Strommasten vom Designer:Höchst gespannt

Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, müssen wir das Stromnetz ausbauen, sagen die Energieversorger. Und während die einen noch gegen eine Erweiterung protestieren, entwerfen die anderen bereits alternatives Design für Masten.

Georg Etscheit

Der britische Energie- und Klimaminister Chris Huhne fand große Worte. "Die doppelte Herausforderung von Klimawandel und Energiesicherheit sieht uns vor dem Beginn einer neuen Ära der Energiearchitektur", sagte er zur Eröffnung eines landesweiten Architektenwettbewerbs. Es müssten akzeptable Wege gefunden werden, um die nötige Infrastruktur für die Energiewende in die "urbanen und natürlichen Landschaften einzubinden".

Und so forderte er Architekten, Designer und Ingenieure auf, "eine der entscheidensten und umstrittensten Fragen des modernen Großbritannien neu zu denken: den Hochspannungsmast". Den Gewinnern des Wettbewerbs winken Preisgelder von 10.000 Pfund.

Ob im Vereinigten Königreich, im Rest Europas oder hierzulande: Es wird nicht viele Menschen geben, die die stählernen Ungetüme besonders schön finden. Landschaftsliebhabern sind sie seit jeher ein Dorn im Auge, Naturschützer fürchten sie als Todesfalle für Vögel, und Anwohnern graut es vor möglichen Gefahren elektromagnetischer Felder.

Doch ohne sie gehen, mit oder ohne Atomkraft, buchstäblich die Lichter aus. Als 2005 nach einem Schneesturm im Emsland viele Strommasten einknickten, fühlten sich mehr als 200.000 Menschen bei Kerzenschein und ausgekühlten Heizkörpern tagelang in vorindustrielle Zeiten zurückversetzt.

Ohne die stählernen Riesen wäre die Industriegesellschaft nicht denkbar. Zehntausende stehen allein in Deutschland. Und es werden in den nächsten Jahren noch einige hinzukommen, wenn die Energiewende greift und immer mehr Windstrom aus Norddeutschland in die Industrieregionen des Südens geleitet werden muss.

Auch der Sonnenstrom, der einmal aus Nordafrika zu uns fließen soll, muss irgendwie transportiert werden. Erdkabel wären eine landschaftsschonende Alternative. Doch sie sind um ein Vielfaches teurer als Freileitungen und zum Teil technisch noch nicht ausgereift.

Der klassische Gittermast mit den ausgestellten Füßen und den markanten Auslegern dagegen hat den Praxistest längst bestanden. Er ist robust, kostengünstig, dank eines Baukastensystems flexibel einsetzbar und, im Regelfall, sehr wartungsarm. Und das schon seit Jahrzehnten.

"Die Architektur des Stahlgittermastes ist seit hundert Jahren mehr oder weniger gleich geblieben", sagt ein Sprecher des Energiekonzerns RWE. Etwa zwanzig Prozent der Strommasten des 110-Kilovolt-Verteilernetzes von RWE wurden noch vor 1950 gebaut. In England sieht es nicht anders aus. Der englische Standardmast wurde 1927 von dem Architekten Sir Reginald Blomfield konstruiert. Seither hat er sich kaum verändert.

Doch der Hochspannungsmast der Zukunft soll die wirtschaftlichen und konstruktiven Vorteile der bisherigen Modelle mit einer gefälligeren Ästhetik verbinden. Stromversorger und Netzbetreiber erhoffen sich davon mehr Akzeptanz für neue Stromleitungen in der Bevölkerung - bislang laufen an jeder geplanten Trasse Dutzende Bürgerinitiativen Sturm gegen die turmhohen Metallgerüste.

Das Bild vom stählernen "Riesen" wörtlich genommen haben die US-Architekten Thomas Shine und Jin Choi. Für einen vom isländischen Stromversorger Landsnet initiierten Gestaltungswettbewerb haben sie - bislang freilich nur virtuell - zyklopenhafte, menschenähnliche Metallmaste in die karge Vulkanlandschaft der Insel gesetzt.

Die Homunkuli sollen, ähnlich wie die rätselhaften Statuen auf der Osterinsel, zu "Monumenten in der Landschaft" werden, schreiben die Architekten in ihrer Bewerbung. Die rund 100 von der Landsnet-Jury im Jahre 2008 bewerteten Entwürfe reichen von minimalistischen Konstrukten, die wie Striche in der Landschaft stehen, bis zu landschaftsprägenden Versionen oder futuristischen Szenarien von Freileitungen, die an Ballons in der Luft schweben.

Nicht weniger spektakulär wirken die aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigten Masten des Kölner Architekten Dietmar Koering mit ihren organischen Formen. Die Aufmerksamkeit, die seinem Entwurf zuteil geworden sei, habe ihn überrascht, sagt Koering. "Dabei sehe ich meine Entwürfe eher als Kunstobjekt." Ob die Strommastrevolution in Island je Realität wird, ist fraglich, nachdem das Land infolge der Finanzkrise zeitweise vor dem Staatsbankrott stand.

Kreative Finnen

Wirklich gebaut wurden Designermasten erst an wenigen Orten; meist sind es Einzelstücke. Mit rund zwei Dutzend solcher Unikate sind die Finnen besonders kreativ. Eine Designleitung verläuft, hellblau gestrichen, am Stadtrand von Helsinki. "Die sind vor allem als Eyecatcher gedacht", sagt Axel Thallemer. Der Professor für Industriedesign an der Kunstuniversität in Linz hat seine Studenten im Auftrag des österreichischen Netzbetreibers Verbund-Austrian Power Grid AG (APG) ein gutes Dutzend neue Masten entwerfen lassen und sich dafür im Universum der Hochspannungsmasten umgeschaut.

Oft haben die Masten einen Bezug zu dem Ort, an dem sie errichtet wurden. So gibt es, wiederum in Finnland, einen Mast neben einem Kohlekraftwerk, der wie ein in sich verdrehter Kaminschlot wirkt. In den USA weist ein Exemplar mit Micky-Maus-Ohren auf einen nahen Disneypark hin. Der französische Kurort Amnéville-les-Thermes hat vier Hochspannungsmasten von der Künstlerin Elena Paroucheva aufbrezeln lassen. Das um die Gittertürme gelegte Geflecht aus Stahl und Kunststoff sieht aus wie ein neckisches Reifröckchen. Fehlt eigentlich nur noch der Hundertwasser-Mast.

Axel Thallemer hält wenig von solchen "Behübschungen": "Lächerlich", "peinlich" oder "völlig daneben", entfährt es ihm, wenn er Designmasten aus aller Welt auf seinem Laptop Revue passieren lässt. Die Entwürfe seiner Studenten sind dagegen ziemlich puristisch. Aufgabe war, die Gitterfachwerkmasten ästhetisch und konstruktiv zu optimieren und sich dabei Konstruktionsprinzipien der Natur zunutze zu machen.

Eine Studentin hat sich an der Doppelhelix der DNS orientiert, ein Kommilitone an einem Baum. Die Chinesin Gloria Dai Yali wählte das Bambusrohr ihrer Heimat als Vorbild. Ihr Ziel war ein schlanker, aber dennoch stabiler Mast auf kleiner Grundfläche. "Mein Favorit", sagt Thallemer.

Aber diese Entwürfe sind vorerst in der Schublade verschwunden. Denn die APG überlegt, für ihr aktuelles, in den betroffenen Gemeinden stark diskutiertes Projekt der "Salzburgleitung" von Oberösterreich zum Tauernkraftwerk Kaprun eine Version des Masttyps Wintrack des niederländischen Netzbetreibers Tennet einzusetzen. An noch zu definierenden sensiblen Stellen der neuen Trasse könnten diese Masten zum Einsatz kommen. Auch der deutsche Tennet-Ableger, der das frühere Höchstspannungsnetz von Eon gekauft hat, liebäugelt mit dieser Neuheit.

Wintrack ist derzeit in Europa wohl der einzige innovative Masttyp, der Chancen hat, auch großflächig zum Einsatz zu kommen. Mit ihren zwei hellen Stahlpylonen und ohne weite Ausleger wirken Wintrack-Masten recht filigran und ähneln ein wenig den Oberleitungen moderner ICE-Strecken. Der Nachteil: Sie sind teurer und können nur dort gebaut werden, wo man mit einem Autokran hinkommt.

Die Abkehr vom Gittermast, der ja, wie der Eiffelturm, an industrielle Gründerzeiten gemahnt, wäre auch für Peter Ahmels, Experte für erneuerbare Energien und Netzausbau bei der Deutschen Umwelthilfe, eine denkbare Option. Obwohl sie nicht durchsichtig seien wie die Gittermasten, wirkten Wintrack-Pylone weniger dominant. Auch bei Windrädern hätten sich schließlich elegante Turmkonstruktionen gegen die altertümlich wirkenden Gittermasten durchgesetzt.

Landschaftsschützer wie Martin Konrad Wölzmüller vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege halten Designmasten dagegen für eine "ästhetische Spielerei". Der Bau einer Freileitung ist für ihn immer ein technischer Eingriff in die Landschaft - er wird nicht besser, wenn man ihn kaschiert und ästhetisiert. Außerdem werde so die Frage verschleiert, ob diese oder jene Leitung wirklich nötig sei.

Mit dieser Meinung steht Wölzmüller diametral zu Designprofessor Thallemer, der die Gittermasten sogar als Bereicherung empfindet. "Ich fand die eigentlich immer schön." In den Bergen erleichterten "gereihte Maste" die Orientierung. Und sie verleihen der Landschaft "über den Kontrast von Natur und Technik einen besonderen Reiz".

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