Süddeutsche Zeitung

Syrischer Alltag: Liebesleben:"Sie war meine Sonne"

Sex und sogar Küsse sind in Syrien vor der Ehe tabu. Sadik aus Damaskus über zarte Bande, geheime Beziehungen und den Unterschied zwischen syrischen und deutschen Frauen.

Protokoll: Antonie Rietzschel

Sadik redet eigentlich gerne über seine Heimat Syrien. Über Damaskus, wo er aufgewachsen ist, über Homs und Latakia, wo er studiert hat. Doch wenn es ums Flirten und um die Liebe geht, ist Sadik schüchtern. Rumknutschen oder miteinander schlafen, das geht in Syrien oft erst nach der Hochzeit. Man spricht nicht offen darüber, deswegen will er auch nicht mit richtigem Namen genannt werden. Mittlerweile lebt er in der Nähe von Münster.

"Meine erste große Liebe lernte ich an der Uni kennen. Ich war 18 Jahre alt, sie studierte mit mir in Homs Mechatronik. Monatelang habe ich mich in jede Lern- oder Arbeitsgruppe geschmuggelt, in der sie war. Ich habe immer den Blickkontakt zu ihr gesucht, ihr tief in die Augen gesehen. Irgendwann habe ich sie zur Seite genommen und ihr meine Liebe gestanden - es ist schwer auf Deutsch zu übersetzen, was wir in solchen Momenten sagen. Wir sind da in Syrien sehr emotional, dafür finde ich gar nicht die richtigen Worte. Auf jeden Fall hat sie meine Gefühle erst nicht erwidert. Sie war sehr kühl zu mir - und ich habe versucht, mich von ihr fernzuhalten. Schließlich hat sie mir gesagt, dass sie genauso empfindet. Von da an waren wir immer zusammen.

Manchmal sind wir tagelang nicht in den Vorlesungen aufgetaucht, sondern gingen spazieren oder saßen in Cafés. Ich habe ihr gesagt, wie schön sie sei. Wir haben uns Versprechungen gemacht, was wir tun würden, wenn wir verheiratet wären. Wie ich ihr durchs Haar streichen würde. Für Deutsche klingt das wahrscheinlich sehr langweilig. Aber was sollten wir machen? Sex, sogar Küsse sind vor der Ehe nicht erlaubt. Wobei das auch von der Religion und der Herkunft abhängt. Die Beziehung zwischen mir und ihr war ohnehin schwierig. Sie war Kurdin - ihre Eltern mochten keine Araber. Niemand durfte also von uns wissen. Ein Mal habe ich beim Spaziergang ihre Hand genommen und sie ist sehr wütend geworden. Das ging ihr zu weit.

Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Frauen heiraten

Der schönste Moment mit ihr: Es war eine verregnete Nacht, draußen war es kalt. Ich habe sie angerufen und ihr gesagt, ich wolle sie sehen. Erst hat sie sich geziert, dann aber zugestimmt. Ich bin also zum Wohnheim der Frauen gegangen. Da stand sie am geöffneten Fenster. Sie war meine Sonne im Regen. Danach war ich ziemlich erkältet, aber das war es wert.

Zwei Jahre dauerte unsere Beziehung. Als sich die politische Situation verschlechterte, wollten meine Eltern, dass ich nach Latakia umziehe. Meine Freundin wollte mitkommen, konnte jedoch nicht wegen ihrer Familie. Ich habe sie nie wieder gesehen - aber sie war die einzige Frau, für die ich wirklich Gefühle hatte. Sie war sehr klug und kannte mich ganz genau. Sie war selbstbewusst, wir haben viel diskutiert.

In Latakia hatte ich dann weitere Beziehungen mit Frauen. Wir haben uns über Freunde oder Bekannte in der Familie kenngelernt. Das Problem ist, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem die Frauen heiraten. Natürlich hätte ich auch um die Hand der einen oder anderen anhalten können, aber als Student ohne Wohnung und wirkliches Einkommen ist das schwierig.

Je länger ich in Deutschland bin, desto komischer erscheint es mir, wie wir Araber an Beziehungen herangehen. Von null auf hundert: Kein Händchenhalten, kein Küssen, kein Sex - und plötzlich: Hochzeit, Kinder. Im schlimmsten Fall ist man bis zum Lebensende mit jemandem zusammen, den man eigentlich gar nicht liebt. In Deutschland kann man sich trennen, wenn es nicht mehr funktioniert, das finde ich gut. Außerdem gefällt mir, dass hier auch Frauen die Initiative ergreifen.

Luftigere Kleidung ist nicht zwinged sexy

Allerdings muss ich sagen, dass ich gerade gar keine Beziehung möchte. Ich bin nicht mehr der Sadik, der ich in Syrien war - dessen Ziel es war, eine Frau an seiner Seite zu haben. Ich konzentriere mich jetzt auf meine berufliche Zukunft. Und auf den Deutschkurs - ich kann einer deutschen Frau ja nicht mal schöne Sachen sagen wegen der sprachlichen Probleme.

Gleichzeitig steckt viel Syrien in mir. Wir sind darauf geeicht, eine Frau dahingehend abzuchecken, ob sie eine gute Mutter wäre. Welche Werte würde sie meinen Kindern vermitteln? Eine Deutsche verunsichert das vielleicht. Mir fehlt außerdem das Feuer der arabischen Frauen. Die Deutschen sind luftiger gekleidet, das heißt aber nicht, dass sie sexy sind. Syrische Frauen haben einen Hüftschwung. Alles an ihnen sagt: Ich bin eine Frau, hier bin ich. Die Frauen in Deutschland laufen manchmal wie Soldaten."

SZ-Autorin Antonie Rietzschel hat Sadik und seinen Bruder im November 2014 auf ihrer Flucht nach Deutschland begleitet. Daraus ist mittlerweile ein Buch entstanden: Dreamland Deutschland?, erschienen im Hanser-Verlag, 16,90 Euro

Serie "Syrischer Alltag"

Fünf Jahre Krieg in Syrien. Fünf Jahre Fassbomben, Tod und Zerstörung - und Millionen Flüchtlinge, die in den Nachbarländern und darüber hinaus Schutz suchen. Das Land, das Syrien einmal gewesen ist, gerät bei all dem Leid leicht in Vergessenheit. Wie war das Leben dort? Wer sind die Menschen, die aus Damaskus, Homs, Latakia kommen und in Deutschland mittlerweile die größte Flüchtlingsgruppe stellen? Wie haben sie gelernt, gefeiert und geliebt? Wie haben sie sich gekleidet und wohin sind sie verreist?

Für die Serie "Syrischer Alltag" haben acht Flüchtlinge mit uns über ihre Heimat gesprochen. Über das Leben vor dem Krieg, das in einer Diktatur stattfand und schon deshalb nicht immer sorgenfrei war. Dennoch: Die Protokolle sind Erinnerungen an eine glücklichere Zeit. Und sie zeigen, dass das Wort "Flüchtling" nur den Bruchteil einer Biografie beschreiben kann.

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