Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Freitagsküche:"Eiskugeln föhnt man ein bisschen"

Lesezeit: 4 min

Original oder Fälschung? Foodstylistin Frauke Koops über falsche Löcher im Käse, Rasierschaum als Sahnehäubchen und den Perfektionismus in der Nahrungsmittel-Fotografie.

Ulrike Heidenreich

Seit 40 Jahren arbeitet die Hamburgerin Frauke Koops als Foodstylistin. Als die gelernte Hauswirtschaftsleiterin diesen Job für sich erfand, gab es ihn eigentlich noch gar nicht - der Begriff Foodstyling kam erst später aus England. Frauke Koops aber hat in vier Jahrzehnten einen ganzen Berufszweig geprägt und diverse Kochbücher verfasst. Sie arrangiert zudem Menüs für Gourmet-Fachzeitschriften und wird von Sterneköchen gebucht, um deren Kreationen für Fotografen perfekt in Szene zu setzen. Die sechsfache Großmutter nennt sich übrigens selbst lieber Lebensmittelkosmetikerin und setzt auf Natürlichkeit. Da darf es ruhig einmal krümeln und klecksen.

SZ: Sie tragen immer einen Koffer mit sich herum. Sieht ziemlich schwer aus.

Koops: Mein Requisitenkoffer. 18 Kilo.

SZ: Und was verbergen Sie darin?

Koops: Dazu habe ich eine peinliche Geschichte vom Stuttgarter Flughafen. Es gab Bombenalarm, das Gepäck wurde überprüft. Ich öffnete also den Koffer, und der Kontrolleur klagte: "Oh Gott, das auch noch." Alle Hälse reckten sich. Beschämend! Der Koffer ist voll mit Scheren, Pinzetten, Handschuhen, Klebstoff, Spray, Farbextrakten, Messern, Schaumschlägern oder Tonformgeräten aus dem Künstlerbedarf. Da haben sich natürlich alle gefragt: Was macht die eigentlich?

SZ: Es reist ja auch nicht jeder mit einem Knochenschaber aus der Chirurgie...

Koops: Der ist sehr wichtig für mich, um gezielt zusätzliche Löcher in Käsescheiben zu platzieren.

SZ: Es heißt, in Ihrer Branche würden Lebensmittel so lange optisch manipuliert, bis sie mit Essen kaum noch etwas zu tun haben. Welche Tricks sind besonders unappetitlich?

Koops: Man gibt manchmal etwas Spülmittel in Soßen, um sie aufzuschlagen und damit kleine Schaumkrönchen zu erzeugen. Oft greift man auf Chemie zurück. Etwa, wenn beim Drehen von Fernsehspots mit heißem Licht gearbeitet wird. Das vermeide ich aber nach Möglichkeit.

SZ: Ihr Credo lautet trotzdem: "Immer hübsch ehrlich bleiben." Wie geht das mit dem Ziel optischer Perfektion zusammen?

Koops: Ich löse viele Probleme durch Kochtechnik. Man muss Zeitpunkte abpassen bei der Zubereitung. Egal, ob Stein, Holz oder Lebensmittel - es ist wichtig, sich immer mit den Reaktionen seines Arbeitsmaterials auseinanderzusetzen.

SZ: Kollegen von Ihnen peppen schon mal Fisch mit Haarfärbemittel auf...

Koops: Ja, das sind extreme Hilfsmittel, damit Essen vorteilhafter aussieht als es ist. Unsere Branche hat sich da aber verändert, auch durch die digitale Fotografie. Gerne wird aber weiter Rasierschaum eingesetzt, um etwa Sahnehäubchen zu simulieren, die lange Shootings überstehen.

SZ: Stimmt der Branchenspruch, dass es umso schwieriger ist, je schlichter etwas fotografiert werden soll?

Koops: Das habe ich mit einem Stück Butter erlebt. Das sollte ausgepackt werden, und der Auftraggeber hatte eine ganz klare Vorstellung davon, wie sich das Papier auf der Oberfläche abdrücken sollte.

SZ: Klingt jetzt gar nicht so schwierig.

Koops: Aber das Problem ist: Jedes Stück sieht anders aus. Und das erste war leider das beste. Meistens erneuert man im Laufe der Sitzung das Produkt ja noch einmal. Die Einstellung der Kameras dauert, Butter zieht an und sieht dann nicht mehr frisch aus. Dummerweise haben wir einfach kein anderes Stück gefunden, das so gut wie das erste aussah.

SZ: Wie viele haben Sie ausprobiert?

Koops: Etwa 30 bis 40 Stück. In einer Nacht. Schließlich konnten wir uns auf eines einigen, das eine Musterung hatte, mit der man leben konnte. Ähnlich war es mit der Ananas für die Werbung eines Fruchtsaftherstellers. Die erste habe ich geschnitten, sie sah sehr gut aus, aber der Fotograf benötigte noch Zeit. Später fanden wir dann kein entsprechendes Stück mehr. Es war nachts um halb zwei. Plötzlich fiel mir ein, dass der Großmarkt öffnet. Kistenweise habe ich Ananas untersucht - der Ansatz der Blattblüte musste ja stimmen, die Struktur und die Größe.

SZ: Als schwer gelten auch Getränke. Glyzerin, so sagt man, ist da eine Art Allheilmittel Ihrer Zunft.

Koops: Wassertropfen an einem Glas laufen gleich weg. Glyzerintropfen halten länger. Natürlich muss ich auf einem Glas erst einmal ein Fundament durch Sprühaufträge schaffen. Da hat jeder so seine Tricks, die er nicht verrät.

SZ: Gibt es Situationen, in denen diese Tricks besonders wichtig sind?

Koops: Einmal musste ich Fleisch für einen Spot in Frankreich schneiden. Normalerweise läuft es nach einer gewissen Zeit an, mein Fleischstück sah aber am Nachmittag noch genauso frisch aus. Durch Zufall habe ich das Geheimnis entdeckt - und es bleibt auch eines.

SZ: Welches Lebensmittel verändert sich am schnellsten im Licht der Kamera?

Koops: Käse verliert auf der Oberfläche ganz schnell an Feuchtigkeit und sieht dann vertrocknet aus. Wichtig ist, bei den Aufnahmen die Temperatur zu halten, man kann auch mal mit einem weichen Mulltuch nachwischen. Ich trage sowieso Baumwollhandschuhe, damit ich keine Fingerabdrücke auf den Oberflächen hinterlasse. Für Schokoladen gibt es sogar Spezial-Handschuhe.

SZ: Ist es eigentlich besonders schwer, Fastfood gute Auftritte zu verschaffen?

Koops: Es ist eine andere Präzisionsarbeit. Ich habe lange für die Fastfood-Industrie gearbeitet, aber gerne damit aufgehört. Da wurden Hunderte Brötchen millimetergenau geschnitten, bis man sich mal auf eine Oberhälfte und eine Unterhälfte geeinigt hatte. Das hat mich gestört. Wenn etwas so präzise ausgearbeitet wird, ist es nicht mehr appetitlich, hat keine Sinnlichkeit mehr. Nichts durfte tropfen, die Käseecke von einem Burger musste genau auf einen Punkt gelegt werden. Das hat mit der Wirklichkeit dann nichts zu tun.

SZ: Wie kreiert man Neues? Wiederholt sich der Geschmack so wie in der Mode?

Koops: Man folgt den Trends, ja. Mal ist die asiatische Richtung mehr gefragt, mal ein Mix aus kontinentalen Küchen, besonders fettarm und wenig Zucker. Gerade ist Salz ein großes Thema. Die Molekularküche hielt ja auch relativ lange an. Im Augenblick aber führt der Weg wieder zurück zur saisonalen Küche, zu einfachen, guten Produkten. Diese zickige Küchenvariante mit mehr als 20 Zutaten gibt es nicht mehr. Wer hat denn heute noch Zeit, aufwendig zu kochen?

SZ: In Ihrer Branche ist eine zunehmende Spezialisierung zu beobachten. Da gibt es Menschen, die sich tagelang mit einer Kugel Speiseeis beschäftigen.

Koops: Eis mache ich für die Werbung überhaupt nicht mehr.

SZ: Zu nervig?

Koops: Eine Wissenschaft für sich. Und viel Arbeit. Eis muss eine ganz bestimmte Temperatur haben. Wenn Sie mit dem Metall-Spooner hineingehen, muss sich ein Schub entwickeln, damit keine glatte Oberfläche entsteht. Es muss kalt aussehen, aber Schmelz haben, man bläst mit dem Strohhalm oder föhnt ein bisschen. Man mixt und probiert und probiert.

SZ: Früher versteckte der Foodstylist eine heiße, rauchende Kartoffel hinter einer Tasse, um dampfende Flüssigkeiten zu simulieren. Entsteht der Dampf heutzutage nachträglich am Computer?

Koops: Ich mache das immer direkt bei der Aufnahme - früher mit einem Prüfgerät für Luftstrom. Mit gestäubtem Zigarettenrauch geht es aber auch.

SZ: Ein appetitlicher Beruf?

Koops: Nicht immer. Das Ekligste habe ich bei Außenaufnahmen für ein Fischfoto in Italien erlebt: Es war sehr heiß. Den Fisch gab es nur einmal, und er war verdorben. Das Foto wurde wunderschön - man konnte es ja nicht riechen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.957170
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.06.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.