Von Helikoptereltern, die ihr Kind nicht aus den Augen lassen, bis zu hollywoodschen Greisen, die sich zu Jugendlichen umoperieren lassen: Hinter vielen modernen Lebensentwürfen steckt die Angst vor dem Tod, sagen Renate Georgy und ihr Mann Thomas Hohensee. In dem Buch "Der Tod ist besser als sein Ruf" stellt das Berliner Autorenpaar provokante Thesen auf, kritisiert die katholische Kirche als Angstmacher und fordert einen gelasseneren Umgang mit der Endlichkeit. Und wie steht es mit der Gelassenheit um ihr eigenes Ende?
SZ: Hatten Sie selbst Angst vor dem Tod, bevor Sie sich mit dem Thema auseinandersetzten?
Renate Georgy: Nicht so sehr wie andere. Ich komme aus einer Familie, in der man konstruktiv mit dem Thema umgeht. Das war auch der Einstieg für mich zu diesem Buch. Aber ich kann die Angst schon nachvollziehen.
Wie äußern sich diese Ängste in unserer Gesellschaft?
Thomas Hohensee: Todesangst bestimmt unsere Kultur. Das spiegelt sich in Körperkult und Jugendwahn. Gier, Zeitnot, Hektik, das Gefühl, etwas zu verpassen, die Panik, dass einem die Zeit davon läuft, der Druck, dass man unbedingt Kinder bekommen will oder dass man ein Werk schaffen muss - dahinter steckt immer die Angst: Mein Gott, ich werde verschwinden, es muss dringend irgendetwas von mir weiterleben! So wird man aber seines Lebens nicht froh. Dass der Körper stirbt, kann niemand leugnen. Wer dagegen an ein vom Körper unabhängiges Bewusstsein glaubt, fragt nicht, was von ihm bleibt, sondern: Wo geht das Bewusstsein hin?
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Wäre das ein konstruktiver Umgang mit dem Tod?
Hohensee: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich damit auseinanderzusetzen. Hilfreich ist, sich anzugucken, was einem bei der Beschäftigung mit dem eigenen Tod durch den Kopf geht, wie das für alle anderen belastenden Gefühle auch gilt. Man kann Gedanken und Gefühle nicht kontrollieren, aber man kann sich davon distanzieren. Ich kann mich zum Beispiel auf das konzentrieren, was mich freut. Wenn man weiß, wo der Schlüssel zu dem Ganzen liegt, geht einem ein Licht auf. Mein Weltbild hat sich völlig geändert.
Welche Kultur hat den entspanntesten Umgang mit dem Tod?
Hohensee: Der Buddhismus und der Hinduismus. In den beiden Religionen existiert keine Vorstellung vom Ende, die Wiedergeburt ist ein fester Bestandteil. Hindus und Buddhisten haben höchstens ein Problem damit, dass sie wiederkommen müssen. Das kann man auch als etwas Positives oder als etwas Erschreckendes ansehen - genau wie bei uns den Tod.
Georgy: Auch in Deutschland gehen die Überlegungen zunehmend in diese Richtung, damit ändert sich auch die Begräbniskultur. Immer mehr Sterbende wünschen sich, dass die Trauernden nicht alle Schwarz tragen und traurige Musik hören. Das ist schon ein erster Schritt hin zu einem entspannteren Umgang. Der nächste wäre, sich zu fragen: Kann der Tod auch ganz anders sein, als ich mir das vorstelle?
Warum haben bei uns so viele Menschen diese extreme Angst vor dem Tod?
Georgy: Unsere Religion ist der Materialismus. Wir klammern uns an Dinge, an den Körper und alles andere Vergängliche und glauben an das, was wir sehen. Wenn man dann noch die Existenz von Immateriellem leugnet, wird es schwierig. Wir haben eine zu negative Vorstellung vom Tod. Warum nicht mal in die andere Richtung denken - womöglich ist er gar nicht so schrecklich. Vielleicht ist er gar nicht die Vernichtung unseres Seins, die endgültige Auslöschung. Was ist, wenn die Recht haben, die sagen, es gibt eine andere Welt dort, und die ist ganz toll? Das ist ein spannendes Gedankenexperiment.
Hohensee: Es gibt Berichte von Ärzten, die klinisch tot waren oder einen Schlaganfall bewusst miterlebt haben. Das sind keine Träumer, sondern rational denkende Menschen, deren Ansichten sich nach solch außergewöhnlichen Selbsterfahrungen grundlegend verändert haben. Der US-Psychologe Raymond Moody begann bereits vor 40 Jahren, Nahtodberichte zu sammeln. Damals musste man fürchten, für verrückt erklärt zu werden. Das Thema wurde viel zu lange ausgeklammert - nicht zu unserem Vorteil.
Was kann Menschen dazu bewegen, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen?
Hohensee: Spirituelle Krisen. Das Phänomen Tod lässt sich nicht verdrängen. Die meisten setzen sich aber leider nur damit auseinander, wenn sie selbst schwer erkranken oder Menschen sterben, die ihnen nahestehen. Es ist ein großes Tabu, es gibt kaum noch einen natürlichen Umgang mit dem Tod. Er wird so aus dem Bewusstsein verdrängt, dass man einen Schrecken bekommt, wenn man merkt, dass niemand ewig lebt. Das ist ein ganz schlechter Umgang mit der Vergänglichkeit.
Pro Sekunde sterben zwei Menschen weltweit, in der halben Stunde, in der wir uns jetzt unterhalten, sind es 3000 Leute, pro Jahr 50 Millionen. Wenn es irgendwo ein großes Unglück mit 200 Toten gibt, scheint uns das enorm. Aber das sind nur 200 von insgesamt 150 000, die an diesem Tag gestorben sind, letzteres nimmt man nur nicht zur Kenntnis. Es heißt dann immer: Der Tod kam plötzlich und unerwartet, was völlig absurd ist. Das einzige, was gewiss ist, ist der Tod.
Angenommen, ein Familienmitglied stirbt: Wie geht man mit dem Verlust um?
Georgy: Die Trauer, die wir empfinden, wenn ein geliebter Mensch stirbt, wurzelt zu einem Teil im Selbstmitleid. Viele können sich nicht vorstellen, dass sie auch ohne die Person glücklich werden können. Man weiß aber doch nicht, was mit dem Toten passiert. Es kann gut sein, dass er wunderbar geborgen ist und nicht leiden muss, dass es ihm richtig gut geht. Dann wäre es ja falsch, zu trauern. Ich vertraue darauf, dass alles richtig so ist, wie es ist. Auch wenn man es in dem Moment vielleicht noch nicht überblicken kann.
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Hohensee: Der Tod eines geliebten Menschen bringt einen Verlust mit sich. Verluste sind für jeden von Anfang an ein Thema. Kinder tun sich etwa sehr schwer damit - wenn ihr Eis in den Sand fällt, bricht die Welt für sie zusammen. Das ist für ein kindliches Bewusstsein auch völlig okay. Kinder kommen aber auch sehr schnell darüber hinweg. Es wäre wünschenswert, dass Erwachsene mit Verlusten so umgehen, dass sie sich andere Glücksmöglichkeiten nicht abschneiden.
Finden Sie die Angst vor dem Tod denn ganz und gar unnütz?
Georgy: Wenn es zu einfach wäre, würden die Menschen sich womöglich umbringen, sobald die Dinge schlecht laufen. Die Angst vor dem Tod schützt uns also auch.
Hohensee: Angst ist aber kein guter Berater, deshalb gefallen mir Ratschläge wie "Carpe diem" nicht - Lebe Dein Leben, als wäre es dein letzter Tag. Da kommt man schon allein bei dem Gedanken in Stress: Mir bleiben vielleicht nur noch ein paar Jahre. Man sollte die Zeit nicht nur nutzen, weil sie bald vorbei sein könnte.
Was stellen Sie persönlich sich vor, wie es nach dem Tod weitergeht?
Georgy: Mir gefällt die Haltung, dass ich aus dem Nichts komme und ins Nichts gehe. Ich habe zwar keine konkreten Vorstellungen, bin aber gespannt, was dann passiert. Mir reicht das Vertrauen: Es wird schon gut sein.
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Hohensee: Ich kann mir eine Menge vorstellen. Dass man möglicherweise durch Wiedergeburten genau da weitermacht, wo man aufgehört hat. Und dass der Tod keine Probleme löst. Man hat eine Lernerfahrung gemacht und geht mit neuen Vorsätzen in sein neues Leben. Ich kann mir aber auch das Nichts als etwas sehr Angenehmes vorstellen. Ich habe mich mit Berichten über Nahtoderfahrungen beschäftigt, da gibt es viele Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe.
Zum Beispiel?
Hohensee: Nehmen wir die fünf Sinne: Wir wissen, dass wir nur einen begrenzten Ausschnitt unserer Wirklichkeit wahrnehmen können. Wir sehen kein Infrarot, wir hören - im Gegegsatz zu manchen Tieren - bestimmte Frequenzen nicht und sind auch nicht in der Lage, wie sie über Duftmarken zu kommunizieren. Dennoch existieren diese Informationen. Wenn unsere fünf Sinnen nicht einmal die Lebensrealität erfassen, was entgeht uns dann noch alles? Wenn man das Thema erst mal an sich heranlässt, öffnen sich neue Dimensionen.
Leben Sie inzwischen anders als früher?
Hohensee: Ich sehe vieles mit anderen Augen. Auch für mich war der Tod ein Tabu. Ich bin jetzt 62 und habe festgestellt, dass man öfter an den Tod denkt, je älter man wird. Ich habe aber gar keine Lust dazu, dass mich das Thema im Alltag mehr begleitet als mit 20 oder dass ich jetzt anfange, mit allem abzuschließen. Es ist mir gelungen, das zu stoppen. Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass mir die Zeit wegläuft. Ich denke nicht mehr an einen Endpunkt.
Ich kann nur jedem dazu raten, sich freiwillig mit der eigenen Endlichkeit zu beschäftigen. Es gibt sehr viele schöne Sachen zu entdecken. Das Leben wird freier und angenehmer, wenn im Hintergrund nicht immer der Gedanke lauert: Was ist, wenn das jetzt tödlich ausgeht? Wann immer mein Körper nicht so funktioniert, wie er sollte, denke ich: Das ist bestimmt nicht schlimm. Und sollte es doch tödlich sein, haut es mich nicht mehr um. Das ist wirklich sehr entspannend.
Nach einem erfüllten Leben: Wie möchten Sie sterben?
Hohensee: Ich möchte gesund sterben. Alter wird ja oft begriffen als Siechtum. Man sollte den Geist wie den Körper gebrauchen und sich nicht so viele Gedanken darüber machen, wann man stirbt. Lieber sehen, dass man gesund bleibt. Ich bewege mich, weil es mir Spaß macht, und nicht, um länger zu leben. Ich schlafe, wenn ich müde bin, und nicht, weil es gesund ist. Man sollte die Lust in den Vordergrund stellen. Häufig wird übersehen, dass Glücklichsein ein wichtiger Faktor beim gesunden Altern ist.
Georgy: Ich möchte gerne mit ungefähr 100 Jahren nach dem Genuss eines großen Stückes Schwarzwälder Kirschtorte sagen: Das war jetzt vielleicht ein bisschen viel. Ich lege mich mal für einen Moment hin.