzeptiert, das Mehl wurde in der Münchner Hofpfisterei verarbeitet. Etwas leuchtet jetzt in seinem Gesicht. In der Zeit verpflichtete sich auch das Benediktinerkloster Plankstetten, nicht weit entfernt, dem ökologischem Landbau. Ein wichtiges Zeichen, sagt Heigl: eben nicht nur Spinner.

Die Tiere haben Ausläufe und Schlafplätze, winters toben Ferkel im Schnee

Mitte der Neunzigerjahre bauen sie ein Holzhaus auf den Hof der Schwiegereltern, bekommen fünf Kinder. Heigl arbeitet als Landwirtschaftsoberinspektor, Dienstaufgabe: Fachberatung für Schweinezucht. Sie übernehmen den Betrieb, stellen auch den um. Von da an: Schweine. Jahrelange Suche nach Lösungen für ökologische Zucht, Reisen durch halb Europa. Sie stellen fest, dass Stallhersteller keine Antworten für sie haben oder wenig Interesse. Am Ende steht da ein eigenes System: Außenklimaställe, die vor Wind und Regen schützen, aber nicht abgedichtet von der Umwelt sind, keine Belüftungsanlagen brauchen. Die Tiere haben Ausläufe und Schlafplätze, winters toben Ferkel im Schnee, wenn der wenige Niederschlag der Oberpfalz ihn hergibt.

Heigl klappt Türen auf, drinnen lautes Bohei, dreimonatealte Schweine stieben auseinander, es ist warm und trocken. Er zeigt zum Gatter, da hinten legen die Tiere Kotplätze an, halten ihre Boxen und den Bereich sauber, wo sie fressen. Haben wir nicht gewusst, sagt er, aber gehofft. Einmal fragte ein Schlachter, ob Heigl die Sau, die er brachte, gewaschen habe.

Im nächsten Stall hat in der Nacht eine Sau siebzehn Ferkel geboren. Eines liegt tot im Gang, Heigl streicht über den dunkelroten Knoten in der Nabelschnur. Passiert. Elf Muttertiere säugen in hüfthohen Boxen, Ferkelnester heißt so etwas. Sohn Stefan kümmert sich, beobachtet die Tiere durch Klappen, schiebt mit der Schaufel Plazenta in den Gang. In der Nacht hat er zweimal vorbeigeschaut. Industrielle Züchter schaffen 2,5 Schwangerschaftszyklen im Jahr, Hormone optimieren Geburten auf den Schichtanfang der Mitarbeiter. Die Heigls orientieren sich am natürlichen Rhythmus, ihre Tiere sind zweimal im Jahr trächtig, säugen drei Wochen länger als in konventionellen Betrieben.

Großzüchter drücken das Kilo Schweinefleisch auf 1,50 Euro. Bei den Heigls kostet es 3,90 Euro

Landwirtschaftliche Betriebe erstellen, was man eine Vollkostenrechnung nennt. Daraus resultiert der Preis, unter den zum Beispiel ein Kilo Schweinefleisch nach der Schlachtung nicht sinken darf, um wirtschaftlich zu sein. Großzüchter drücken ihn auf 1,50 Euro. Bei den Heigls liegt er bei 3,90 Euro. Nicht astronomisch teuer, aber wir müssen unseren Konsum schon ändern, sagt Heigl. Und dass die Umstellung auf ökologische Produktion nicht funktioniere ohne staatliche Unterstützung. Ohne den Mut, grundsätzliche Probleme anzufassen.

Er erzählt von konventionellen Betrieben in der Region, vom Stress der Bauern: Da muss eine neue Stallbelüftung her, Dünger, Pestizide müssen geplant werden, es gibt neue Vorschriften, wann Trecker auf den Acker dürfen. Manche ließen dann die Landwirtschaft gleich ganz sein, anstatt ihren Hof auf ökologische Prinzipien umzustellen. Die Heigls übererfüllen Vorschriften sowieso, hängen Schwalbennester auf, grübeln über Biodiversität und das spärliche Grundwasser der Gegend. Schau, Heigl zeigt nach oben zu Kästen unter einem Giebel, die Stare nisten schon.

Hört man bei anderen Verbandsvertretern aus der Kommission nach, sagen sie, dass die Beratungen vertraulich seien. Unter der Hand aber beschreiben viele Hubert Heigl als angenehmen Gesprächspartner, ergebnisoffen, kein Dogmatiker. Als seine Tiere im ersten Eichkreith-Winter in den neuen Ställen frieren, transportiert er sie wieder in den alten Bau, auch wenn er sie nie wieder in den engen Kästen sehen wollte. Rüstete nebenan Heizungen nach.

Grundsätzliche Probleme: Der Selbstversorgungsgrad misst, wie viel eines Produkts eine Gesellschaft im Verhältnis zum Bedarf herstellt. Für Schweinefleisch liegt er in Deutschland bei knapp 120 Prozent. Die Exportquote ist die drittgrößte der Welt, knapp hinter den USA und Spanien. Heigl zuckt mit den Schultern, da liegen auch industrielle Interessen.

Eigentlich, sagt Heigl, ist Julia Klöckners Tierwohllabel jetzt schon tot

Sehr viel komplizierter macht Julia Klöckner die Kommissionsarbeit. Heigl hat oft beim Ministerium nachgefragt, argumentiert und auf Granit gebissen. Die Maßgabe, ihr groß angekündigtes Tierwohllabel zu empfehlen, ist in Stein gemeißelt. Das Modell hat drei Stufen, überwölbt alles, funktioniert wie andere Ideen aus dem Ministerium auch: freiwillige Teilnahme, Prämien als Anreize, PR-Kampagne. Eine eigene Stufe für ökologisches Fleisch soll es nicht geben. Heigls Schweine würden unter dem Label verschwinden, der Mehraufwand, die weniger zerstörte Umwelt würde nirgends eingerechnet, von keiner Prämie kompensiert. Ökologisches Fleisch, antworteten sie ihm immer wieder, müsse sich eben am Markt rentieren. Heigls Stimme wird eine Spur fester. Neben einem staatlichen Zertifikat, wie soll das gehen? Von den Prämien würden vor allem Großzüchter profitieren. Eigentlich, sagt Heigl nach der Stallarbeit, ist das Label tot.

Der Bundesrechnungshof hatte Ausgaben für die Kampagne und den Sinn des Labels überprüft, schickte Ende März einen Bericht an das Ministerium. Darin lässt er kräftige Verben hageln, beanstandet, bemängelt, bezweifelt. Wolle die Ministerin etwas fürs Tierwohl tun, solle sie keine Werbekampagne veranstalten, sondern Verbesserungen der Haltungsbedingungen durch schärfere gesetzliche Mindestanforderungen anstrengen. All das liest sich wie der Vortrag eines geduldigen, aber bestimmten Lehrers, der einer Schülerin komplettes Unvermögen bescheinigt.

Gegen ein Gatter gelehnt zählt Hubert Heigl Nistvögel auf, spricht über Beikräuter auf seinen Feldern, die Insekten anlocken und kaum den Ertrag schmälern. In einem Stück Wald will er unterschiedliche Bäume pflanzen. Versuchen, ausprobieren, sagt er. Er zeigt auf seinen schlechtesten Acker, darauf will er eine Photovoltaikanlage bauen, Schafe grasen lassen.

Landwirte haben eine eigene Sprache, eigenen Witz. "Steinreich" seien sie hier, betonen die erste Silbe und meinen Kalkbrocken im Acker; dünne Auflage nennen sie die karge Schicht Humus auf Felsen des Jura, der ihnen die Landwirtschaft beschwerlich macht. Vielleicht wachsen dafür Ideen hier besser. Weiter südlich, auf den fetten Böden des Donautals, wirkt die Natur weniger fragil, Öko-Betriebe gibt es kaum. Heigl zeigt auf die sauber geringelten Schwänze seiner Ferkel. In Großbetrieben werden sie kupiert, sonst beißen die Tiere sie sich ab. Aus Frust über die Enge in den Kästen. Etwas passiert da in Hubert Heigl, eine Empörung wallt auf. Man muss etwas tun, einen Beitrag leisten. Dann macht er eine weite Handbewegung: Ich will das hier erhalten und die Natur an meine Kinder nicht schlechter übergeben. Dafür müsse man das Ganze im Blick haben.

Das Ganze: In Deutschland werden mehr als 53 Millionen Schweine im Jahr geschlachtet. Ökologisches Schweinefleisch hat in Bayern einen Marktanteil von 0,6 Prozent.

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