SZ-Serie: Kinder, Kinder:Papa hält die Stellung

Lesezeit: 5 min

Männer, die Elternzeit nehmen, sind noch immer Exoten. Aber es gibt sie wirklich - zum Beispiel im Berliner Väterzentrum.

Christian Mayer

Nein, diesen Männern muss man nichts mehr erklären, sie wissen, was zu tun ist, jeder Handgriff sitzt. Sie haben genügend Feuchttücher, Nuckelgeräte, Windeln und Kekse dabei, Proviant für einen Samstagnachmittag in der Großstadt. Der Kollwitzplatz in Berlin: Stolz blicken sie auf die Ergebnisse ihrer Mühen, auf die Beas, Leas, Kais und Anna-Sophies, die gerade die Kletterburg besteigen und den märkischen Sand durchpflügen.

Im Berliner Väterzentrum am Prenzlauer Berg sind die Männer allein mit ihren Kindern, ganz dicht dran an der Banalität des Alltags. Ein wenig sehen sie sich schon als gesellschaftliche Pioniere. Aber so richtig Leben in die Bude kommt dann, wenn ein Fußball-Länderspiel übertragen wird. (Foto: Foto: Georg Moritz/oh)

Die Väter vom Prenzlauer Berg scheinen ganz zufrieden zu sein mit sich und der Welt; oft sind sie schon in der Mehrheit. Vor ein paar Jahren saßen hier die berüchtigten Latte-Macchiato-Mamas, die ihren Kindern mitten in der Großstadt ein Stück heile Welt erkämpfen wollten. Aber die gehen jetzt am Samstagnachmittag lieber ökologisch bewusst einkaufen. Papa hält die Stellung.

Besuch im kinderreichsten Stadtviertel von Berlin. Nirgendwo sonst entscheiden sich so viele Männer, in Elternzeit zu gehen. Aber wer sind sie wirklich, die vielzitierten "neuen Väter", die mehr machen wollen als nur am Wochenende in ihr bequemes Papa-Kostüm zu schlüpfen und mit sonorer Stimme Gute-Nacht-Geschichten zu erzählen?

Dienstagmorgens kann man sie treffen. Beim Frühstück im Väterzentrum in der Marienburger Straße. Zwischen Mini-Rutsche, Dinosaurier-Figuren und der Carrera-Bahn sind sie auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Auf dem Holzparkett verfolgen sie die ersten Schritte ihrer Kinder mit Argusaugen, zärtlich trösten sie den weinenden Nachwuchs, auch wenn einige Aufrechte ihre Pflichten mit aufreizender Lässigkeit und in einem Tempo absolvieren, das manche Mutter nervös machen würde.

Hautnah dabei sein

Marcus Renusch, Mathias Hörnicke und Andreas Viedt zählen zum lockeren Kreis der Männer, die im "Papa-Café" ihre Erfahrungen austauschen. Ein Unternehmensberater, ein Kriminalbeamter und der Vorstand einer Designfirma sind gerade dabei, sich neu zu definieren. Sie lernen, dass die Betreuung von Kleinkindern noch mehr Arbeit sein kann als der übliche Zehnstunden-Tag im Büro.

Mathias Hörnicke etwa hat in seinem Beruf als Computerexperte bei der Berliner Polizei bewusst eine Pause eingelegt. "Ich wollte hautnah dabei sein", sagt der 39-Jährige. Den ersten Monat nach der Geburt seiner Tochter Antonia hat er gemeinsam mit seiner Freundin zu Hause verbracht, seitdem arbeitet sie wieder als Controllerin, er bleibt daheim.

Windeln wechseln, Brei kochen, Milch auf Körpertemperatur erhitzen, ohne dabei auf die strengen Kontrollblicke der Mutter zählen zu können - das alles hat Hörnicke in den vergangenen Monaten gelernt. Sein Chef findet es richtig gut, dass er sich sieben Monate um Antonia kümmert, sagt er zumindest. Als Vollzeit-Vater ist der Beamte in seiner Abteilung trotzdem ein Exot.

Männer in der Frauenrolle

Dafür bekommt er jetzt jede Menge Einladungen von jungen Müttern im Bekanntenkreis; erst kürzlich hat sich sogar eine nach dem aktuellen Stand der Babywäsche erkundigt. "So langsam habe ich das Gefühl, dass ich in dieser Rolle als Frau wahrgenommen werde", sagt Hörnicke und lächelt tapfer. Bis die Vollzeit-Väter gesellschaftliche Normalität sind, ist es wohl doch noch ein weiter Schritt.

Auch der Unternehmensberater Marcus Renusch zählt zu den Pionieren vom Prenzlauer Berg. Noch beim ersten Kind gab es bei ihm zu Hause "die klassische Rollenaufteilung": Seine Frau war als Stillmutter und Hüterin des Alltags beschäftigt, während er ein paar Karriereschritte machte.

Bei Milea, dem dritten Kind, ist nun alles anders. Acht Monate bleibt Renusch zu Hause und bezieht Elterngeld, dafür darf seine Frau wieder an den Schreibtisch zurück. Ein ganz normaler Vorgang? Renusch wiegt den Kopf. Als neuer Vater müsste er jetzt eigentlich erklären, wie erfüllend so ein Krabbelgruppentag sein kann und wie sehr die Beziehung zu seiner Tochter durch das intensive Miteinander wächst. Aber ganz so einfach ist es leider nicht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Mütter die fürsorglichen Väter als Eindringlinge empfinden ...

Studie: Kindernamen und Vorurteile
:Schlaue Marie, dummer Kevin

Der Name eines Kindes kann für dessen Bildungschancen entscheidend sein. Eine Studie belegt: Bei bestimmten Vornamen haben viele Lehrer negative Assoziationen.

Erst einmal empfiehlt Renusch allen Männern in Elternzeit eindringlich, den Tag zwischen Wäschewaschen, Einkaufen, Kochen und Kinderbespaßung genau zu strukturieren, "sonst wird es so heftig, da gehst du kaputt". Als Nächstes fällt ihm die Reaktion einer jungen Mutter aus der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde ein: "Mein Mann ist viel zu wichtig in seinem Job, da kommt die Elternzeit nicht in Frage." Solche Sätze hat der Unternehmensberater schon oft gehört.

Inzwischen geht fast jeder fünfte Vater in Elternzeit - wenn auch meist nur für zwei Monate. (Foto: Foto: Georg Moritz/oh)

Er hat die Erfahrung gemacht, dass Mütter die fürsorglichen Väter als Eindringlinge empfinden, die im Begriff sind, eine fremde Sphäre zu erobern. "Frauen erwarten ja eine starke Beteiligung, aber dann blicken sie auf Väter herab, die tatsächlich Familienzeit nehmen", sagt Remusch. "Dabei sind wir gar nicht mehr so schlecht in diesem Spiel."

Ein paar Spielzeugberge weiter: Andreas Viedt ist spät noch einmal Vater geworden, nun sucht der Designer den Kontakt zu anderen Männern im Väterzentrum. "Wir sind keine Weicheier hier. Wir haben alle etwas geleistet", sagt Viedt, während seine Tochter gerade auf der Turnmatte herumrollt. Seine Firma kann der 50-Jährige derzeit nur aus der Ferne lenken, dafür aber hat er Zeit für Therese gewonnen.

"Spinner im Selbstgestrickten" war gestern

Zumindest in seinem Umkreis habe sich wirklich etwas verändert: Noch in den achtziger Jahren haben Männer, die ihren Kindern in der Öffentlichkeit die Flasche gaben, als links-alternative Softies gegolten, als Spinner im Selbstgestrickten. "Da waren ja auch ein paar seltsame Typen dabei", lästert Viedt. Inzwischen sei der Aktivvater, der körperliche Nähe zulässt und eine Schutzfunktion erfüllt, akzeptierter. Und seit er seine Tage mit Therese verbringt, habe sich auch seine Beziehung zu seinem älteren Sohn verbessert.

Gewiss sind die Männer aus der Marienburger Straße nicht ganz repräsentativ für die Realität in Deutschland. Die Väter, die sich am Wochenende zum "Männerrenntag" vor der Carrera-Bahn treffen, sind in der Mehrzahl Akademiker. Sie haben bisher ganz gut verdient, das Elterngeld bewegt sich also an der Höchstgrenze von 1800 Euro, und ihre Frauen verdienen oft noch besser. Sie können sich also einen zeitlich befristeten Ausstieg aus dem Job leisten.

Gerade im rot-roten Berlin schmückt man sich ganz gerne mit diesen modernen Vätern; sie passen gut zur Kulisse einer toleranten, zukunftsgewandten Hauptstadt. Genauso gerne schmücken sich auch manche Väter mit dem gesellschaftlichen Lob. Einige neigen dabei allerdings zur Übertreibung. Eifrige Überpapis, die ihre Designerkinderwagen wie Trophäen vor sich herschieben, beschreiben in epischer Breite die schwere Bürde der Elternzeit: In unzähligen Blogs und Büchern erzählen sie von Blähungen und Babystress, Beziehungsproblemen und nervigen Besserwisserinnen.

Erfolg der Papa-Traktate

Die Zahl der Neuerscheinungen von sich selbst entdeckenden Vätern nimmt schier kein Ende, und was für Mütter selbstverständlich ist, nämlich feuchte Reiswaffeln und Schokokekse vom Sofa zu kratzen, erscheint den männlichen Experten von so tiefer Bedeutung, dass sie sich nur mit einem weiteren Bekenntniskapitel zu helfen wissen. Ich wickle, also bin ich. Aber nur so lange, bis sie wieder in den Job einsteigen dürfen.

Wahrscheinlich beruht der Erfolg der Papa-Traktate auf der Tatsache, dass Männer an der Wickelfront noch immer selten sind. Immerhin hat die PR-Offensive der Familienministerin Ursula von der Leyen ein wenig Bewegung gebracht - inzwischen geht fast jeder fünfte Vater in Elternzeit, wenn auch meist nur für zwei Monate. Kürzlich hat das Magazin Stern die Existenz der neuen Väter komplett bestritten: Der funktionierende Fläschchen-Papa sei doch nur ein Phantom. In Wahrheit wollten die Männer sofort raus aus der Dutzi-Dutzi-Falle.

Nach kurzer Zeit hätten die gestressten Wichtigtuer dermaßen die Nase voll, dass alle Beteiligten aufatmeten: die Kinder, weil endlich das Chaos aufhört; die Mütter, weil sie zu Hause wieder Chef sind; die jammervollen Erzeuger, weil sie draußen wieder große Welt spielen dürfen. Die Forschung hat für diesen Typus den Begriff des "fassadenhaften Vaters" geprägt, der nur den Schein eines fürsorglichen, gewissenhaften Erziehers aufrechterhalte, im Alltag aber komplett überfordert sei und die Verantwortung auf die Mutter abwälze.

Eberhard Schäfer, der Leiter des Berliner Väterzentrums, bleibt Optimist. Er glaubt, dass die Kollwitzplatz-Papas Trendsetter sind. "Vater sein und Mann bleiben, das lässt sich doch heute verbinden." Auch wenn es am Anfang nicht ganz leicht war, genügend Interessenten für das Café zu finden. "Wir haben die Leute auf der Straße gefragt, was sie sich unter einem Väterzentrum vorstellen - die meisten dachten, dass wir da nur Probleme besprechen." Inzwischen habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Papasein nicht nur eine Pflicht ist, sondern auch Spaß machen darf.

So richtig lustig wird es in der Marienburger Straße, wenn ein Fußballspiel übertragen wird. Dann ist der Vereinsraum mit Kindern und Erwachsenen völlig überfüllt, es geht zu wie in der Fankurve von Hertha BSC. Und die staunenden Mütter können erleben, dass sich ihre Männer für Dinge interessieren, die fast noch wichtiger sind als die Kinder.

© SZ vom 14.10.2009/aro - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Beliebte Kindernamen
:Top 20 der häufigsten Mädchennamen

Wie soll ich mein Kind nennen? Diese Frage stellen sich viele Eltern. Hier sind die 20 häufigsten Mädchennamen des vergangenen Jahres 2009.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: