Süddeutsche Zeitung

Tierhaltung auf dem Land:Streicheln und schlachten

Kaninchen verschwinden, Hühner werden geköpft, Enten gebraten: Wer auf dem Land aufwächst, weiß, wo das Fleisch herkommt. Das ist derzeit wieder sehr schick. Aber in Wirklichkeit nur schwer zu ertragen.

Von Ingrid Fuchs

Meinen Schüleraustausch haben die Kaninchen nicht überlebt. Nach zwei Wochen Südfrankreich wohnten sie nicht mehr in ihrem geräumigen Stall, sondern in der Gefriertruhe. Entsprechend war die Stimmung zu Hause. Die elterliche Begründung für den heimtückischen Mord an den Haustieren ihrer Töchter: "Ihr habt euch nie richtig um die Tiere gekümmert, aber ihr wusstet, was droht." Das stimmt leider. Denn anders als die Eltern von Freundinnen murrte mein Vater nicht einfach nur, wenn er den stinkenden Stall ausmistete. Nach einer nicht näher definierten Zahl töchterlicher Nachlässigkeiten griff er tatsächlich zum Messer.

Papa schlachtet, Mama kocht. Was mir in meiner Kindheit und Jugend barbarisch erschien, macht heute zumindest den Fleisch essenden Teil meiner Freunde neidisch. Unter ernährungsbewussten Städtern gilt es als Luxus, genau zu wissen, wo das Essen herkommt. Vorzugsweise regional und bio soll es sein. Und früher mal glücklich. Aber selbst für ein gutes Leben des Tieres zu sorgen, das man später verspeisen will? Das ist den meisten zu viel, auf nähere Bekanntschaft zum noch lebenden Tier legt kaum jemand gesteigerten Wert.

Dahinter stecken wahlweise ethische Skrupel, Scheinheiligkeit, die ausgeprägte Fähigkeit zum irrationalen Handeln, oder, anders formuliert, die bekannte Frage: Welches streichelst du und welches isst du? Logisch kaum zu begründen, also bitte nicht damit konfrontieren.

Tiere töten: ein 360°-Schwerpunkt

Das Schnitzel war einmal ein Kälbchen. So viel ist uns meist bewusst. Aber wie ist es eigentlich gestorben? Damit beschäftigen sich viele Menschen nicht, obwohl sie das Produkt Tier sehr schätzen: Ein Deutscher isst im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr - die Industrie verdient hierzulande Milliarden Euro. Die Süddeutsche Zeitung hat sich dem Thema "Tiere töten" aus verschiedenen Blickwinkeln genähert: vom unüberschaubaren System der Produktion über moralische Bauern bis hin zur Frage, warum so viele Menschen kein Problem mit dem Verzehr eines Tieres - wohl aber mit seinem Tod haben.

In der Stadt kann man sich diesem unangenehmen Gedanken problemlos entziehen. Der süße Hase bleibt in seinem Stall auf dem Balkon. Der Braten kommt aus dem Gefrierfach im Supermarkt. Die optische Ähnlichkeit ist überschaubar, eine emotionale Bindung nicht vorhanden, die Konfrontation mit dem Tod nicht nötig. Wer auf dem Land aufwächst, kann sich dem Sterben nicht entziehen - und erlebt leicht Traumatisches.

Athene, Hera und Aphrodite - so hießen die nach dem Schüleraustausch verschwundenen Kaninchen - begründeten nur eine von vielen Krisen auf dem elterlichen Bauernhof. Ente Marion, als blondes Küken von der Entenmutter verstoßen und deshalb von uns Menschenkindern aufgezogen, durfte zwar mit uns fernsehen und im Wohnzimmer spielen, landete aber später wie ihre Geschwister in der Röhre. Der Jäger brachte irgendwann Bambis Mama vorbei, zum selber Zerlegen. Und immer wieder verschwanden auf ominöse Weise junge Kätzchen, natürlich nicht, um gegessen zu werden. Sie waren in den Augen meiner Eltern schlicht überschüssig.

Damit kein Missverständnis entsteht: Alle Tiere wurden bis zu ihrem Tod gut behandelt, teils mit erheblichem Aufwand bedacht. Ein großes Gehege und frisches Gras für die Kaninchen, zu Zeiten der Vogelgrippe ein eigens gebauter Wintergarten für die Hühner oder ein Durchbruch in der Hausmauer, damit der Hofhund frei aus- und einspazieren kann. Aber all diese Tiere hatten einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Fleisch liefern, Eier legen, den Hof bewachen. Flauschig, süß oder von Kindern geliebt zu werden, qualifizierte nicht zum Überleben, und das machte meine Eltern für mich zu gefühllosen Unmenschen.

Dass das töchterliche Gezeter um den Mord an Kaninchen und Co. durchaus auch eine scheinheilige Seite hatte, zeigte sich an den flauschigen Küken. Ihr Tod durchs Beil stand nämlich nie in Frage. Zwischen niedlich und bratfertig wurden sie zu Hühnern, für uns das Gegenteil von süß, klug oder nett - nicht so schlimm also, wenn diese Tiere geschlachtet werden. Meine große Schwester wollte als Kind sogar immer dabei sein, wenn den Hühnern der Kopf abgeschlagen wurde.

Die Auswahl trafen die Eltern schon vor dem großen Schlachttag, einzeln brachte mein Vater die Hennen vom Stall zum Misthaufen hinter dem Stadel, wo ein hölzerner Klotz stand. Mit einer Hand hielt er das Huhn so am Rücken, dass es nicht mehr flattern konnte und drückte es fest auf den Holzpflock. Mit der anderen ließ er das Beil auf den Hals des Tieres rasseln - für meine Schwester ein blutig-unterhaltsames Spektakel.

Oben im Haus wartete die Mutter mit einer Wanne voll heißem Wasser, um die Hühner abzubrühen und zu rupfen. Anschließend wanderten die Tiere - jetzt schon nicht mehr Hühner, sondern Geflügel - in die Gefriertruhe, "um nicht mehr zu wissen, welche welche war", wie meine Mutter sagte. Auch eine Art der Verschleierung, um nicht mehr so genau vor Augen zu haben, wen oder was man sich später auf der Gabel in den Mund schiebt. Und dennoch: Tiere selbst aufzuziehen, auf ihr Wohlergehen zu achten, sie selbst zu schlachten und zuzubereiten, ehrlicher ist Fleisch wohl nicht zu bekommen. Wer mit dem Aufwachsen auf dem Bauernhof allzu viel Romantik verbindet, dürfte von der Realität schockiert sein - das war ich als Kind auch hin und wieder.

Der Schreck ist mittlerweile Pragmatismus gewichen, die Doppelmoral ist geblieben. Die große Schwester ist seit Jahren Vegetarierin und lebt bei unseren Eltern auf dem Hof, ihre Kinder haben seit kurzem Kaninchen. Zwei Weibchen, ein Männchen - Nachwuchs ist also garantiert. Der Opa wetzt schon mal das Messer. Mitessen werde ich wohl nicht. Die Tiere sind einfach zu niedlich.

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