Süddeutsche Zeitung

Der älteste Tierfriedhof der Welt: Hundebüsten vor blank geputztem Marmor

Der Cimetière des Chiens in Paris ist ein Freilichtmuseum für die Liebe des Menschen zum Tier. Hier finden Hunde und Katzen ihre ewige Ruhe. Aber: Brauchen Tiere einen Friedhof?

Von Anant Agarwala, Asnières-sur-Seine

In einem hellen Holzsarg, ausgekleidet mit weißem Satin, wird er seine letzte Ruhe finden. Sein Kopf wird auf einem weichen Kissen liegen, und er wird als Totengewand das anhaben, was ihm immer am besten stand: sein rotes Fell. Spartacus. Heute trägt man den Kater zu Grabe.

Dominique Schutrumpf, 60, hat eine Perlenspange im silbernen Haar und hat für den Tag des Abschieds ein Oberteil ausgesucht, auf das grüne, gelbe und blaue Katzen gedruckt sind. Sie ist das Frauchen. Schutrumpf verschwindet in dem kleinen Kabuff, in dem Spartacus aufgebahrt liegt. Noch einmal seinen dichten Backenbart kraulen, ein paar letzte Worte. Nach sieben Minuten kommt sie wieder raus und nickt. Der Sarg kann jetzt zu.

Die Prozession besteht aus drei Leuten. Schutrumpf geht voran. Ihr folgt der Totengräber, er trägt den Sarg. Schließlich der Bestatter, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, darin eine Plakette, schwarze Schrift auf goldenem Grund: Spartacus, genannt Kleiner Wolf, 2010-2019.

Es ist ein sonniger Apriltag in Asnières-sur-Seine, einer Pariser Vorstadt mit knapp 90 000 Einwohnern. Van Gogh und Renoir ließen sich hier am Flussufer seinerzeit zu Impressionistischem inspirieren, heute zieren Halal-Schlachter und Geschäfte für Shisha-Bedarf die Hauptstraße. Asnières-sur-Seine bietet eine einzige Attraktion: den ältesten Tierfriedhof der Welt, so steht es auf dem Schild neben dem Eingang. "Cimetière des Chiens" prangt in Gravur auf dem Torbogen, daneben das Jahr seiner Eröffnung: 1899.

Auf der einen Seite des Parks donnern Lastwagen eine Schnellstraße entlang, auf der anderen rattert die Metro über die Brücke Richtung Paris. Aber betritt man den Friedhof, packen dichte Kastanien den Lärm in Watte. Man hört Rotkehlchen und Amseln und die Schritte der wenigen Besucher über den Kies. Ein paar Meter die Böschung hinunter schimmert die Seine.

Anderthalb Quadratmeter für acht tote Katzen sind nicht viel, aber die Erde ist tief. Für Totengräber Jonathan macht es keinen Unterschied, ob er für Menschen oder Tiere den Spaten ansetzt. Seine Arbeit ist dieselbe: Er buddelt ein Loch. Heute hat er mit seinem Brecheisen noch steinerne Grabplatten aufgestemmt und den Blick auf weitere Särge freigegeben. Spartacus wird der achte ewige Gast im Familiengrab.

"Ich liebe dich mehr als alles auf der Erde"

Brauchen Tiere einen Friedhof? In Paris, wo fast niemand einen Garten hat, vielleicht mehr als anderswo. Es war die Frauenrechtlerin Marguerite Durand (sie besaß eine Löwin namens Tiger) die 1899 gemeinsam mit einem Anwalt den Cimetière des Chiens eröffnete. Für Schutrumpf stellte sich die Frage nicht, als vor 19 Jahren Utrillo starb, ihr erster Kater. "Das hat etwas mit Respekt zu tun", sagt sie. Den Grabstein habe sie selbst gestaltet, ein geschliffener schwarzer Granit mit goldener Inschrift: "17 Jahre der Liebe und Osmose. Dein Frauchen." Und, etwas abgesetzt: "I will survive". Schutrumpf meinte damit sich selbst. "Ich habe anderthalb Jahre um ihn geweint", sagt sie. Sie wisse, dass viele Menschen Leute wie sie für verrückt hielten. Und wenn schon. "Meine Katzen sind wie Kinder für mich. Ich bin davon überzeugt, dass auch Tiere eine Seele haben."

Der Cimetière des Chiens ist ein Freilichtmuseum für die Liebe des Menschen zum Tier. Hundebüsten vor blank geputztem Marmor, Fotocollagen von Herrchen und Tierchen an glücklichen Tagen. Und Abschiedsbriefe, verewigt auf Porzellan: "Deine Abwesenheit ist so schwer zu ertragen, dass ich daran bemessen kann, wie sehr ich dich geliebt habe." (Für Elvis, 1997-2010, Terrier).

"Ich liebe dich mehr als alles auf der Erde. Mein Herz weint. Dein Papa Rachid." (Für Zizou, 1998-2012, gestreifter Kater).

"Es ist die Hoffnung, dich eines Tages wiederzusehen, dich erneut an mir spüren zu können, die mich durchhalten lässt. Deine Mama" (Für Caramel, 1996-2013, beigefarbene Hündin).

40 Sträucher für den verstorbenen Terrier

Durch die Namen auf den Grabsteinen lässt sich in die Seelen von Herrchen und Frauchen schauen. Wer seinen Hund Ulysse nennt (und hier liegen einige), sehnt sich vermutlich nach Abenteuern. Wer sich zu Großem berufen fühlt, tauft sein Kätzchen Kinshasa de Cabotcove Coon, wer seinem Dackel keinen Druck machen will, nennt ihn Rolfi. Jüngst begrub man ein Tier, benannt nach gegrilltem Hackfleisch. Köfte, Ruhe in Frieden.

Der herzförmige Grabstein von Elvis, dem Terrier, thront in einem Blumenmeer. Sein Frauchen, schwarzer Mantel, blutroter Lippenstift, um die 60, tritt ungeduldig gegen den Wasserhahn, um ihre Gießkannen zu befüllen. "Sehen Sie die ganzen Pflanzen hier? Dafür brauche ich anderthalb Stunden." Sie hat über die Jahre an die 40 Sträucher angekarrt, Elvis ruht nun in einer Allee. Mit einer Hand greift sie in die Erde eines Kübels: "Schon wieder trocken." Ihre zwei Handtaschen hat sie in einen Baum gehängt, damit keine Hindernisse im Weg liegen, wenn sie mit den Kannen von Strauch zu Strauch hastet. Dreimal die Woche komme sie seit Elvis' Tod auf den Friedhof. Er starb vor neun Jahren.

So viel Hingabe ist die Ausnahme. 1187 zahlende Pächter führt die Excel-Tabelle im kleinen Empfangshaus des Friedhofs auf, doch längst nicht alle kümmern sich noch um ihr Grab. Manch ein Name verschwindet unter Moos, manch ein Sockel ist besprenkelt mit Vogelkot. Es geht dem Tier in dieser Hinsicht nicht besser als dem Menschen.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2019/ick
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