Sumo-Säuglinge:Ein dicker Anfang

In Deutschland werden immer mehr Babys mit Übergewicht geboren - die gesundheitlichen Folgeschäden sind gravierend.

Wolfgang Luef

Ein richtiger Wonneproppen ist schnell mal der "Held der Geburtenstation". So drückt es Franz Kainer aus, Chef der Abteilung Geburtsmedizin in der Münchner Universitätsfrauenklinik. Die meisten jungen Eltern finden es besonders süß, wenn der neugeborene Nachwuchs ein kleines Doppelkinn hat, etwas dickere Arme, Speckröllchen und vielleicht ein kleines Bäuchlein.

säugling baby übergewicht

Rund und gesund: Wonneproppen werden schnell zum Helden der Geburtsstation

(Foto: Foto: iStockphotos)

"Ein hohes Geburtsgewicht wird mit Gesundheit assoziiert", sagt Elke Rodekamp, Frauenärztin vom Charité-Klinikum in Berlin. "Und wenn die Kinder nicht so proppig sind, ist oft Angst vorhanden: Hat mein Kind alles, was es braucht? Ist es nicht zu dünn?" Ein schwerwiegender Irrtum.

Die beiden Wissenschaftler sprechen nicht über ein ästhetisches Problem, niemand fordert einen Schlankheitswahn im Kreißsaal. Sie warnen vielmehr vor dem Gegenteil: Deutschlands Babys werden immer schwerer, viele leiden schon bei der Geburt an Übergewicht. Und nach wie vor gibt es zu wenig Problembewusstsein bei den Eltern, klagen die Experten.

Auf zuviel Insulin programmiert

Das mittlere Geburtsgewicht der deutschen Babys steigt pro Jahrzehnt um 20 bis 70 Gramm. "Ein im Verlauf der Evolution des Menschen vermutlich einzigartiger Anstieg", der unmöglich genetische Gründe haben könne, stellt der aktuelle Ernährungsbericht der deutschen Gesellschaft für Ernährung fest. Eine Hauptursache ist die falsche Ernährung der Mütter während der Schwangerschaft.

Die Babys erhalten etwa zu viel Zucker, produzieren dadurch zu viel Insulin und bauen unnötige Fettreserven auf. Übergewichtige Babys kommen mit einer schweren Hypothek zur Welt: "Sie sind quasi auf ein Zuviel an Insulin programmiert. Dadurch werden sie ihr Leben lang die Neigung haben, mehr zu essen", sagt Elke Rodekamp. Die Folgen: ein erhöhtes Übergewichtsrisiko und stärkere Anfälligkeit für Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Weil sich die Körper der Mütter nicht mit der Größe der Babys mitentwickeln, gibt es mehr Komplikationen bei Geburten und mehr Kaiserschnitte. Ab etwa 4500 Gramm Geburtsgewicht werden natürliche Geburten seltener - Mediziner sprechen von Übergewicht.

Bundesweit hatten im vergangenen Jahr 31 von 1000 Neugeborenen Übergewicht, 2004 waren es noch 17 von 1000 gewesen. Jüngst schlugen daher die Techniker-Krankenkassen (TK) in Berlin und Brandenburg Alarm: Dort stiegt die Zahl dicker Babys noch schneller. Laut Ernährungsbericht werden die Säuglinge in den neuen Bundesländern um satte 151 Gramm pro Jahrzehnt schwerer - ein weltweit einmaliger Wert. Die Autoren führen das auf die "rasante Veränderung der Lebensbedingungen" nach der Wende zurück.

Auf der nächsten Seite: Nicht für zwei essen

Bloß nicht für zwei essen

Viele Schwangere essen zuviel

"Es ist für die Schwangeren heute einfach irre schwierig, sich richtig zu ernähren", meint Lisa Fehrenbach, Beauftragte für Ernährung beim Deutschen Hebammenverband. "Gerade in Schichten, die nicht so gebildet sind, wird viel Fertignahrung gegessen. Und die ist generell stark zuckerhaltig", sagt sie. "Wenn die Nahrungsmittelindustrie vor allem ungesunde Produkte anbietet, dürfen wir uns nicht wundern, wenn eine Riesenwelle von Diabetes und Übergewicht auf uns zukommt."

Fehrenbach steht mit der Befürchtung nicht allein: Heute schon sind laut Ernährungsbericht in Deutschland 15 Prozent der Kinder zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig, ebenso wie ein Drittel der Frauen im gebärfähigen Alter. Gerade übergewichtige Frauen bringen doppelt so häufig zu dicke Säuglinge zur Welt als der Durchschnitt. Droht also eine Art Kettenreaktion? "Ich will es positiv formulieren", sagt Elke Rodekamp. "In der Verhinderung genau dieser Kettenreaktion schlummert ein unglaubliches Potential für das Gesundheitssystem."

Zum Beispiel in der Früherkennung von Schwangerschaftsdiabetes: Wissenschaftler sind überzeugt, dass diese immer häufiger werdende Stoffwechselkrankheit Übergewicht der Föten begünstigt. Meistens verschwindet Schwangerschaftsdiabetes nach der Geburt wieder. Ob Schwangere daran erkranken, hängt von vielen Faktoren ab: Die Ernährung ist einer davon. Auch Übergewicht und das Alter der Schwangeren spielen eine Rolle.

Wenn Schwangere flächendeckend darauf untersucht würden, könnte das Problem deutlich eingedämmt werden, sagt Gabriele Oberdoerster, Ärztin der Brandenburger TK: "Man könnte die Mütter dann gezielt mit Insulin behandeln." Im Moment gehört eine Untersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes nicht zum Standard. Der Münchner Geburtenmediziner Kainer glaubt aber: "Das wird sehr wahrscheinlich bald in die Mutterpass-Untersuchungen aufgenommen werden".

Meist würde aber auch die Einhaltung einiger einfacher Regeln helfen: "Während der Schwangerschaft keinesfalls für zwei essen, aber für zwei denken", empfiehlt die Charité-Gynäkologin Elke Rodekamp. Die zusätzliche Aufnahme von etwa 300 Kilokalorien pro Tag sei für Schwangere ausreichend: "Das entspricht einem Joghurt mit etwas Obst."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: