Süddeutsche Zeitung

Tiere:Die spinnen!

An Tim Lüddeckes Arbeitsplatz leben meist mehr als 200 Spinnen, sein Lieblingshaustier heißt große Agathe. Ein Gespräch über Fangbecher, ausgeklügelte Gegengifte und warum sie im Labor grundsätzlich mindestens zu zweit arbeiten.

Interview: Birk Grüling

SZ: Was machen Sie, wenn sich eine Spinne über Ihrem Bett abseilt?

Tim Lüddecke: Ich freue mich. Jede Spinne im Raum bedeutet weniger lästige Insekten. Und Mücken fressen sie besonders gern.

Äh, und wenn mir die Mücken doch lieber sind ...

... dann stülpe ich ein Glas über die Spinne und schiebe vorsichtig ein Blatt drunter. So kann ich sie verletzungsfrei rausbringen. Ich sollte ein paar Meter gehen. Spinnen finden schnell zu ihrem Netz zurück.

Manche würden jetzt vielleicht sagen, der spinnt, der Tim.

Das war schon immer so. Andere wollten einen Hund, ich fand Ameisen als Haustiere schon als Kind viel spannender. Als Jugendlicher fing ich an, Vogelspinnen zu züchten, mache das bis heute. Jetzt bin ich halt Spinnenforscher.

Ein lebensgefährlicher Beruf!

Von den weltweit 50 000 bekannten Spinnenarten sind nur etwa zehn tödlich für Menschen. Sie leben in Südamerika und Australien, und wir kennen gute Gegengifte. Deshalb sterben nur sehr selten Menschen durch den Biss einer Spinne. In unserem Labor leben im Moment nur einheimische Arten wie der Ammen-Dornfinger. Die ist ziemlich scheu.

Eine Schisserspinne?

Die aber, wenn sie geärgert wird, durchaus zubeißen kann. Das tut aber etwa nur so weh wie ein Wespenstich. Auch Vogelspinnen können zwar ordentlich zubeißen und sogar ihre Haare verschießen. Das alles tut weh, ist aber nicht tödlich.

Wie schützen Sie sich?

In der Regel hilft ein gutes Auge und Erfahrung. Ich erkenne, wenn eine Spinne schlechte Laune kriegt und wann ich besonders vorsichtig sein muss. Wenn zum Beispiel eine Vogelspinne sauer wird, zieht sie die Vorderbeine hoch und zeigt die Klauen. Nun sollte man sie entweder in Ruhe lassen oder schnell einen Fangbecher darüber stülpen.

Können Sie verstehen, wenn Menschen Angst vor Spinnen haben?

Ich glaube, die Angst entsteht durch Unsicherheit. Wüssten die Menschen mehr über die Spinnen, wäre sicher auch ihre Begeisterung viel größer.

Begeistern Sie mal ...

Spinnen können Wände hochlaufen. Sie haben Super-Sinne, einige können kleinste Bewegungen ihrer Beute wahrnehmen. Sie haben die besten Waffen des Tierreichs. Ihr Gift kann deutlich größere Tiere außer Gefecht setzen. Spinnenfäden sind reißfest und eine tolle Waffe. Manche Spinnen verschießen sogar klebrige Seidentropfen mit Gift daran.

Spinnen die?

Ganz im Gegenteil. Spinnen sind ziemlich schlau. Springspinnen erkennen zum Beispiel ganz genau, wohin ihre Beute fliehen möchte, und schneiden ihnen geschickt den Weg ab. Dafür braucht es schon ein bisschen Grips. Leider trauen wir große Klugheit eher Vögeln oder Hunden zu, aber nicht den Tieren, vor denen wir uns eher ekeln.

Welche Spinnensuperkraft hätten Sie gerne?

So Spinnennetze wie bei Spiderman wären schon praktisch. Damit kommt man gut durch die Stadt oder hat eine super Verlängerung für die Arme. Ungern hätte ich dagegen ihre feinen Sinne. Sie reagieren auf Geräusche, Erschütterungen oder Bewegungen sehr sensibel. Das wäre in einer lauten Großstadt ziemlich unpraktisch.

Sie erforschen das Gift von Spinnen. Was ist daran so interessant?

Spinnengifte wirken sehr genau und sehr schnell. Das ist für die Medizin interessant. Vielleicht können wir mit Spinnengift bald Menschen helfen, die starke Schmerzen haben. Außerdem tötet Spinnengift Insekten. Vielleicht können wir neue Mittel entwickeln, die die Pflanzen auf den Feldern vor gefräßigen Käfern schützen, ohne die Natur zu belasten.

Wie kommen Sie an das Gift der Tiere heran?

Die meisten Spinnen in unserem Labor sind sehr klein und können nicht gemolken werden. Denen schneiden wir ihre Giftdrüsen heraus. Das machen wir unter dem Mikroskop. Dafür müssen wir sie zuvor töten.

Wie lange leben die bei Ihnen?

Wir sammeln die meisten Spinnen auf der Wiese vor unserem Labor. Dort gibt es Tausende. In der Regel bleiben sie nur ein paar Wochen bei uns. Die meisten einheimischen Spinnen werden aber aum älter als ein Jahr. Vogelspinnen-Weibchen können 25 Jahre alt werden.

Geben Sie den Spinnen Namen?

Im Labor leben oft 200 Spinnen gleichzeitig. Die kriegen keinen Namen. Zu Hause ist das anders. Meine große Agathe zum Beispiel habe ich schon seit acht Jahren. Zu ihr habe ich eine enge Beziehung, vielleicht so wie andere zu ihrem Hund.

Ist Ihnen schon mal eine Spinne verloren gegangen?

Beim Umsetzen oder Terrarium säubern läuft natürlich schon mal eine weg. Das ist aber nicht weiter schlimm. Nach ein bisschen Möbelrücken ist sie schnell wieder eingefangen. Wirklich dramatisch wäre eine entlaufende Spinne im Labor.

Ähhh, warum?

Wir arbeiten in einem Hochsicherheitslabor. Hier können Spinnen mit Chemikalien und Mikroorganismen in Kontakt kommen, die nicht einfach nach draußen zu den anderen Spinnen gelangen sollten. Eine zwei Zentimeter kleine Spinne ist ziemlich schnell verschwunden. Deshalb arbeiten wir immer zu zweit. Einer untersucht die Spinne, der andere hat einen Becher griffbereit ...

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Quelle:
SZ vom 05.03.2022
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