Tiere:Waschbären-WG

Überall nur Osterhasen? Bei der Tierärztin Mathilde Laininger in Berlin leben drei sehr viel ungewöhnlichere Pelztiere: Fritzi, Marvin und Paul. Sie kuscheln gern, benutzen das Katzenklo und machen sonst jede Menge Blödsinn.

Von Hannah weber

Bei Mathilde Laininger sieht es aus wie im Kindergarten: Auf dem Boden liegt jede Menge Spielzeug verteilt, es gibt ein Bällebad und Stofftunnel, einen Rechenschieber, einen kleinen Roller aus Holz und sogar ein Planschbecken. Das Chaos haben Marvin, Paul und Fritzi verursacht - die allerdings sind keine Kinder, sondern Waschbären. "Und viel anstrengender als kleine Kinder", sagt die Tierärztin und lacht.

Gerade sitzen die drei ganz oben auf dem Bücherregal. Dorthin verziehen sie sich, wenn Besuch vorbeikommt: erst mal sicher von oben die Situation auschecken. Lange dauert es allerdings nicht, bis sie vorsichtig und mit dem Hintern voran am Regal herunterrutschen. Einer der Waschbären tapst zu dem unbekannten Rucksack auf dem Boden und beginnt ihn zu durchwühlen, kraxelt dann auf den Esstisch, fischt den Teebeutel aus der Tasse, bringt die Tasse ins Wanken, mopst einen Kugelschreiber und zerlegt ihn kurz darauf auf dem Boden. Zeit genug, um etwas in Sicherheit zu bringen? Fehlanzeige.

Tiere: Ja, das ist ein Katzenkratzbaum. Nein, das ist keine Katze. Hier chillt Waschbär Marvin im Wohnzimmer.

Ja, das ist ein Katzenkratzbaum. Nein, das ist keine Katze. Hier chillt Waschbär Marvin im Wohnzimmer.

(Foto: STEFANIE LOOS/AFP)

Tatsächlich ist schon eine Menge kaputtgegangen, seit Fritzi vor einem knappen Jahr bei Mathilde eingezogen ist. "Einmal hat sie die Tasten aus dem Laptop gepult, ein anders mal die Bücherrücken von meinen Tiermedizin-Fachbüchern gerissen", sagt sie. Doch das aufregende Leben mit den Waschbären sei jeden zerstörten Gegenstand, den Ärger und das Chaos wert.

Waschbären fand Mathilde schon immer toll: "Sie sind wahnsinnig intelligent und natürlich auch sehr süß." Deshalb musste sie nicht lange überlegen, als Fritzi im Mai 2021 zu ihr gebracht wurde. Etwa drei Wochen alt war sie da, ein paar Jungs hatten das verlassene und unterkühlte Waschbärbaby aus einem Bach im Berliner Umland gerettet. Die Tierärztin kümmerte sich um Fritzi und päppelte sie wieder auf. Alle drei Stunden gab sie ihr Milch aus der Flasche, eine Herausforderung für die neue Ersatzmama, die sich nebenbei auch noch um ihren Hund Anouk und eine ganze Katzenpension kümmert. Ein Glück, dass Fritzi schnell gelernt hat, das Katzenklo zu benutzen.

Tiere: Freund oder Feind? Wenn Besuch vorbeikommt, flüchten die Waschbären aufs Bücherregal – bis die Neugier sie wieder runtertreibt.

Freund oder Feind? Wenn Besuch vorbeikommt, flüchten die Waschbären aufs Bücherregal – bis die Neugier sie wieder runtertreibt.

Viele Wildtiere, die verletzt oder verlassen gefunden werden, dürfen zurück in die Freiheit, wenn sie sich erholt haben. Auswildern nennt man das. Bei Waschbären aber ist das nicht erlaubt. Sie stehen auf der Liste invasiver Arten. Das heißt, dass sie in Deutschland eigentlich nicht vorkommen und heimischen Tieren und Pflanzen schaden können. Mittlerweile leben trotzdem rund eine Million Waschbären in Deutschland, sie wurden aus Nordamerika eingeschleppt und haben sich hier vermehrt. In den meisten Bundesländern ist es erlaubt, sie zu jagen. Mathilde kann darüber nur den Kopf schütteln: "Es sollte eine andere Lösung geben. Wir müssen lernen mit den Waschbären zu leben, statt sie zu jagen."

Tiere: Laininger ist nicht nur Waschbärfan, sondern auch Tierärztin. Das macht sie zur idealen Ersatzmama für die drei Waschbären.

Laininger ist nicht nur Waschbärfan, sondern auch Tierärztin. Das macht sie zur idealen Ersatzmama für die drei Waschbären.

(Foto: privat)

Weil sich schnell herumgesprochen hat, dass Fritzi bei Mathilde ein neues Zuhause gefunden hat, kamen bald auch Marvin und Paul dazu. Auch sie wurden gefunden, als sie noch ganz klein waren. Marvin fehlt ein Vorderbein, in der Natur hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Durch den frühen Kontakt zu Menschen sind alle drei Waschbären zahm und kuscheln sogar gerne. Trotzdem sind Waschbären eigentlich keine Haustiere, sondern wilde Tiere. Mathilde musste deshalb erst mal ihr Haus waschbärensicher machen: Im Garten steht jetzt ein großes Gehege, im Keller haben die Waschbären ein eigenes Schlafzimmer und der Balkon ist zum Abenteuerspielplatz mit Rutsche, Schaukel und Planschbecken geworden. Ansonsten bewegen sich die Tiere fast überall frei durchs Haus, nur das Obergeschoss ist tabu. Manchmal darf aber trotzdem einer der Waschbären bei ihr im Bett schlafen.

Jetzt aber ist keine Schlafens- sondern Spielzeit: Während Paul kopfüber auf dem Balkon turnt, dreht Fritzi einen roten Flaschendeckel im Planschbecken auf dem Balkon. Waschbären lieben Muscheln, kleine Krebse und alles, was sich unter Steinen im Wasser verbirgt. Deshalb werkeln sie mit ihren kleinen Pfoten gerne im Wasser herum. Das sieht aus, als ob sie waschen würden und hat ihnen wohl ihren Namen eingebracht. Egal, wie viel Spielzeug und Unterhaltung sie haben - es ist wichtig fürs Waschbärenglück, diesen Instinkt auszuleben. Minutenlang ist Fritzi voll bei der Sache, und hört erst auf, als Mathilde eine Dose mit Nüssen herausholt und eine Mandel gegen den Flaschendeckel tauscht. "Nüssen sind ihr Lieblingsessen", sagt Mathilde, "Waschbärenschokolade sozusagen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: