Süddeutsche Zeitung

Technik:Gott sei Hand

Künstliche Körperteile können heute ziemlich viel. Sie werden durch Gedanken gesteuert und müssen wie Handys über Nacht aufgeladen werden.

Wenn Patrick Mayrhofer seine linke Hand bewegt, klingt das wie eine Mischung aus Zikadenzirpen und elektrischer Zahnbürste. Das machen die kleinen Motoren in seiner Hand. Denn Patrick, 29, hat eine künstliche Hand. Seine richtige verlor er nach einem schweren Unfall. Vor fünf Jahren bekam Patrick eine Ersatzhand und war einer der weltweit ersten Menschen mit einer sogenannten myoelektrischen Handprothese.

Wie einen Schuh stülpt er seine künstliche Hand über den Unterarm bis über den Ellenbogen. Er steuert sie mit seinen Gedanken. Will er zugreifen, muss er sich vorstellen, seine fehlende Hand zu bewegen. Dadurch sendet sein Gehirn Signale an die noch vorhandenen Muskeln. Die Muskeln leiten diese Signale weiter an die Prothese, die dann tatsächlich zugreift. Das alles passiert ganz schnell, in Millisekunden. Patrick kann sieben verschiedene Handpositionen ausführen - und notfalls einen heißen Topf vom Herd nehmen, ohne sich zu verbrennen (auch wenn er mit dem Silikonüberzug aufpassen muss).

Patrick hat einen weißen Überzug. Er könnte auch einen hautfarbenen nehmen, dann würde die künstliche Hand nicht so auffallen. Aber Patrick ist stolz auf sie. Er möchte sie gar nicht verstecken.

Weltweit versuchen Wissenschaftler, Menschen zu unterstützen, denen Körperteile fehlen. Eine Erzieherin aus Tennessee etwa bekam einen myoelektrischen Arm, eine Frau aus Boston, die bei einem Attentat ein Bein verloren hat, kann sogar wieder tanzen.

Am Abend muss Patricks künstliche Hand an den Strom. Akku aufladen, wie ein Handy, für den nächsten Tag: Denn im Alltag gibt es viele Dinge, die man mit nur einer Hand kaum schafft. Schuhe binden zum Beispiel, ein Hemd zuknöpfen oder einen Joghurtbecher öffnen.

Dass seine Hand bei jeder Bewegung Geräusche macht, stört Patrick dabei nicht. Im Gegenteil, sie helfen ihm sogar. Schließlich spürt er seine Ersatzhand selbst nicht. "Mit den Geräuschen kann ich besser einschätzen, in welcher Stellung sie sich gerade befindet. Oder ob ich zum Beispiel zu fest zugreife."

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Quelle:
SZ vom 08.10.2016 / Franziska Bohn
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