Süddeutsche Zeitung

#werwirsind:Wie Studentenverbindungen ticken

Traditionen, Latein und "Presssaufen": Manche Studentenverbindungen bieten ein autoritäres Wertekorsett. Andere sind aufgeschlossener - und bleiben in einem Punkt doch erstaunlich konservativ.

Von Felix Haselsteiner und David Wünschel

Es ist ein unscheinbarer, zitronengelber Fünfziger-Jahre-Bau in der Münchner Maxvorstadt, in dem sich die Verbindungsmitglieder der Rheno-Franconia niedergelassen haben. Verbindungen, das klingt ja für viele nach Geheimbund und seltsamen Gepflogenheiten, nach wertkonservativen Burschenschaftlern in altmodischem Tuch, nicht aber nach einem Reihen-Wohnhaus, in dem 20 WGs mit eigener Küche gemeinsam ihre Studienzeit verbringen. Selbst das Wappen an der Hauswand ist dezent gehalten. "Wir hatten auch mal eine Villa", sagt Nelson, der seit zwei Jahren Mitglied in der Rheno-Franconia ist und seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Die Villa musste man jedoch einst kurz vor der Enteignung durch die Nationalsozialisten verkaufen, mit dem Geld wurde später der heutige Zweckbau finanziert. Beim Videointerview trägt Nelson einen Hoodie, und auch sonst haftet ihm nicht allzu viel von den Klischees an, die einem in den Kopf kommen, wenn man an Verbindungen denkt. Die Schuld dafür sieht er aber auch bei den Verbindungen selbst - und ihrer Scheu vor der Öffentlichkeit: "Viele verschließen sich, das halte ich für einen Fehler."

Wie also wirkt das Verbindungswesen, das zwischen den modernen Gesellschaftsdebatten um Inklusivität und Anti-Elitarismus von außen wie ein Relikt aus dem Biedermeier erscheint? In dem allein schon die Nomenklatur des Aufstiegs innerhalb der Bünde - man beginnt als Fuchs, wird zum Burschen und später zum Alten Herren - archaisch wirkt? In der Rheno-Franconia, einer nichtschlagenden Verbindung, sind die offiziellen Kriterien für eine Mitgliedschaft Studium, männliches Geschlecht und eine römisch-katholische Glaubensorientierung. Uniformität sieht Nelson dennoch nicht: "Bei uns steht die freundschaftliche Basis im Vordergrund, ohne dass wir alle gleich wären."

Unpolitisch sei man, sagt auch der Vorsitzende Andreas Kraus; nur eine "Unvereinbarkeit" mit der AfD gebe es. Aus Nelsons Sicht ist die Rheno-Franconia, wie viele Verbindungen, daran interessiert, Gemeinschaft durch Diskussionen und Zusammenleben zu bilden - und nicht durch Fechten oder eine klar formulierte politische Identität. Eine Mitgliedschaft in solch einer Verbindung könne er sich nicht vorstellen: "Manche Verbindungsmitglieder sehen die Verbindung an sich als kompletten Lebensinhalt."

Ein autoritäres Wertesystem, das viele junge Männer anzieht

Davon kann Leon Enrique Montero berichten. Mit 22 trat er für zehn Monate in eine katholische, nicht-schlagende Verbindung ein und erlebte in dieser Zeit, dass Gemeinschaft nicht nur im positiven Sinn existiert. Montero erzählt von exzessiven Besäufnissen und Korporierten mit archaischem Weltbild. Aber er sagt dennoch: Mit vielen Verbindungsmitgliedern habe er sich gut verstanden und manche Abende habe er gerne in der Gemeinschaft verbracht.

Was man wissen sollte: Montero ist schwarz. Das ist ungewöhnlich in einem Milieu, in dem oftmals viel Wert auf Tradition und deutsches Brauchtum gelegt wird. Als er 2019 zum Studieren nach Hannover zieht, will er trotzdem einer Verbindung beitreten. Hinter den prachtvollen Fassaden der Verbindungshäuser vermutet er eine spannende Parallelwelt, die er fotografisch festhalten will. Eine katholische Verbindung bietet ihm ein Zimmer in einem Jugendstilhaus an, zu hervorragenden Konditionen: 24 Quadratmeter, gute Lage, günstige Miete.

In den ersten Wochen, so beschreibt es Montero im Gespräch, bringt er sich voller Elan in die Gemeinschaft ein. Er nimmt an zahlreichen Veranstaltungen teil. An vielen Abenden sitzt er am Tresen und trinkt mit seinen Mitbewohnern. Wenn Mitglieder anderer Verbindungen auf ein Bier vorbeikommen, ist meist er derjenige, der die Tür aufmacht. Und um sich optisch anzupassen, kauft er sich neue Hemden und Anzüge. Wie viele neue Verbindungsmitglieder ist Montero ein Studienanfänger in einer neuen Stadt auf der Suche nach Anschluss. "Wenn du genau in dieser kritischen Phase eine Gruppe findest, die dich so aufnimmt, wie du bist, dich im Zweifel auch formt, dann gibt dir das Halt", sagt er heute. In vielen Verbindungen herrscht Montero zufolge ein autoritäres Wertesystem, das für viele junge Männer anziehend wirke: "Dann stehst du mit Anfang 20 da und wirkst wie eine gemachte Person."

Auch das Trinken gehört zu den festen Ritualen

Montero beschreibt dieses Wertesystem als konservativ, zumindest ist es ein starker Kontrast zur urbanen Welt junger Großstädter, die sich oft als grün oder linksliberal bezeichnen. Wie die Rheno-Franconia in München ist auch die Verbindung, in der er sich engagiert, offiziell unpolitisch. Vor der Hochschulwahl liegen im Verbindungshaus allerdings Flyer des CDU-nahen Studentenverbands RCDS aus. Montero lernt Korporierte kennen, die in seinem Alter schon verlobt sind. Und bei offiziellen Veranstaltungen wird manchmal Latein gesprochen.

Auch das Trinken gehört zu den festen Ritualen. Montero und seine Mitbewohner üben das "Presssaufen", bei dem sie möglichst schnell ein ganzes Bier runterkippen müssen. Einige Wochen nach seinem Eintritt in die Verbindung, erzählt Montero, kommt er in eine Situation, in der er gegen ein Mitglied einer anderen Verbindung antreten soll. "Der konnte kaum mehr stehen, hat gar nichts mehr gerafft und war eigentlich schon fertig für den Abend." Trotzdem wird Monteros Gegenüber von einem anderen Korporierten dazu gedrängt, endlich weiter zu trinken. Auch Montero leert sein Glas. "Natürlich habe ich das getan - sonst hätte ich mir den ganzen Abend dumme Sprüche anhören müssen."

Auch wegen solcher Erfahrungen tritt er nach neun Monaten wieder aus. Im Nachhinein sagt Montero: Für ihn sei es vollkommen in Ordnung, wenn Männer sich in ihrer Verbindung wohlfühlen würden, zusammen trinken würden und Spaß hätten. Deshalb wirbt auch er für Differenzierung und sieht die konservative Identität im Verbindungswesen nicht nur kritisch.

Männerbund als "Traditionspflege"

Weit verbreitet ist sie jedenfalls. Denn auch bei der Rheno-Franconia in München und dem katholischen Verbindungsdachverband CV gibt es weiterhin ausgesprochen konservative Haltungen, etwa zur Frage, ob man auch Frauen akzeptieren sollte: "Ich glaube, dass es eben auch Rückzugsräume für Männer und solche für Frauen braucht", sagt Vorstand Andreas Kraus. Beziehungen zwischen Mitgliedern könnten zu "Friktionen" führen.

Nelson ist aufgeschlossener, sieht darin aber eine "Traditionspflege", auf der die Zukunft der Verbindung in gewisser Weise fußt: Eine Öffnung für Frauen etwa hätte einen Austritt aus dem Dachverband zur Folge und würde alte Mitglieder verscheuchen, die mit ihren Spenden das Leben der Jungen im Haus finanzieren. Veränderung im Verbindungswesen sieht Nelson daher in naher Zukunft nicht: "Solange die Öffnung nicht von oben ausgeht, wird das nicht passieren."

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