Tiere:Operation Schwalbe

Kühles Sommerwetter in Norddeutschland

Im Herbst, wenn auch die Jungvögel groß und stark sind, brechen die Schwalben in Richtung Süden auf. Normalerweise jedenfalls.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Wenn Zugvögel den Weg in den Süden nicht schaffen, müssen sie sterben. Oder ein Flugzeug nehmen. Die Geschichte einer einzigartigen Rettungsaktion.

Von Kathleen Hildebrand

Vieles in der Natur passiert von ganz allein. Der Mensch muss sich nicht darum kümmern, dass Flüsse fließen, dass Bäume ihre Blätter im Herbst abwerfen und dass Zugvögel in den Süden fliegen. Störche, Drosseln und Schwalben wissen selbst, wann sie los müssen. Sie versammeln sich im September oder im Oktober und fliegen gemeinsam zu ihren Winterplätzen. Manche Schwalben fliegen bis zu 13 000 Kilometer weit, zum Beispiel nach Südafrika. Wie sie den Weg finden, wissen Forscher bis heute nicht genau.

Doch im Jahr 1974 war alles anders. Überraschend begann der Winter schon im September. Weil es so kalt war, gab es nicht genügend Insekten, von denen sich die Schwalben ernähren. Und ohne Futter waren sie zu geschwächt für den Flug nach Süden über die kalten Alpen. Piloten berichteten von Zigtausenden schwarzen Flecken im Schnee. Es dauerte einen Moment, bis sie verstanden: Das waren tote Schwalben, die beim Überflug erfroren oder verhungert waren. Die Alpen waren zu einer unüberwindlichen Barriere geworden. Es war klar: Die Schwalben brauchten Hilfe.

Was dann begann, war eine Rettungsaktion, wie es sie vorher und seither nicht gegeben hat. Etwa zwei Millionen Schwalben wurden mit Flugzeug, Bahn und Auto in den Süden Europas transportiert. Naturschützer und Vogelfreunde, Polizei, Bundeswehr und Feuerwehr halfen bei der Rettung. Sie fingen sie ein, fütterten sie mit Hackfleisch und Mehlwürmern, setzten sie vorsichtig in Kisten und Kartons. Und dann? Fuhren oder flogen sie nach Süden. Manche in Privatautos oder dem Zug, andere in Flugzeugen.

In Frankfurt, München oder Stuttgart hoben sie ab und landeten in Südfrankreich, Italien, Spanien, in Portugal oder gleich in Marokko, das schon auf dem afrikanischen Kontinent liegt. Dort fraßen die Schwalben sich dick und flogen dann weiter in ihre angestammten Winterquartiere südlich der Sahara. Nicht alle überlebten den Flug in der Kiste. Manche Vögel, vor allem solche, die aus kalten Berggegenden gerettet wurden, waren schon so geschwächt, dass sie unterwegs im Flugzeug starben.

Meistens aber war es so: Die Kartons wurden ausgeladen und, kaum geöffnet, stoben die kleinen Vögel davon. Hinauf in die warme Luft des Südens. Manche Tierschützer hatten Sorge, dass die Schwalben sich nicht orientieren könnten, wenn sie plötzlich in Rom wären, obwohl sie in den Jahren zuvor vielleicht über Spanien nach Afrika geflogen waren. Aber das war kein Problem. Schwalben haben keine bevorzugte Route in den Süden, sondern können ganz verschiedene Wege nehmen. Hauptsache, es gibt unterwegs überall genug zu fressen. Seit dieser abenteuerlichen Reise haben die Schwalben die Hilfe der Menschen zum Glück nicht mehr gebraucht.

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