SZ-Serie: Projekt Familie:Werdet zu Raben!

Deutschland könnte ein familienfreundliches, kinderreiches und glückliches Land sein - wenn Politiker und Pädagogen auf die Bedürfnisse der Eltern eingingen. Neun Plädoyers für die Familie.

Eltern beklagen zu Recht immer wieder, wie familienfeindlich dieses Land ist - unzureichende Familienpolitik, zu wenig Krippenplätze, unflexible Arbeitgeber, praxisfernes Schulsystem. Was in der aktuellen Diskussion über die Kinderbetreuung aber oft fehlt, sind konstruktive Ideen. Wie könnte es besser laufen für Familien mit Kindern? Was muss anders werden? Zum Abschluss der SZ-Serie über Familien in Deutschland haben wir auf dieser Seite einen Wunschzettel zusammengestellt und an Politiker, Pädagogen und Buchautoren adressiert - und natürlich an die Eltern selbst:

SZ-Serie: Projekt Familie: Kinder lieben auch Rabenmütter.

Kinder lieben auch Rabenmütter.

(Foto: Foto: dpa)

Schluss um 17.30 Uhr

Liebe Chefs,

wir hätten da ein paar Wünsche. Keine Sorge, wir wollen nicht mehr Geld (oder zumindest jetzt nicht darüber verhandeln). Wir wollen auch nicht an Euren Stühlen sägen. Wir möchten nur, dass Ihr Euch an ein paar Regeln für familienfreundliches Management haltet:

1. Keine Konferenz nach 17.30 Uhr. Wenn doch, wird anfangs festgelegt, wann das Ganze zu Ende sein muss. Also kein sanftes Hinüberdriften der Besprechung ins Abendprogramm.

2. Flexible Mitarbeiter sind was Schönes - flexible Chefs sind es auch. Wer von Mitarbeitern die Einsicht verlangt, dass die Arbeit manchmal besonders drängt, muss selbst kapieren, dass auch Familien manchmal mehr Zeit brauchen.

3. Teilzeit ist kein Arbeitsverminderungs-Programm von Drückebergern. Sie setzt präzisere Absprachen voraus, als viele Chefs zu treffen gewohnt sind. Und sie ist oft effizienter als Ganztags-Arbeit. Das Blöde ist zwar, dass die Mitarbeiter nicht ständig verfügbar sind. Doch wer "Verfügbarkeit" als wichtige Eigenschaft ansieht, sollte nicht Chef, sondern Lagerist werden.

4. Teilzeit kann mehr sein als ein Mini-Job: Warum nicht auch akzeptieren, dass manche Leute 27 oder 30 Stunden pro Woche arbeiten wollen? Mag sein, dass die Organisation anfangs holpert. Aber ein guter Chef kriegt das hin . . .

5. Und zum Schluss ein Lehrsatz für die ganz besonders motivierten Vorgesetzten: Es gibt ein Leben außerhalb der Firma. Vielleicht schwer vorstellbar. Aber wahr.

Werdet zu Raben!

Geld her!

Liebe Politiker,

Politik ist Streit, Politik ist Kampf, schon klar. Jetzt wird gefeilscht, Steuern rauf oder Kindergeld runter. Die einen zücken den Stift und rechnen vor, dass die 500.000 Krippenplätze zu teuer sind, die anderen wollen wissen, dass diese gar nicht gebraucht werden.

Es dauert nicht mehr lange, und das Projekt Krippe ist zerredet. So weit darf es nicht kommen, jetzt, da wir so weit gekommen sind - mit Hilfe einer konservativen Familienministerin, die sich gegen alle gutmeinenden Parteifreunde durchgesetzt hat. Bitte schnellstmöglich darauf einigen, wie das Ganze bezahlt wird. Sonst kommen vielleicht noch andere Mixas und kanzeln Euch ab. Lasst es nicht zu, dass das Rad zurückgedreht wird. Frauen wollen Kinder, weil sie Freude machen.

Und sie wollen arbeiten, weil sie Geld verdienen müssen und weil es auch oft Freude macht. Gute Kinderbetreuung erhöht die Geburtenrate, eine neue internationale Studie hat es bewiesen. Probiert es einfach selbst. Abgeordnete und Minister, Männer und Frauen: Bekommt mehr Kinder, dann werdet Ihr sehen. Als Stoiber Opa wurde, hat es bei ihm auch endlich Klick gemacht.

Werdet zu Raben!

Umschalten!

Liebe Medienmenschen,

eigentlich ist es ja nicht schlecht, eine Woche unter dem Motto "Kinder sind Zukunft" zu veranstalten. Schöne Idee auch, eine Zwölfjährige den Kommentar der ARD-Tagesthemen sprechen zu lassen wie am Mittwoch dieser Woche - Carla Zeller aus Berlin sagte ihre Meinung zum Klimawandel. Was sich Eltern aber wünschen von den Medien, ist ein radikaler Programm-Klimawandel - und zwar nicht bei pädagogisch ohnehin wertvollen Angeboten wie Kinderkanal, Arte oder ZDF, sondern vor allem bei Sendern wie Super RTL, Pro Sieben und RTL. Dort werden Magermodels, Möchtegernstars und Mutanten-Monster als positive Rollenmodelle gefeiert. Wir wünschen uns, dass der unerträgliche Mode-, Musik- und Konsumterror der Privatsender aufhört - aus die Maus! Nett wäre auch, wenn im Fernsehen andere Werte vermittelt würden als die Preise der neuesten iPod-Modelle.

Von Titus Arnu

Werdet zu Raben!

Schweigt!

Liebe Experten,

verschont uns mit Euren Fachbuch-Bestsellern, Euren selbstreflektierenden Wochenend-Essays und stinklangweiligen Talkshow-Auftritten. Verdient Euer Geld lieber mit ehrlicher Arbeit. Schenkt die durch das Nichtvolltexten leerer Seiten gewonnene Zeit Euren Familien. Es ist ja in Ordnung, dass Ihr mit schlechten Büchern, Illustrierten-Kolumnen und Auftritten in der "Kerner"-Show Kohle machen wollt. Schließlich habt Ihr allerlei eheliche und nichteheliche Mäuler zu stopfen. Nicht okay ist allerdings, dass Ihr, Eure Verlage, Agenten und Eure Freunde, die Rotwein-Publizisten, jeder unerfahrenen Mutter, jedem frischgebackenen Vater einzureden versuchen, jeder müsse Eure Meinung kennen, um in der Erziehung nicht zu versagen. Unsinn! Und Ihr, liebe Eltern, widmet Euch lieber den Ethik-Ausführungen von Aristoteles. Da habt Ihr womöglich mehr davon.

Werdet zu Raben!

Es heißt "Hund"!

Ihr redet ja viel davon, wie toll es ist, Kinder zu haben. Gleichzeitig liefert Ihr Eurer kinderlosen Umwelt das ultimative Argument dagegen: "So wie die will ich nicht werden." Natürlich hören wir immer gerne Euren packenden Berichten zu, dass der kleine Max nur noch zweimal die Nacht brüllt, Louisa geräuschloser zahnt als zuvor Kevin, der jetzt aber ein so tolles Streichholzpferd gebastelt hat, das glaubt man ja gar nicht. Nach einer monothematischen, monologischen halben Stunde - garniert mit der Entschuldigungsfloskel "Du Arme, jetzt musst du dir wieder unsere Kiddy-Geschichten anhören" (Ja, verdammt!) - könntet Ihr es mal mit einer Frage versuchen: "Und wie geht"s dir eigentlich?"

Diese Frage, sollte sie tatsächlich kommen, ist in den seltensten Fällen ernst gemeint. Es ist nämlich so: Früher wart Ihr Zeitungsleser, Partygäste, Kinogänger, Mountainbiker, Freunde. Jetzt seid Ihr nur noch Eltern. Insgeheim ahnt Ihr, dass das ein bisschen wenig ist, und darum macht Ihr Euch sicherheitshalber dauernd über Euch selber lustig. "Ooch, wir reden ja auch nur noch Babysprache, gestern hab" ich statt ,Hund" Wauwau gesagt." Das ist nicht lustig. Das ist ernst.

In Wahrheit glaubt Ihr, dass Euch beim Kinderkriegen etwas einmalig Großes, noch nie Dagewesenes gelungen ist. Etwas, wofür Euch der Rest der Welt Ehrfurcht und ewige Rücksichtnahme schuldig ist. Darum redet Ihr am liebsten über Biobrei, schiebt den Designerkinderwagen wie eine Trophäe vor Euch her, und wenn Ihr aufs Spazierengehen keine Lust mehr habt, sagt Ihr: "Ich glaub" der Ben muss jetzt heim." Na klar, Ihr habt"s schwer. Aber manchmal macht Ihr"s Euch auch ziemlich leicht.

Von Tanja Rest

Werdet zu Raben!

Werdet zu Raben!

Liebe Mütter,

auch auf die Gefahr hin, nach diesen Zeilen als Mütterschleimer zu gelten: Euch muss man momentan am wenigsten sagen. Wenn man sich diese Elefantenrunde aus Chefs, Vätern, Politikern als Große Koalition vorstellt, dann seid Ihr Frauen in den letzten Jahren am weitesten in Vorleistung gegangen: Seid berufstätig und Mütter, auf dem Spielplatz und trotzdem chic. Insofern: Schmeißt die Ratgeber aus dem Fenster. Ignoriert Zeitungsserien. Macht alles aus dem Bauch raus, da kamen schließlich auch schon die Kinder her.

Apropos Kinder: Was die Rabenmütter angeht, so gelten die in der Ornithologie als vorbildliche Erzieherinnen. Brüten geduldig aus, ernähren die Kleinen, krächzen ihnen Lieder. Da aber junge Raben aufgrund irgendeiner nur in Vogelpsychologenkreisen verständlichen Störung im Nest hockenbleiben, auch wenn sie längst fliegen können, stoßen die Mütter ihre Brut irgendwann zart vom Nestrand und zwingen sie zur Selbständigkeit. Sie bleiben aber immer in ihrer Nähe um sie vor feindlichen Angriffen zu schützen. Insofern brauchen wir in Zeiten der Dauerinfantilisierung und 28-jähriger Studenten, die immer noch zu Hause hocken, unbedingt mehr Rabenmütter.

Werdet zu Raben!

Es lohnt sich, Kinder zu haben!

Es war Mitte der achtziger Jahre, als wir Studenten über die Nato-Aufrüstungspolitik diskutierten und über Tschernobyl; es waren die Zeiten der Friedensbewegung und der "Atomkraft nein danke"-Aufkleber auf dem blauen Fiat 500. Wenn es ums Thema Kinderkriegen ging, führten vor allem die Studentinnen, von denen viele vorbildlich in Frauengruppen engagiert waren, das große Wort: Um Gottes Willen! Nie! Die Welt ist so schlecht - Nachwuchs zu produzieren, wäre völlig verantwortungslos. Dann legten wir eine Platte von Frank Zappa auf und fühlten uns in dem Elend ziemlich wohl.

Heute diskutieren Studenten und andere junge Menschen auch wieder. Über die Klimakatastrophe. Die verseuchten Meere, die zerstörten Urwälder, das genmanipulierte Essen. Schlimm! Manche sagen, wenn sie sich mit ihren Freunden im Eiscafé treffen oder beim Skifahren auf dem Gletscher, auch heute: Kinder - das geht in dieser kaputten Welt leider gar nicht. Andere finden sie einfach zu anstrengend.

Dazu kommt diese katastrophale Familienpolitik. Wie soll man denn Kinder in die Welt setzen ohne staatliche Krippenplatzgarantie? Wie sollen Familien überleben ohne erhöhtes Kindergeld, Steuererleichterungen, flexible Elternzeitregelungen? Kinder sind ein Armutsrisiko! So steht es in der Zeitung, so erfährt man es jeden Tag im Fernsehen. Kinder sind überhaupt das Allerletzte.

Komisch. Die Studenten von damals sind heute Anfang 40. Die Frauen tragen ihre Haare nicht mehr hennarot, sondern blond gesträhnt. Sie schieben hippe Kinderwagen durchs Viertel. Ihre Ansichten haben sich im Prinzip nicht geändert, sie sind nur ein bisschen lässiger geworden. Sie finden, mit Ende 30 Mutter zu werden und danach wieder berufstätig zu sein, ist ein gutes Gefühl.

Auf dem Spielplatz sitzen auch junge Eltern. Sie finden die Verseuchung der Meere und der Sandkästen immer noch unschön - aber deshalb keine Kinder kriegen? Das geht ein bisschen weit, sagen sie. Auch dass noch nicht alle einen Krippenplatz gefunden haben, stürzt sie erstaunlicherweise nicht in die Verzweiflung. Irgendeinen Zauber muss es geben, der Menschen dazu bringt, trotz aller Gefahren, trotz allen finanziellen Unheils sich letztlich doch auf das Abenteuer Kinder einzulassen.

Natürlich: Alle Bemühungen der Politik, die Situation der Familien zu verbessern, sind richtig. Aber wer sein persönliches Glück vom Erfolg der Krippenplatzdiskussion abhängig macht, muss einem ein bisschen leid tun. Es wird in der aktuellen Debatte gerne übersehen, dass Kinder mehr sind als Kostenfaktoren und Armutsrisiken. Leute mit Kindern sehen die Welt mit anderen Augen. Im Zweifelsfall fürchten sie sich vor einer Schreiattacke ihres Babys mehr als vor der Klimakatastrophe.

Was für ein Glück.

Werdet zu Raben!

Habt Zeit!

Liebe Väter,

ich will mich nicht lange mit Entschuldigungen aufhalten, indem ich zubillige, dass es unter Euch auch vorbildliche Exemplare gibt. Jede Spezies hat ihre Mutationen. Ich will auch nicht verschweigen, dass sich die Mehrheit von Euch zunehmend an die Lebensbedingungen der Moderne anpasst: Immer weniger trauen sich zu denken (oder wagen, es laut zu sagen), dass sie mit dem Gedöns um Haushalt und Familie nichts am Hut haben. Stattdessen mehrt sich die Zahl derer, die ein schlechtes Gewissen und eine gewisse Einsichtsfähigkeit mitbringen. Nach dem Motto: "Ich weiß, ich müsste mehr tun; das meiste bleibt an meiner Frau hängen; die Kinder brauchen mich; Familie macht auch Spaß... Aber ich habe keine Zeit/Lust/Energie/Geduld. Leider. Entschuldigung."

Dabei ist die Sache ganz einfach: Zum Kindermachen braucht es zwei, zum Kindergroßziehen auch. Wer meint, er könne mal eben zeugen, und sich dann nicht mehr oder nur zum Sonntagsfrühstück zeigen, der gehört zu den bedrohten Arten. Denn Frauen suchen sich immer bewusster jene Männchen aus, die mehr als Muckis und ein großes Maul haben. Also: freiwillig mutieren. Das geht, man muss es nur wollen. Männer können doch sonst auch alles.

Werdet zu Raben!

Geht den Beamten auf die Nerven!

Liebe Schulen,

bitte macht keine halben Sachen mehr. Ganze Tage wünsche ich mir von Herzen von Euch. Fangt um 8 Uhr an und hört um 16 Uhr auf. Aber dann bitte mit einem Schlussgong, der das Wort verdient. Damit die Schule und die Hausaufgaben für diesen Tag erledigt sind. Und die Kinder wieder Kinder sein können. Die Eltern haben dann Planungssicherheit. Sie müssen nicht mit Hort, Mittagsbetreuung, Elterninitiative, mit genervten Arbeitgebern, gehässigen Kollegen, unkalkulierbaren Aushilfen, vor allem mit faulen Kompromissen jonglieren.

Höre ich da Protestrufe? Aufschreie der Sorge, die nur aus bayerischen Gymnasien stammen können, dann wäre ja all der wichtige Stoff nicht mehr unterzubringen?

Ich wünsche mir, liebe bayerische Gymnasien, dass Ihr endlich begreift, dass Kinderköpfe keine Vorratsräume sind, deren Wände beliebig verschiebbar sind. Am besten: x plus unendlich. Außerdem - gab es da nicht mal ein Versprechen, nach der Einführung des achtjährigen Gymnasiums den Stoff aus neun Jahren der neuen, kürzeren Laufzeit anzupassen?

Stattdessen wird der gleiche Stoff noch schneller reingepresst. Also, liebe Schulen, geht den Politikern und Beamten richtig auf die Nerven, rührt Euch, sagt, Ihr braucht mehr gute Lehrer und, bitte, weniger Lehrstoff. Ihr seid doch für die Kinder da! Wenn nicht Ihr, wer denn dann?

(SZ vom 20.4.2007)

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