Studie zur Zufriedenheit:Freundschaft: mangelhaft

junge Männer lachen

Drei Viertel aller Erwachsenen in den USA sind unzufrieden mit ihren Freundschaften, halten sich selbst aber für einen guten Freund.

(Foto: cydonna / photocase.com)

"Willst du mein Freund sein?" - was uns als Kind leicht fiel, wird im Alter immer schwieriger. Eine US-Studie hat jetzt ergeben, dass viele Erwachsene unzufrieden mit ihren Freundschaften sind. Dabei halten wir uns selbst für gute Freunde. Warum also sind wir frustriert?

Von Merle Sievers

Es ist drei Uhr nachts, leere Rotweinflaschen stehen auf dem Tisch und die letzte Packung Kippen ist aufgeraucht. Seit Stunden sitzen sie in der Küche und erzählen sich ihr Leben. Die Beziehung, die gerade schwierig ist, der Job, der Probleme macht oder die Sehnsucht nach den alten Zeiten: Es gibt nichts, worüber gute Freunde nicht reden können. So was tut gut.

Und tatsächlich bestätigen Soziologen und Psychologen: Die Sehnsucht nach Freundschaft ist so alt wie die Menschheit selbst. Wir wünschen uns nicht nur einen Beruf, Partner und Kinder, sondern auch platonische Weggefährten für die guten und schweren Momente im Leben.

Die soziale Initiative Lifeboat aus den USA hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Menschen dabei zu helfen, alte Freundschaften wiederzubeleben oder neue Freundschaften zu schließen. Eine Studie der Organisation hat nun ergeben, dass viele Erwachsene unzufrieden mit ihren Freundschaften sind. Besonders in der Altersgruppe der 40- bis 60-Jährigen, der sogenannte Generation X, gaben etwa drei Viertel der Befragten an, dass sie ihre Freundschaften nicht als befriedigend empfinden.

Dabei kommt es nicht auf die Zahl der Freunde an, im Gegenteil. 68 Prozent wünschen sich tiefe statt viele Freundschaften. Über die Qualitäten, die ein guter Freund mitbringen sollte, sind sich die Generationen einig: Loyalität, Spaß und Beistand in schwierigen Situationen rangieren ganz oben auf der Wunschliste der Eigenschaften.

Allem Anschein nach sind diese Kriterien jedoch schwer zu erfüllen. 75 Prozent der Generation X sind unzufrieden mit ihren Freundschaften, 63 Prozent fühlen sich unsicher im Umgang mit ihren Freunden. Ein Armutszeugnis für die moderne Gesellschaft?

Wir brauchen Freunde als Ventil

Überhaupt nicht, sagen Experten - wir werden einfach nur wählerischer, was unsere Freundschaften betrifft. "Je moderner eine Gesellschaft wird, desto höher sind die Ansprüche, die an eine Freundschaft gestellt werden", sagt Michael von Engelhardt, Soziologe an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er forscht zu Biografie und Identität und hat eine Erklärung für die Ursache der Unzufriedenheit:

"In unserer modernen Gesellschaft haben wir immer häufiger kurze, unpersönliche Beziehungen oder Beziehungen, die mit starken Verpflichtungen verbunden sind. Besonders Menschen im mittleren Lebensalter sind stark eingebunden in Familie und Beruf. Da werden die freundschaftlichen Beziehungen als Ausgleich immer wichtiger, unsere Erwartungen an eine Freundschaft steigen."

Diesen Erwartungen gerecht zu werden, fällt uns schwer, da wir ja alle in unser eigenes, stressiges Leben eingespannt sind. Hinzu kommt, dass wir mit zunehmendem Alter unflexibler werden. Wo Kinder einander in null Komma nichts verzeihen und Kompromisse schließen, sind Erwachsene weniger tolerant. "Als Erwachsene erwarten wir, dass Freunde so sind wie wir, nicht wie ein Gegensatz", sagt Engelhardt.

Ich bin ein guter Freund

Wenn unsere Freunde tatsächlich alle so wären wie wir selbst, müssten wir eigentlich sehr zufrieden miteinander sein, denn 80 Prozent der Studienteilnehmer halten sich selbst für einen guten Freund. Warum sind wir also unzufrieden? Eine derart verquere Selbstwahrnehmung tritt laut Engelhardt häufiger bei Umfragen auf. Die Fehler suchen wir bei den anderen, nicht bei uns selbst.

Auch in Deutschland tun sich die Erwachsenen beim Thema Freundschaft schwer. Eine Umfrage der Apothekenumschau ergab 2009, dass mehr als 48 Prozent der Männer und Frauen es für schwierig halten, im Erwachsenenalter neue Freunde zu finden. 23,5 Prozent glauben sogar, dass dies nur im Kindesalter möglich ist. Engelhard schätzt die Situation hierzulande ähnlich ein wie in den USA: "Auch für Erwachsene in Deutschland gewinnen Freundschaften mit zunehmendem Alter an Bedeutung."

Damit wir uns mit unseren Freundschaften wieder wohler fühlen, sollten wir unsere Ansprüche überdenken. Immer erreichbar sein, großzügig einladen und bitte stets gute Laune und Ratschläge liefern: Niemand kann solche Erwartungen alle auf einmal erfüllen. Stattdessen können wir versuchen, uns zu öffnen und die Macken des anderen zu akzeptieren, sagt auch Engelhardt: "Freundschaften werden gestärkt, wenn wir Gegensätze zulassen."

Wenn also der Freund oder die Freundin beim nächsten Rotweinabend in der Küche mal nicht direkt die perfekte Lösung für die Probleme des Alltags parat hat, sollten wir deshalb nicht gleich die Freundschaft in Frage stellen. In diesem Fall kann es helfen, einfach noch ein Glas nachzuschenken und miteinander zu schweigen. Gute Freunde können so was.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: