Supermodel Sophie Dahl:Von Natur aus gierig

Als fülliges Supermodel wurde Sophie Dahl weltberühmt. Jetzt hat sie ihre Autobiographie geschrieben: als Kochbuch.

Tanja Rest

In der Zeitschrift Brigitte, die neuerdings auf Models verzichtet und das so heldenhaft findet, dass sie auf dem Titel damit wirbt, stand kürzlich ein bemerkenswerter Leserbrief. Die Hobby-Mannequins im Heft seien doch eigentlich viel schlimmer, schrieb Leserin Angela S.

Diese makellosen Gesichter! Die Traumfiguren! "Konnte ich bisher sagen: 'Klar, Models müssen so aussehen, sie leben ja davon', so deprimieren die ganz normalen Frauen noch viel mehr." Was die Frage aufwirft, ob die Frauen, nachdem sie so hart für Gleichberechtigung gekämpft haben, allmählich an sich selbst irre werden.

Sophie Dahl kann sehr laut und sehr ansteckend lachen, und das tut sie an dieser Stelle. "Wir machen uns das Leben wirklich schwer..." Außerdem weiß sie eine ganz ähnliche Geschichte. Ein Interview in Amsterdam, vor ein paar Monaten: "Die Journalistin kam rein, schaute mich an und sagte: 'Wissen Sie was, als Sie abgenommen haben, war ich stinksauer auf Sie.' - Verrückt, oder?"

Sophie Dahl, das Ex-Supermodel mit der Ex-Konfektionsgröße 42, sitzt in einem Londoner Hotel auf dem Sofa und bläst den Rauch ihrer American Spirit zum Fenster hinaus. Sie ist ohne Absätze 1,80 Meter groß und hat ein fein modelliertes Madonnengesicht mit riesig blauen Augen, die einen ein bisschen benommen machen können.

Und sie ist wirklich sehr schlank, das allerdings schon seit Jahren. "Die Leute fragen immer noch: Waren Sie nicht mal dick? Was soll ich sagen. Ich ernähre mich bewusster, aber ich habe nicht aufgehört zu essen. Im Gegenteil. Ich bin von Natur aus gierig."

Sophie Dahl hat ein Kochbuch geschrieben, das in Deutschland Verführerisch heißt und auch so gemeint ist (Bloomsbury Berlin). Unterm Strich handelt es davon, dass sich alle doch mal locker machen und das Essen wieder genießen sollen. Simple saisonale Zutaten, die auch Anfänger ohne Gedöns zusammenrühren können. Keine Kalorientabellen. Kein schlechtes Gewissen. Weil die gierige Miss Dahl außerdem noch ganz genau weiß, welches Gericht sie wo, in welchem Stadium ihres Lebens verschlungen hat, ist neben den Rezepten so etwas wie eine Autobiographie entstanden.

Braten mit Sauce, Yorkshire-Pudding und Bratkartoffeln: Sussex, zu Besuch bei ihrer Großmutter. Eintopf mit Rotwein und geschmolzenem Käse, gefolgt von Mousse au Chocolat: Paris, nach einem Shooting mit Karl Lagerfeld. Japanisch, Marokkanisch, Äthiopisch, Indisch, vom Bringdienst: New York, auf der Flucht vor der britischen Presse. Sie aß immer ein bisschen zu viel von allem, dafür mit Begeisterung. "Ich finde ja: Wenn du schon ein Riesenstück Schokokuchen in dich rein-stopfst, dann genieße es wenigstens."

Als das Buch vor einem Jahr in England erschien, war das Misstrauen groß. Ein Model als Köchin - come on! Der Observer fragte süffisant, ob man als nächstes das Soufflé-Rezept von Kate Moss drucken werde. Die Kritiker, die das Buch tatsächlich lasen, seien dann angenehm überrascht gewesen, sagt die Autorin mit Heiterkeit in der Stimme. "Am Ende haben sie vor der schieren Tatsache kapituliert, dass ich, nun ja, wirklich sehr gerne esse." Allerdings dürfte auch der Name nicht geschadet haben. Mit ihren 32 Jahren verfügt Sophie Dahl bereits über ein schönes Reservoir an Geschichten, an denen man auf keinen Fall vorbeikommt.

Supermodel mit Superfamilie

Da ist zunächst mal die Familie. Sophies Großvater ist der Kinderbuchautor Roald Dahl, der ihr mit Sophiechen und der Riese die erste Titelseite ihres Lebens verschaffte, da war sie drei. Ihre Großmutter Patricia Neal bekam als Schauspielerin den Oscar, ihre Mutter Tessa Dahl galt als spektakuläre Schönheit, schrieb in den Achtzigern einen Bestseller und fiel wenig später in eine ebenso vielbeachtete Depression.

"Wenn ich mich mit meiner Familie vergleichen würde", sagt Sophie Dahl, "könnte ich gar nichts tun. Ich wäre immer Zweitbeste." Dann natürlich ihre Männer: tatsächliche oder mutmaßliche Affären mit dem Playboy Tim Jeffries, dem Schauspieler Benicio del Toro und Mick Jagger. Zur Enttäuschung vieler hat sie niemals ein Sterbenswort dazu gesagt. Und berühmt wurde Sophie Dahl dann sowieso aus einem ganz anderen Grund.

Eine Redakteurin der Vogue sah sie in London auf einer Hoteltreppe stehen und sprach sie an: Ob sie Model werden wolle? Sophie Dahl mit ihrem Vollmondgesicht und den üppigen Hüften fand diese Idee recht erstaunlich, die Alternative aber wäre die Sekretärinnenfachschule gewesen. Sie sagte: Warum nicht? Da ahnte sie noch nicht, was ihre Ankunft im Zirkus der Hungerhaken auslösen sollte. Schon ihre ersten Jobs begleitete ein Raunen, das immer lauter wurde. Mitten hinein in den verblassenden Heroin Chic des Jahres 2000 platzte dann die Yves-Saint-Laurent-Kampagne. Die 23-jährige Sophie rücklings auf lila Samt, dekoriert mit nichts als Juwelen, Highheels und rubinrotem Lippenstift. Wogen porzellannackter Haut - Konfektionsgröße 42, wie gesagt. So viel Busen und Hintern auf einmal hatten die ausgezehrten Fashionistas lange nicht gesehen.

Die Presse war gespalten. Die einen riefen eine neue Ära der Sinnlichkeit aus (die dann doch nicht kam), die anderen fühlten sich an Moby Dick erinnert. Einige Designer buchten sie wegen ihrer barocken Schönheit, manche wandten sich entsetzt ab. Frauen feierten "eine Ikone des Feminismus".

Ein 70-Kilo-Mädel, das in Paris über den Laufsteg marschiert, das musste doch ein politisches Statement sein! Sophie Dahl fand das "entsetzlich peinlich". Sie habe vorher nie groß über ihren Körper nachgedacht, sagt sie. "Dann wurde all das auf mich projiziert. Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt." Sie floh nach New York.

Gewichtsverlust als Affront

Im Buch erzählt Sophie Dahl die schöne Geschichte, wie der Fitnesstrainer eines Tages auf ihre Mailbox sprach und dann vergaß, aufzulegen. Sie konnte mithören, was er zu seinem Begleiter sagte: "Eines Tages will sie eine Figur wie Cindy Crawford haben. Hast du sie mal gesehen, die Ärmste? Der fetteste Hintern! Eigentlich ist alles an ihr fett." Das war verletzend und tat weh." Aber ich fand es auch komisch. So ein Pech für ihn!" Sophie Dahl feuerte den Fitnesstrainer, sie wurde direkt noch ein bisschen runder. Und dann nahm sie wirklich ab.

"Ich wurde älter, ich wurde dünner. Das ist die ganze Geschichte." Ganz so einfach muss es nicht gewesen sein, aber man darf ihr glauben, dass aus dem Abnehmen keine Weltanschauung geworden ist. Sie machte Pilates. Sie beschränkte sich auf drei gesunde Mahlzeiten am Tag.

Sie rief nicht mehr wie früher beim Bringdienst an und bestellte "Thai-Noodles für zwei Personen", die sie in Wahrheit allein verspeisen würde. Sie verkleinerte sich binnen zweier Jahre auf Größe 38 und musste feststellen, dass das auch schon wieder ein Affront war. Die Ikone des Feminismus - abgespeckt! Dieselben Frauen, die ihre eieruhrenhafte Erscheinung bejubelt hatten, erklärten Sophie Dahl nun zum jüngsten Opfer des Magerwahns. "Ich habe einfach mit meinem Leben weitergemacht", sagt sie.

Das Weitermachen sah so aus, dass sie ihre Model-Karriere beendete, zwei Romane schrieb, den Jazzpianisten Jamie Cullum heiratete und sehr viel Zeit in der Küche verbrachte. Ein zweites Kochbuch ist mittlerweile in Arbeit, bald startet auch die von Jamie Oliver produzierte Kochshow auf BBC Two. Nach all der Aufregung um ihre an- und abschwellende Körperfülle ist dies vielleicht die eigentliche Berufung der Sophie Dahl: "Ich habe schließlich schon so viel gegessen, dass ich weiß, wovon ich rede."

Was also rät sie Frauen, die beim Blick in die Modemagazine schier verzweifeln wollen und von einer Diät zur nächsten hetzen? Sie stellt die Tasse Pfefferminztee ab und blickt verschwörerisch. "Gegenfrage: Haben Sie mal einem Mann beim Essen zugeschaut?" Nun ... ja. "Wenn ein Mann zu viel isst, sagt er hinterher: Oh Gott, ich bin so fett und ekelhaft? Nein, er sagt: Ich bin total satt." Und? "Frauen geben dem Essen so viel Macht über sich. Sie sitzen da und fürchten sich vor einem Stück Kuchen!"

Geplagt von Schuldgefühlen hat es Sophie Dahl irgendwann mal mit einer Rohkostdiät versucht: Irisch-Moos-Mousse, Hijiki-Meergemüse, ungebackener Käsekuchen, viele Avocados und literweise Nussmilch. Hinterher war sie dicker.

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