Tauchen:Jenseits der Stille

"Man fühlt sich da euphorisch": Andreas Güldner taucht ohne Atemgerät - und hat nun seinen eigenen Tiefenrekord noch verbessert.

Christina Warta

Eigentlich ist der Alltag von Andreas Güldner aufregend genug: Als Minentaucher der deutschen Marine entschärft er unter Wasser Seeminen und andere Kampfmittel. Doch auch in der Freizeit springt der 23-Jährige aus Glücksburg ins Wasser, allerdings ohne Atemgerät: In Ägypten hat der gebürtige Nürnberger nun seinen eigenen deutschen Rekord im Tieftauchen um einen Meter verbessert - auf nunmehr 72 Meter. Andere Freitaucher lassen sich mit Gewichten beschwert in die Tiefe hinab, Andreas Güldner taucht mit eigener Kraft und einer Monoflosse an den Füßen. Von seinem ungewöhnlichen Sport profitiert dabei nicht nur er: Seine Sponsorengelder spendet Andreas Güldner Minenopfern.

Taucher, Andreas Güldner, oh

"Es ist still da unten. Komplette Stille ist da. Man ist umgeben von einem ganz tiefen Blau, das kann man gar nicht richtig beschreiben."

(Foto: Foto: oh)

SZ: Wie ist es denn in 72 Metern Tiefe, Herr Güldner?

Güldner: Es ist still da unten. Komplette Stille ist da. Man ist umgeben von einem ganz tiefen Blau, das kann man gar nicht richtig beschreiben. Der Herzschlag ist heruntergesetzt; das heißt, man hat ein zeitloses Gefühl da unten. Man hat das Gefühl, als bräuchte man nie wieder auftauchen.

SZ: Das klingt, als wäre es schön dort.

Güldner: Ja. Dieses Gefühl ist auch leicht berauschend. Aufgrund des Tiefenrausches, der dort unten auch zunimmt, fühlt man sich euphorisch.

SZ: In der Tiefe herrscht ein großer Druck. Wie spürt man das körperlich?

Güldner: Auf den ersten Metern hat man noch den Auftrieb zu überwinden, den die eigene Lunge hat. Aber die Lunge wird mit jedem Meter, den man abtaucht, stärker zusammengequetscht - und das fühlt man. Ab einer gewissen Tiefe kann die Lunge aber nicht mehr zusammengepresst werden, dann verlagert sich Blut aus Armen und Beinen in die Lunge rein. Die Lungengefäße werden stärker, Arme und Beine dagegen komplett nicht mehr durchblutet.

SZ: Das heißt, die Herausforderung für Sie ist es, den Beeinträchtigungen durch die Tiefe zu widerstehen und trotzdem weiter nach unten zu paddeln?

Güldner: Richtig, und dabei muss der Druckausgleich hinhauen. Man muss ja die Ohren ausgleichen, die schmerzen sonst extrem. Der Druckausgleich ist auch immer ein Hindernis. Man muss ab einer gewissen Tiefe die Luft aus der Lunge füllen und für den Druckausgleich beim Abstieg bereitstellen.

SZ: Wie funktioniert das? Atmen Sie möglichst tief ein, bevor Sie abtauchen?

Güldner: Vor dem Tauchgang mache ich eine Art Yoga-Atmung, um den Herzschlag herunterzubekommen, mich komplett zu entspannen, und auch, um möglichst viel frischen Sauerstoff in mein Blut zu bekommen. Dann noch ein letzter tiefer Atemzug, und ich gleite hinab.

SZ: Lassen Sie dabei auch Luft ab?

Güldner: Nein, die Lunge wird ja sowieso mit jedem Meter zusammengepresst. Da braucht man keine Luft abzulassen. Im Gegenteil: Es wäre sogar hinderlich, die Luft braucht man ja.

SZ: Wie lange benötigen Sie, um mit eigener Kraft nach unten zu tauchen?

Güldner: Die durchschnittliche Tauchzeit sind drei Minuten, einmal runter, einmal rauf. Das kommt auf die Tiefe an. Ich tauche mit einer Nasenklammer und habe die Augen offen. Man kann Konturen wahrnehmen, aber nicht scharf sehen.

SZ: Wie wird die Tiefe denn gemessen?

Güldner: Beim Rekordversuch wurde eine abgemessene Leine in die Tiefe gegeben, unten war eine Marke befestigt, die ich hochbringen musste. Zudem hatte ich einen Tiefenmesser an der Hand. Wenn beides übereinstimmt, gilt der Rekord. Wettkampfrichter bestätigten ihn.

SZ: Immer wieder ist von einem Weltrekord die Rede, der bei 214 Metern liegt. Da sind Ihre 72 Meter nichts gegen.

Güldner: Der Rekord stammt aus einer ganz anderen Disziplin. Da wurde mit einem Gewichtsschlitten getaucht, und ein Ballon bringt den Athleten an die Oberfläche. Das heißt, er muss sich nicht anstrengen, er wird erst nach unten und dann wieder nach oben gezogen. Das ist eine sehr gefährliche Sache. Wenn es Probleme mit der Technik gibt, kommt man aus so einer Tiefe nicht mehr alleine nach oben.

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"Die Gefahr ist kalkulierbar"

SZ: Aber Ihre Disziplin ist vermutlich auch nicht gerade ungefährlich, oder?

Tauchen: Im Schwimmbad ist es ein beliebtes Spiel: Luft anhalten. Mehr als sechseinhalb Minuten schafft es Andreas Güldner.

Im Schwimmbad ist es ein beliebtes Spiel: Luft anhalten. Mehr als sechseinhalb Minuten schafft es Andreas Güldner.

(Foto: Foto: dpa)

Güldner: Die Gefahr ist auf jeden Fall kalkulierbar. Ich habe ein gutes Team, das mich sichert.

SZ: Nun ja, nach unten tauchen müssen Sie ja immer noch alleine.

Güldner: Ich schwimme, auch im Training, an einem Seil nach unten. Und ich bin durch eine Sicherheitsleine mit diesem Seil verbunden. Falls mein Sicherheitstaucher mich nach einer abgesprochenen Zeit nicht sieht, würde er das komplette Seil mit mir nach oben ziehen.

SZ: Der Weltrekord in Ihrer Disziplin liegt bei 122 Metern - streben Sie auch in diese Tiefen?

Güldner: Ja, ich plane im nächsten Jahr einen neuen Rekordversuch, im Training war ich weitaus tiefer als die 72 Meter. Ich habe schon 84 Meter geschafft.

SZ: Welchen Unterschied machen in dieser Tiefe noch ein, zwei Meter?

Güldner: Je tiefer man kommt, umso geringer ist der Druckunterschied. Der Schritt von 40 auf 60 Meter ist schwieriger als der von 80 auf 100 Meter.

SZ: Und wo liegt der kritische Punkt?

Güldner: Ob es klappt, entscheidet sich auf den ersten Metern. Wenn alles gut läuft, man sich entspannen kann und sich alles gut anfühlt, kann man bis zum Ende der Marke vordringen. Wenn man sich in den ersten Metern schon unwohl fühlt, wird der Tauchgang meist abgebrochen.

SZ: Wie haben Sie sich auf den Rekordversuch vorbereitet?

Güldner: Ich habe vorher vier Wochen lang trainiert: immer drei Tage Training, ein Tag Pause. Die Lunge muss sich an den extremen Druck gewöhnen, dann kann man jeden Tag tiefer tauchen. Angefangen hab ich mit 65 Metern und dann immer zwei, drei Meter draufgelegt. Abschließend macht man einen maximalen Versuch - das geht aber nur einmal am Tag, sonst besteht die Gefahr, die Taucherkrankheit zu bekommen. Ausgerechnet in der Nacht vor dem Rekordversuch bin ich mit dem Motorrad gestürzt. Am nächsten Tag haben die Beine geschmerzt, weil die Haut aufgeschürft war. Zudem war ich nervös, aber es hat geklappt.

SZ: Sie können vom Tauchen nicht lassen. Im Winter spielen Sie Unterwasser-Eishockey. Sie sind sogar WM-Zweiter!

Güldner: Ja, das haben mein Kollege Finn Häcker und ich im vergangenen Winter ausprobiert, ein Team besteht ja aus zwei Personen. Alle sind unter dem Eis, ohne zu atmen, und versuchen, den Styropor-Puck ins Tor zu befördern. Man hat statt Schlittschuhen Flossen an, ansonsten ist es wie Eishockey.

SZ: Beim Unterwasser-Hockey sind Sie sicher nicht so lange unter Wasser wie beim Freitauchen. Im Schwimmbad ist es ein beliebtes Kinderspiel: Wer kann die Luft am längsten anhalten? Wie lange können Sie unter Wasser bleiben?

Güldner: Das längste, was ich je ohne Bewegung im Schwimmbad geschafft habe, war ein bisschen mehr als sechseinhalb Minuten.

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