Süddeutsche Zeitung

Energiekrise:Alltag im Blackout

In Südafrika fällt fast jeden Tag der Strom aus. Wie man damit lebt, wenn der Ausnahmezustand zur Normalität wird.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Auch nach fünf Jahren und Hunderten Tagen, an denen der Strom plötzlich weg war, ist es doch erstaunlich, wie schwer sich das Gehirn dabei tut, die Tatsache zu akzeptieren, dass das Drücken von Lichtschaltern zu keinerlei Reaktion der Lampen führt. Man läuft ins Bad und legt die Hand auf den Schalter, und es dauert jedes Mal einige Sekunden, bis man sich daran erinnert, dass gerade kein Strom da ist. Ist er dann mitten in der Nacht wieder da, sind oft alle Räume hell erleuchtet, weil man ja zuvor alle Schalter umgelegt hatte.

Seit fünf Jahren leben wir in Südafrika, seit fünf Jahren haben wir mit Stromausfällen zu kämpfen, mal mehr, mal weniger, oft gar nicht. Vor ein paar Wochen gab es etwa zehn Stunden am Tag keinen Strom, und zwar tagsüber, gerade sind es eher zwei oder gar keine Unterbrechung. Während sich in Europa viele Menschen gerade fragen, ob es im Winter genug Strom und Gas gibt, haben die Menschen in Südafrika nun schon eine gewisse Erfahrung damit, wie es ist, wenn nichts aus der Steckdose kommt. Wenn Ampeln nicht mehr funktionieren, die Züge stehen bleiben, Restaurants schließen müssen und die Alarmanlagen keinen Alarm mehr machen.

Seit 2007 geht das nun schon so, weil der staatliche Stromkonzern Eskom, der 95 Prozent des in Südafrika benötigten Stromes produzieren sollte, durch Korruption, Inkompetenz und Gleichgültigkeit so heruntergewirtschaftet ist, dass er an schlechten Tagen gerade mal die Hälfte der Energie erzeugt, die das Land braucht. Südafrika kann sich nicht über einen Mangel an Wind und Sonne beklagen, trotzdem hat der regierende ANC seit Jahrzehnten vor allem auf Kohle gesetzt, auch, weil man dachte, dass die Zehntausenden Kohlekumpel und ihre Gewerkschaften eine Wählerklientel sind, die man nicht enttäuschen sollte. Die Kohlekraftwerke sind alt und anfällig, ständig fällt eines aus. Manchmal sind Brandstifter und Saboteure am Werk. Millionen Südafrikaner haben ohnehin keine Lust, für Strom zu bezahlen, lassen Rechnungen liegen oder zapfen illegal die Leitungen an. Was in Townships wie Soweto einmal als Protest gegen das Apartheitregime begann, ist mittlerweile zu einer Art Tradition geworden, von der man sich nur schwer trennen kann. Der Staatskonzern hat deshalb einen Schuldenberg von 25 Milliarden Euro angehäuft. Besserung ist so kaum in Sicht. Zwar dürfen nun auch private Anbieter Strom ins Netz einspeisen, aus Wind- und Sonnenenergie, oft fehlen dafür aber die Leitungen. Ändern wird sich so erst einmal nichts. Im Gegenteil: Eskom hat bereits angekündigt, dass mit weiteren dramatischen Ausfällen zu rechnen ist. Sogar mit Stufe acht, schlimmer geht es kaum.

Gaskocher sind oft ausverkauft

Millionen Südafrikaner haben auf ihren Smartphones Apps heruntergeladen, auf denen sie sehen, in welcher Region in den kommenden Tagen wie lange der Strom ausfällt, wenn es zu wenig für alle gibt. Es ist so, als ob man aufs Wetter schaut, um die kommenden Tage zu planen. Kann man am Samstag Kindergeburtstag feiern? Oder abends Essen gehen? Wann fahren die Züge?

Bei Stufe eins sind es nur ein bis zwei Stunden, bei Stufe vier wird es schon unangenehmer, Stufe sechs kann knapp zehn Stunden ohne Strom bedeuten. In Kapstadt ist es manchmal ein wenig besser, weil es hier noch einen Damm gibt, der etwas mehr Energie liefert. Dennoch sieht der Alltag oft so aus, dass es morgens keinen Strom zum Kaffee kochen gibt und abends keinen zum Kochen. Manche finden das ziemlich romantisch, bei Kerzenlicht auf dem Balkon zu sitzen. Millionen aber haben keinen Balkon und müssen jeden Tag planen: Wann machen die Kinder die Hausaufgaben, wann gibt es Abendessen und wie wird es zubereitet? Es wird viel gegrillt, Gaskocher sind oft ausverkauft, wenn die Ausfälle wieder zunehmen.

Im Winter kann es besonders unangenehm werden, weil die Häuser schlecht isoliert sind, und wenn überhaupt mit einer Klimaanlage geheizt werden, die dann natürlich auch ausfällt. Manche Haushalte haben dann auch kein Wasser, weil die Pumpen streiken.

Wer wie stark betroffen ist, ist natürlich auch eine Frage des Geldes: Touristen merken meist nicht viel. Einige Wohlhabende haben sich Diesel-Generatoren zugelegt. Wir haben zumindest eine kleine Batterie, mit der man eine Lampe anmachen und die Telefone laden kann. Viele sitzen aber einfach im Dunkeln. In Gegenden, in denen die Kriminalitätsrate ohnehin hoch ist, trauen sich viele nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße.

Die Minister genießen ihre kostenlose Stromversorgung

Manche freuen sich, wenn dann die ganze Familie um ein kleines Feuer im Hof und Garten sitzt. Manche kommen mit der Lage weniger gut klar. Existenzen sind gefährdet, die Wirtschaft leidet. Handwerker müssen ihre Betriebe schließen, selbst manche Krankenhäuser haben keine funktionierende Notversorgung. Ist der Strom einmal für viele Stunden weg, leeren sich die Handy-Akkus und Powerbanks.

"Die Menschen sind frustriert, manche sind wütend, manche zeigen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung", sagte Sinqobile Aderinoye, eine Psychologin in Johannesburg, lokalen Medien. "Das Gehirn beginnt zu denken, dass wir angegriffen werden. Dem Körper wird dann mitgeteilt, dass wir in Gefahr sind, und wir erzeugen eine Angstreaktion." Dazu komme eine gewisse Desillusionierung: Der Staat lässt seine Bürger im Stich. Die Minister der korrupten ANC-Regierung, die das ganze Schlamassel zu verantworten haben, genießen in ihren vom Staat bezahlten Residenzen in Pretoria eine kostenlose Stromversorgung, die nicht abgeschaltet wird. Die Wut darüber ist natürlich groß, aber erstaunlicherweise nicht so groß, dass es zu massenhaften Demonstrationen käme, dass sich zumindest ein paar Leute vor die erleuchtete Villa von Präsident Cyril Ramaphosa stellen. Es ist eine Mischung aus Abstumpfung und einer großen Bereitschaft, sich nicht unterkriegen zu lassen: Man kann auch im Dunkeln eine gute Zeit haben. Nur ein bisschen planen muss man halt. Uns ging kürzlich mitten beim Kochen der Nudeln der Strom aus. Der Versuch, das Wasser auf dem 400 Grad heißen Kohlegrill zum Kochen zu bringen, scheiterte. Schlimmeres ist bisher nicht passiert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5678632
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/fabr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.