SZ-Serie: Projekt Familie (2):Kinder, Krippen, Karriere

SZ-Korrespondenten berichten, wie die Kinderbetreuung im Ausland funktioniert. Die Unterschiede sind gewaltig.

Mittwochs frei Frankreich: Auch Mütter mit drei Kindern können Karriere machen In der Gedankenwelt des Augsburger Bischofs wäre Sophie Trillot das Paradebeispiel einer "Gebärmaschine" - eine, die sogar regelmäßig in die katholische Kirche geht, wie Walter Mixa wohl überrascht feststellen müsste. In der realen französischen Welt ist Sophie Trillot, 36, aber nur eine ganz normale Mutter dreier Kinder, für die es ganz normal ist zu arbeiten. des Geldes wegen tun. Ihr Mann verdient als Chef eines kleinen Unternehmens recht gut. Sie mag ihren Job einfach und wüsste nicht, warum sie ihn aufgeben sollte.

SZ-Serie Projekt Familie

Auslandskorrespondenten der SZ berichten, wie in anderen Ländern die Kinder erzogen werden.

(Foto: Illustration: Eric Giliat)

Schon als ihr erstes Kind vier Monate alt war, kam Sophie zu dem Schluss: "Ich muss unbedingt wieder in den Job, mir fällt die Decke auf den Kopf." Jetzt ist sie in einem Pharmalabor in Paris, in dem 20 Personen arbeiten, verantwortlich für die Genehmigungsverfahren von Arzneimitteln. Das macht sie offenbar gut. So gut, dass das Labor sie abwarb, als sie mit ihrem dritten Kind schwanger war.

So etwas dürfte über die Gedankenwelt des Bischof Mixa hinaus vielerorts in Deutschland schwer vorstellbar sein.Sie ging mit Kugelbauch ins Vorstellungsgespräch und stellte auch noch Forderungen. Den Mittwoch wollte sie freihaben. Diesen Tag widmen in Frankreich viele Mütter ihren Kindern. Die meisten Kindergärten und Schulen haben geschlossen. Ihr Chef akzeptierte. Das war im September 2004. Im Oktober kam Antoine zur Welt. Im Januar 2005 fing Sophie in dem Labor an.

Sie sagt:Ihr vorheriger Arbeitgeber ließ sie nur schweren Herzens ziehen. Aus Verbundenheit lud er sie und ihren Mann im vergangenen Jahr zum Weihnachtsessen der Firma mit den ehemaligen Kollegen ein. Und dann sagt Sophie noch einen verwunderlichen Satz: "Es ist leichter, als Frau zu arbeiten, wenn man drei Kinder hat anstatt nur eines."

Dann sinken in Frankreich die Steuern, die Familie hat mehr Geld für die Betreuung übrig, und es wird einfacher, diese zu organisieren. Die Trillots leisten sich, seit sie drei Kinder haben, ein ausgebildetes Kindermädchen zu Hause. Sébastien, Marion und Antoine, so viel lässt sich sagen, sind nicht schlecht geraten, obwohl maman 80 Prozent arbeitet.

Sophie Trillot erlebte aber auch die andere Seite. Als sie direkt nach dem Studium anfing zu arbeiten, gab ihr erster Arbeitgeber ihr nur einen Dreijahresvertrag. Der wurde nicht verlängert, weil sie mit Sébastien schwanger war.

Unter Druck Italien: Die meisten Mütter müssen arbeiten - sonst reicht das Geld nicht von Ulrich Stefan

Francesca stutzt bei der Frage, ob sie lieber arbeiten würde, statt sich ganz den Kindern zu widmen. Dann sagt sie: "Der Job als Mama ist äußerst anstrengend. Daher verstehe ich es gut, wenn viele Frauen rasch zurück in ihren Beruf wollen."

Die 41-jährige Piemontesin, die in Rom lebt, hat beide Erfahrungen gemacht. Nach der Hochzeit arbeitete sie in der Firma ihres Mannes, die im selben Haus wie die Wohnung untergebracht ist. Dann wurde Pietro geboren, der erste Sohn.

"Doch ich habe sofort weitergearbeitet." Mit Hilfe von Kindermädchen und Walkie-Talkies gelang es ihr, Baby und Job zu vereinen. "Doch es war eine sehr, sehr schwierige Zeit. Ich wurde ständig hin- und her gerissen."

Nun, da der zweite Sohn da ist, bleibt sie zu Hause. Die Firma läuft gut genug, damit die Familie sich das leisten kann. Viele ihrer Freundinnen hätten diese Wahl aber nicht, erzählt Francesca. "Sie müssen arbeiten, weil die Gehälter der Männer nicht ausreichen."

Spätestens seit Einführung des Euro verdienten die Leute viel weniger Geld. Das setze besonders die Frauen unter Druck. "Die Italienerinnen waren früher unbeschwerter", meint Francesca. "Und der Staat hilft zu wenig."In der Folge wollten viele allenfalls noch ein Kind.

Besonders die ersten Lebensjahre der Kinder sind für die Familien schwierig. Denn dann besteht noch kein Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Die öffentlichen Krippen reichen nicht aus, die privaten sind zu teuer- 500 Euro im Monat für einen Platz sind normal.

Ohne die Hilfe von Großeltern kämen viele Eltern überhaupt nicht zurecht. Leichter wird es, sobald die Kinder drei Jahre alt sind, sagt Francesca. Dann garantiert der Staat eine kostenlose Betreuung bis halb fünf Uhr nachmittags.

Francesca selbst will ihren zweiten Sohn mit zwei Jahren in eine private Krippe geben. Sie würde dann, wie viele ihrer Freundinnen, gerne Halbtags arbeiten. "Das wäre die optimale Lösung - doch in Italien gibt es kaum Teilzeit-Stellen." Die Unternehmen böten keine solchen Jobs an, der Gesetzgeber bleibe untätig. Viele Familien würden so überlastet.

Francesca selbst hofft jedoch, eine Halbtagsstelle zu finden. Sie studiert nebenher Psychologie und möchte künftig in einer Beratungsstelle Familien in Schwierigkeiten helfen.

Kinder, Krippen, Karriere

Der Staat hilft Schweden: Jedes einjährige Kind bekommt einen Betreuungsplatz Das Jahr in der Stockholmer Kindertagesstätte Klara begann mit Steinen. "Das war die Sommerferienaufgabe", sagt Pädagogin Viktoria Pajuluoma, "einen Stein mitbringen und den Fundort fotografieren." Steine aus den Urlaubsländern der Welt liegen nun im ersten Stock und zu jedem gibt es eine Geschichte. Anhand der Geschichten wurden die Kinder in Gruppen eingeteilt.

Pajuluoma zeigt auf einen kantigen Brocken. "Dieser Junge meinte: Der Stein kommt aus dem Weltraum." Also landete er in der Weltraum-Gruppe.

Kindertagesstätten heißen in Schweden Vorschulen, es gibt sogar einen landesweiten Lehrplan. In der Vorschule Klara basteln, toben und schlafen etwa 40 Kinder im Alter von ein bis fünf Jahren. Pajuluoma arbeitet bei den Älteren.

Sie kümmert sich wie alle ihre Kollegen um sechs Kinder, im unteren Stock bei den Ein- bis Dreijährigen kommen fünf Schützlinge auf einen Erwachsenen. Die Pädagogen betreuen ihre Kinder mehrere Jahr lang und dokumentieren alle Entwicklungsschritte und erarbeiten individuelle Lernpläne.

Pajuluoma hilft einem ihrer Mädchen in den Anorak - Zeit für den Spielplatz, der mit Sandkästen und Gemüsegarten den gesamten Innenhof einnimmt. Der Garten ist wunderschön.Pajuluoma zufolge eine von Klaras Besonderheiten. Und ein Grund für die lange Warteliste. 30 Kinder hoffen auf einen Platz. Nicht alle werden Glück haben, aber alle werden irgendwo untergebracht. Per Gesetz sind schwedische Kommunen verpflichtet, jedem Kind von einem Jahr an Betreuung zu bieten. Mehr als drei Monate muss niemand warten und die Gebühren dürfen 130 Euro im Monat nicht übersteigen.

Die Vorschulen sind beliebt: Etwa 40 Prozent der einjährigen und 80 Prozent der zweijährigen Schweden besuchen eine. Stockholms Innenstadt, sagt Pajuluoma, zeichne sich unter anderem durch großzügige Öffnungszeiten aus. "Bei uns bleiben die Kinder mindestens sechs Stunden pro Tag." Geöffnet ist von 7.30 bis 18 Uhr. Nur zwei Wochen im Juli ist geschlossen; dann gibt es eine neue Sommerferienaufgabe. Wer trotzdem Betreuung braucht, kann auf benachbarte Vorschulen ausweichen.

Kurze Auszeit USA: Viele Firmen bilden Frauen während der Elternzeit weiter von Reymer Klüver

Elena ist für Tom und Dana ihr großes Glück. Lange hatten sie warten müssen auf die zierliche Kleine mit den vier Milchzähnen und Haaren, pechschwarz wie die der Mutter. Doch als das Mädchen endlich auf der Welt war, kam es Dana Lung, 39 Jahre alt, nur ganz kurz in den Sinn, zu Hause zu bleiben. "Natürlich war es ein kleiner Kampf", sagt sie. "Ein Teil in mir wollte die ganze Zeit beim Baby bleiben. Der andere aber wollte zurück in den Beruf. Es ist einfach geistig anregend zu arbeiten."

Vier Monate Auszeit nahm sie sich. Immerhin. Das ist am oberen Ende dessen, was berufstätige Amerikanerinnen sich an Mutterschaftsurlaub für gewöhnlich nehmen. Dafür kratzte Dana alles zusammen, was sie an freier Zeit bekommen konnte: den gesetzlichen Mutterschutz von sechs Wochen, ihren Urlaub, ein paar Krankheitstage und ein paar flexible freie Tage. Dana arbeitet bei der Organisation "Zero to Three" in Washington, einer Art amerikanischer Kinderschutzbund für Kleinkinder. Sie hatte immer für Kinder arbeiten wollen. Und so war die Stelle ein Volltreffer, den sie kurz nach ihrem Umzug von San Francisco in die US-Hauptstadt gelandet hatte.

Ihr Arbeitgeber zeigte vielVerständnis was man von einem Kinderhilfswerk erwarten darf. Überhaupt reagierten mehr und mehr Unternehmen in den USA auf Schwangerschaften ihrer Mitarbeiterinnen inzwischen "aufgeklärt", wie es Dana formuliert.

Zumindest bei großen Konzernen gibt es sogar den Trend, Frauen, die sich für einen längeren, unbezahlten Erziehungsurlaub entscheiden, durch Weiterbildungsangebote beruflich auf dem neuesten Stand zu halten - und an die Firma zu binden. Und das aus purem Eigennutz: "Die Hälfte unseres Talentpools besteht ausin den letzten beiden Jahrzehnten waren Frauen", sagt beispielsweise Jenifer Allyn, eine Personalplanerin bei der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers.

Zur Betreuung von Elena habenTom und Dana die teuerste, aber haben eine sehr verbreitete Lösung gewählt: Dienstags bis donnerstags hütet für jeweils zehn Stunden eine Nanny die Kleine. Mit drei soll Elena dan, wie die meisten ihrer Altersgenossen, n in die Preschool, die Vorschule. Aber darüber haben sie noch nicht entschieden.

"Wahrscheinlich sind wir schon viel zu spät dran", sagt Dana, "die Leute in Washington sind so ehrgeizig. Bei den guten Schulen gibt es lange Wartelisten." Elena ist zehn Monate alt.

Kinder, Krippen, Karriere

Schocktherapie Polen: Es gibt viele Krippenplätze - weil wenige Kinder geboren werden Als Jolanta Postek das erste Mal in den Kindergarten mit dem schönen Namen "Waldhütte" in Konstancin kam, wusste sie sofort: "Hier will ich arbeiten." Das Problem war nur: Sie wohnt im Nordosten Warschaus, Konstancin aber ist ein Vorort im Süden. Dafür liegt der Kindergarten in einem Kiefernwald am Rande eines Naturschutzgebietes. Also fährt sie nun jeden Morgen anderthalb Stunden mit dem Bus zur Waldhütte und abends zurück. In Polen hat jedes Kind Anrecht auf einen Platz vom zweiten Lebensjahr an. Die meisten Eltern schicken ihren Nachwuchs aber erst nach dem dritten Geburtstag. Es liegt an den Eltern, wie lange die Kleinen bleiben, die Kindergärten sind von 7 bis 17 Uhr geöffnet. Auch Krippenplätze sind kein Thema, abgesehen davon, dass oft die Großeltern einspringen, wenn die Mutter wieder arbeiten will. In manchen Städten gibt es sogar ein Überangebot an Kita-Plätzen - weil mit der Einführung der Marktwirtschaft per Schocktherapie Anfang der neunziger Jahre die Geburtenzahl drastisch zurückgegangen ist. Die meisten Paare heiraten nun nicht mehr mit Anfang, sondern mit Ende zwanzig, man will Karriere machen. Daher werden immer weniger Kinder immer später geboren. Manche der gut ausgebildeten Kindergärtnerinnen fürchten daher um ihre Zukunft. Hunderte, wenn nicht gar Tausende lernen Englisch; auf den britischen Inseln werden sie mit Kusshand empfangen und verdienen ein Vielfaches. Jolanta Postek aber kommen derartige Dinge nicht in den Kopf: Sie hat ihren Traumarbeitsplatz gefunden - und ist dort die Chefin.

Gut und teuer Schweiz: Schon Babys kommen in die Krippe, doch die Tarife sind hoch von Thomas Kirchner

Die Zürcher "Rasselchischte" nimmt auch vier Monate alte Babys auf. "Je früher die Kinder zu uns kommen, desto besser", sagt Krippenleiterin Patricia Meier. "Wenn sie ein Jahr alt sind, fangen sie schon an zu fremdeln." Krippen seien "supergut" für die Kleinen, vor allem auch für Einzelkinder.

Die "Rasselchischte" bietet eine Menge: fünf Betreuerinnen, die sich um 14 Kinder kümmern, eine eigene Köchin, und nicht zuletzt arbeitnehmerfreundliche Öffnungszeiten: von halb acht bis abends halb sieben. Die Erzieherinnen arbeiten im Schichtsystem. Andere Zürcher Krippen machen schon um sieben Uhr auf, sagt Meier. "Und vor sechs Uhr schließt keine."

Die Betreuungszeit kann frei gewählt werden, von einem bis zu fünf Tagen die Woche. Mit fünf Jahren gehen die Kinder in den obligatorischen Kindergarten.

Aber, typisch Schweiz: Qualität hat ihren Preis. Fünf ganze Tage in der Rasselchischte kosten monatlich 2225 Franken (1385 Euro). Ein durchaus normaler Tarif in privaten Krippen. "Ich halte das für angemessen", sagt Meier, "wer es sich nicht leisten kann, bekommt Hilfe von der Stadt." Eine alleinerziehende Mutter zahlt dann statt 1400 Franken für drei Tage nur noch 190.

Ansonsten mischt sich die Obrigkeit bei der Betreuung kaum ein. Es gibt weder Familien- noch Sozialministerium, kein Erziehungsgeld, keinen Elternurlaub und erst seit zwei Jahren einen Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen. Immerhin werden demnächst einheitlich 200 Franken Kindergeld gezahlt. Auf dem Land ist die Betreuungslage schlecht. Bei der Geburtenzahl rangiert die Schweiz denn auch auf einem der letzten Plätze in Europa.

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