SZ-Magazin:Der König der Welt

Mit Titanic wurde Leonardo DiCaprio zum globalen Mädchenschwarm. Dann zertrümmerte er sein Image, bis kein Teenager mehr bei seinem Anblick kreischte. Jetzt ist DiCaprio reif für den Oscar.

Frauen wissen nicht nur, wo sie waren, als sie von Lady Dianas Tod hörten, sondern auch, in welchem Kino sie zum ersten Mal "Titanic" sahen. Beides packte einen unerwartet heftig, beides ist einem heute eher peinlich.

leonardo dicaprio

Leonardo Di Caprio und Djimon Hounsou im Film "Blood Diamond".

(Foto: Foto: AP)

Dabei war die Begeisterung für Leonardo DiCaprio leicht verständlich. Er spielte einen unverschämt frechen Frauenversteher. Diese Kombination gibt es bei Männern im richtigen Leben selten. Deswegen erwischte sie einen unvorbereitet. Für sexy und altruistisch waren wir nicht gewappnet.

Den meisten Männern war die Leonardo-Euphorie ein Rätsel. "Was, dieser minderjährig aussehende Vollmondschädel?", fragten sie ungläubig. Zehn Jahre nach "Titanic" finden vor allem Männer DiCaprio gut.

Frauen auch, wenn sie sich für außerordentliche Schauspieler ohne nennenswerte Liebesgeschichten interessieren. Nicht mehr zu den Fans gehören schwärmende Teenies, denn aus DiCaprios Pausbacken wurde ein attraktives Männergesicht.

Fast zweieinhalb Stunden sieht man DiCaprio in dem Film "Blood Diamond" - und denkt kein einziges Mal an sein Aussehen. Das sagt etwas über sein Talent und noch mehr darüber, was er seit "Titanic" konsequent vermeidet: ein Star wie Tom Cruise zu werden, der in jeder Rolle vor allem Tom Cruise ist.

Kein Zufall, dass DiCaprio bei den diesjährigen Golden Globes für "Departed: Unter Feinden" und "Blood Diamond" vorgeschlagen war. Bei der Verleihung der Oscars am übernächsten Sonntag ist Leonardo DiCaprio in der Kategorie "beste männliche Hauptrolle" für Blood Diamond nominiert.

Scorseses "Departed", in dem DiCaprio furios spielt, geht als bester Film und für die beste Regie ins Rennen. Hollywood weiß, wie gut ein Schauspieler sein muss, der das verweigert, was man gern von ihm sähe, und die Zuschauer trotzdem kriegt.

Im Gegensatz zu Scorseses großartigem "Departed", wo sich DiCaprio als Undercover-Polizist in seiner Doppelrolle verliert, ist "Blood Diamond" von Regisseur Edward Zwick eher kein Meisterwerk. Eine Geschichte während des blutigen Bürgerkriegs in Sierra Leone, in der der südafrikanische Söldner Danny Archer (DiCaprio) und sein schwarzer Gegenspieler Solomon Vandy (Djimon Hounsou) versuchen, einen von Vandy versteckten Diamanten zu bergen.

DiCaprio als mitleidloser, von Frauen kaum zu beeindruckender, aber keineswegs humorloser Einzelgänger hat viele Kritiker zu einem Vergleich mit Humphrey Bogart hingerissen. Aber Danny Archer ist kein Gutmensch wie Bogarts Rick, der sich mit Schroffheit panzert, sondern ein Söldner, der seine Betrügereien genießt.

Dass "Blood Diamond" nicht zum linolschnittartigem Moralwerk geriet, liegt einzig daran, dass DiCaprio keinen Moment lang zulässt, dass ihn die Zuschauer für sein Handeln verurteilen.

Leonardo DiCaprio war gerade 15, als ihn Robert De Niro für die Rolle des rebellischen Teenagers in "This Boy's Life" (1993) aus Dutzenden von Bewerbern pickte, nachdem DiCaprio ihn beim Vorsprechen angeschrien hatte.

De Niro sagte später, das habe bisher niemand gewagt. Während De Niros Darstellung in "This Boy's Life" für den Oscar nicht in Erwägung gezogen wurde, verpasste DiCaprio nur knapp eine Nominierung. Er erhielt sie dann mit 19 für den Film "Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa", wo er Johnny Depps debilen kleinen Bruder spielte und dabei aussah, als sei er höchstens 14.

Spätestens nach der Oscar-Nominierung wurde Leonardo DiCaprio, Sohn eines italoamerikanischen Comic-Händlers und einer deutsch-amerikanischen Sekretärin, groß geworden in einem für Drogenhandel und Prostitution berüchtigten Viertel Hollywoods, neben River Phoenix und Johnny Depp als der große Nachwuchsstar der USA gehandelt.

Seinen nächsten Film, Baz Luhrmanns Adaptation von Romeo und Julia, fanden viele Kritiker grauenvoll, das junge Publikum war begeistert. So tränentreibend wie dieser Romeo hatte schon lange kein junger Mann mehr im Kino an der Liebe gelitten. In Interviews zu dem Film sagte der romantische Held ernüchternde Dinge wie: "Ich bin überhaupt nicht wie Romeo im richtigen Leben. Ich heirate wahrscheinlich, wenn überhaupt, erst, wenn ich mit jemandem zehn oder zwanzig Jahre gelebt habe."

1996 bekam der damals 22-jährige Leonardo DiCaprio zwei Filmrollen angeboten: die des Pornostars "Dirk Diggler" in Boogie Nights und die des armen Malers Jack Dawson, der beim Zocken eine Karte für die Jungfernfahrt der "Titanic" gewinnt.

Hätte er sich für "Boogie Nights" entschieden, würde man ihn vielleicht heute noch in Filmen sehen, die Frauen zum Seufzen bringen. Aber er machte "Titanic", den erfolgreichsten Film der Kinogeschichte. Und lehnt seither jede Rolle ab, die auch nur von ferne daran erinnert, dass er als Liebhaber auf der Leinwand hinreißend war. Schade für Kinogängerinnen, klug für die Karriere. DiCaprio will einen Platz in der Filmgeschichte, nicht an den Wänden der Mädchenzimmer.

Kaum war "Titanic" in den Kinos, war er außerstande, einen Schritt zu tun, ohne dass irgendein Teenager die Bluse aufriss. Was globalhysterische weibliche Bewunderung mit einem macht, wenn man gerade 23 ist, kann sich niemand vorstellen. Er verglich es einmal mit einem Kübel Eiswasser, der einem über den Kopf geleert wird.

DiCaprio kaufte sich keinen Ferrari und benahm sich selten daneben. Aber er ging mit seinen Freunden in Klubs wie früher, knutschte mit schönen Mädchen und sah gelegentlich auf Paparazzi-Bildern etwas betrunken aus. "Er wird enden wie River Phoenix", unkte der Rolling Stone.

Aber Leonardo DiCaprio versuchte lediglich, trotz der Euphorie, normal zu bleiben. Erfolglos: "Wenn du ständig mit Komplimenten überschüttet wirst und plötzlich mehr Macht hast als je in deinem Leben, wirst du nicht unbedingt ein arrogantes, unfreundliches Arschloch. Aber du kriegst eine falsche Vorstellung deiner Wichtigkeit und dessen, was du geleistet hast. Du glaubst wirklich, du hättest den Lauf der Geschichte verändert."

Fortsetzung im SZ-Magazin ...

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