Thema der Woche:Komm schon, Advent!

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(Foto: mauritius images / Bearbeitung SZ)

Muskatnuss, Nelken, Kardamom und Zimtzimtzimt: Nichts schmeckt so sehr nach Advent als Lebkuchen. Was er mit Knoblauch, Krieg und Kirche zu tun hat. Einmal reinbeißen, bitte!

Von Georg Cadeggianini

Es gibt Dinge, die erkennen wir mit geschlossenen Augen. Knoblauch zum Beispiel spätestens am Geschmack. Mama, auch durch die geschlossene Zimmertür, die Stimme reicht. Den Lieblingspulli, nichts auf der Welt ist so flauschig. Das Elefantengehege, wenn man sich im Tierpark verlaufen hat, und dann plötzlich wieder ganz in der Nähe ist, vielleicht sogar die Lieblingsautorin, am Sound ihrer Sprache?

Lebkuchen gehört eindeutig in die Kategorie Geschlosseneaugending. Muskatnuss, Nelken, Kardamom, Sternanis, Piment, Ingwer und vor allem Zimtzimtzimt – es müssen Tollkühne gewesen sein, die diesen Gewürzhaufen zusammengerührt haben. Und doch ergibt genau dieses Ineinander der vielen, ganz verschiedenen Geschmäcker das Lebkuchige. Die Kruste, egal ob Schokolade oder Zucker, die wie Eis splitternd bricht, darunter das Würzige, Locker-Saftige, die Nüsse, Mandeln, immer wieder ein paar herbe Noten, Orange, Ingwer, Röstaromen ... Nichts steht so sehr für die Vorweihnachtszeit wie dieser bierdeckelkleine Gewürzkoffer: eine Geschmacksexplosion in alle Richtungen.

Dabei war – erste Überraschung – Lebkuchen zunächst gar nicht so gedacht. „Zunächst“ ist ziemlich lange her. Manche Forschende sehen Lebkuchenbäcker schon auf Wandgemälden der alten Ägypter, lange vor Christi Geburt. Logisch, dass es da kein Weihnachtsgebäck war. Weihnachten war schließlich noch gar nicht erfunden. Lebkuchen und ihre sicherlich anders gewürzten Vorgänger gelten als ältestes Gebäck der Menschheit überhaupt. Und es gab sie jahrhundertelang das ganze Jahr über. Gesüßt wurde traditionell mit Honig. Gebacken wurde in dem, was nach den Broten noch an Glut im Ofen übrig war, oft in großen, mehrere Kilo schweren Laiben. Der Honig machte das Produkt lange haltbar. Noch heute zählt der Lebkuchen zu den Dauerbackwaren.

Hierzulande wurden die ersten Lebkuchen im Mittelalter gebacken. Oft in Klöstern, oft in Städten, in denen sich Handelswege kreuzten und man günstig oder überhaupt an exotische Gewürze kam. Der Lebküchner war damals ein eigener Beruf wie Dachdecker oder Ärztin. Überall entstanden Lebkuchenzentren, überall mit eigenen Rezepten. Bekannt sind bis heute etwa „Aachener Printen“, „Nürnberger Lebkuchen“ oder „Pulsnitzer Pfefferkuchen“. Andere sind selten geworden oder ganz ausgestorben, oft mit lustigen Namen: „Liegnitzer Bomben“, „Ratiborer Pfefferkuchen“, „Neisser Konfekt“, „Thorner Pflastersteine“, „Coburger Schmätzchen“.

„Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“ Das Pfefferkuchenhaus gehört zum Kindheitstraum wie die Nutellabadewanne oder ein Pool voll Pommes. Pfeffer übrigens wird für Lebkuchen nicht verwendet. Der Name kommt daher, dass man im Mittelalter alle exotischen Gewürze unter dem Begriff Pfeffer zusammenfasste: von irgendwo anders her.

Es gibt lustige Geschichten rund um den Lebkuchen. Eine der schönsten ist die Liebesanfrage per Lebkuchen: Der Junge (damals machte das immer der Junge) buk oder besorgte einen Lebkuchen in Form eines Liebespaars. Er traf sich mit dem Mädchen, das er gern küssen würde, suchte nach einer guten Gelegenheit, druckste ein wenig herum und überreichte ihr dann den Lebkuchen. Das Mädchen konnte jetzt entscheiden: Entweder es steckte den Lebkuchen ein. „Vielen Dank, wir sehen uns“: Antrag abgelehnt. Oder das Mädchen biss vom Lebkuchenliebespaar ab: Zack, der Lebkuchen wird zum Liebkuchen.

Zum Adventsding wurde der Lebkuchen vor etwa 400 Jahren. Damals wütete der Dreißigjährige Krieg in Europa und brachte Elend über die Menschen. Kleiner Nebeneffekt: Die Lebkuchenzutaten wurden so teuer, dass sie sich niemand mehr leisten konnte und nur noch kurz vor Weihnachten gebacken wurde. Seitdem also, seit unseren Ururururururururururgroßeltern ist das Lebkuchige mit der Vorweihnachtszeit verdrahtet. Obwohl viele Lebkuchen auf einer Oblate liegen, hat das nichts mit Religion zu tun. Ein Lebkuchen ist keine aufgemotzte Hostie! Es gibt keine Schokoladeneucharistie. Die Oblate dient einfach nur dazu, damit das Ding im Ofen nicht anpappt. Basta.

Obwohl? Immerhin fiebern wir im Advent Weihnachten entgegen, Christi Geburt – und das mit jeder Menge Lebkuchen, ab und zu gern auch mit geschlossenen Augen!

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