Es ist kurz vorm Nichts, kurz bevor sich die Stimme in ein Rauschen verflüchtigt, abgenagt bis auf die wispernde Grundstruktur, darauf getrimmt, leise zu sein.
Flüstern ist ein Zwischenreich für die Ohren, fast mehr Geräusch als Stimme. Es stellt Nähe und Entfernung gleichzeitig her. Nah ist der, dem eingeflüstert wird, mit Abschirmhand rund ums Ohr: Geheim, nur für dich! Ganz weit weg sind plötzlich die anderen, obwohl sie direkt daneben stehen: Die Mitspieler bei "Stille Post", die anderen auf der Beerdigung, der gerade mal wieder saudoofe Paul, das Theaterpublikum, wenn der Souffleur den Texthänger unauffällig behebt, die Deutschlehrerin, die fies abfragt. Auch Vorsagen ist Flüstern.
Wie Schnee den Lärm der Welt dämpft, so erzeugt Flüstern im Handumdrehen Stille. Pssst, verstehe ich was? Flüstern ist anstrengend. Die Stimmlippen pressen sich dabei zu einem Dreieck. Wer heiser ist, sollte nicht flüstern. Alle anderen: Los! Je leiser, desto flüstigerer.
Sogar Tiere können flüstern. Wale etwa, mit ihren meeresdurchdringenden Gesängen, können auch ganz leise. Dann nuscheln Walmamas im Rauschen der Brandung meterkurze Nachrichten: Nur für dich, mein Walbaby!
Flüstern ist mit das Erste, das Menschen wahrnehmen. Noch lange bevor sie sprechen können. Wenn der Mensch noch zentimeterklein im Bauch der Mutter ist: Das Ohr - ja, dafür braucht man dann eine Superlupe - entwickelt sich als erstes Organ. Die zweite Hälfte der Schwangerschaft hören Babys mit. Den Herzschlag der Mama, ihre Verdauungsgeräusche, aber eben auch: die Stimmen von Mama, Papa, Schwester ... im Bauch drinnen kommen sie als Flüstern an.
Vielleicht stellt es deswegen auch so eine schnelle Nähe her. Diesen Hauch von Dasein, Zeltgefühl sofort. Flüstern zieht den anderen mit unter die Bettdecke. Ein Himmel, nur für uns beide. Wir wispern, raunen, hauchen. Jedes Wort ein Flü-Stern.