Eltern streiten vor den Kindern:Vorbildlicher Zoff

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Wenn Eltern ihre Konflikte konstruktiv austragen, können Kinder sogar von den Streitereien profitieren.

Nicola Schmidt

Es geht um den Abwasch, ums Geld oder um die Frage, ob der Älteste heute noch ins Kino darf. Wenn Eltern streiten, sind die Kinder häufig anwesend - und viele Eltern haben hinterher ein schlechtes Gewissen. Studien zeigen, dass andauernder Streit zwischen Vater und Mutter für Kinder schlimmer ist als eine Trennung der Eltern. Mit diesem Wissen im Kopf zischt schon mal die wohlmeinende Schwiegermutter: "Streitet euch nicht vor den Kindern!" Doch dieser Ratschlag ist kaum einzuhalten.

Streiten vor Kindern - traumatisch oder lehrreich? Es kommt darauf an, wie die Eltern miteinander umgehen. (Foto: iStockphoto)

190.000 Ehen mit minderjährigen Kindern wurden in Deutschland 2008 geschieden, und der Scheidung geht häufig eine Zeit intensiver Auseinandersetzungen voraus. Wissenschaftler können besorgte Eltern jedoch beruhigen: Nicht jeder Zoff um den Abwasch schadet der Entwicklung der Kinder. Im Gegenteil.

"Wenn es in der Familie eine konstruktive Streitkultur gibt, können Kinder davon profitieren und am Modell der Eltern lernen, wie man Konflikte löst", sagt Sabine Franiek von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Anhand von Daten eines Projekts ihrer Doktormutter Barbara Reichle hat sie für ihre Dissertation fast 150 Elternpaare mit Kindern im frühen Grundschulalter befragt und zusätzlich Beurteilungen der Lehrer eingeholt. Ihr Ergebnis: Wie Eltern sich über den Abwasch einigen oder nicht einigen, hat Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Kinder in der Schule - und keineswegs nur negative.

Wann ein Streit für die Kinder schädlich oder förderlich ist, hängt von mehreren Faktoren ab. "Wichtig ist das Alter der Kinder", sagt Franiek. "Kleinere Kinder können den Inhalt eines Streits nur schwer verstehen und sogar ganz kleine Säuglinge reagieren sehr sensibel auf Unstimmigkeiten zwischen den Eltern." Daher gilt bei Säuglingen und Kleinkindern weiterhin: Streitet euch nicht vor den Kindern. Erst im Grundschulalter können Kinder die Hintergründe elterlicher Konflikte inhaltlich verstehen und daher besser verarbeiten.

Auch worüber und wie oft gestritten wird, spielt eine große Rolle. "Geben Eltern an, häufiger zu streiten, dann ist das negativ für das Kind", stellt Franiek in ihrer Studie fest. Auch Konflikte, die das Kind selbst betreffen, sollten besser nicht vor dem Kind ausgetragen werden. Forscher wissen, dass solche Konflikte für die Kinder belastend sind, da sie eine Bedrohung darstellen oder Schuldgefühle auslösen können.

Geht es aber um den vollen Mülleimer, die Miete oder den leer gefahrenen Tank des Autos, rät Franiek Eltern, nicht mit dem Konflikt hinterm Berg zu halten, sondern ihren Grundschulkindern den Grund für den schief hängenden Haussegen zu erklären. So stellen Eltern sicher, dass die Kinder sich nicht von dem Streit bedroht fühlen und ihn auf sich beziehen. Diese Erklärung sollte altersgerecht ausfallen, also nicht etwa lauten: "Die Faulheit deines Vaters treibt mir das Adrenalin in die Adern!" sondern eher; "Ich ärgere mich darüber, dass Papa so selten den Müll herunterbringt und wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass er das Montags und Mittwochs ab jetzt immer übernimmt."

Eine solche Information kann mehrere positive Effekte haben. Der Psychologe Mark Cummings von der amerikanischen Universität Notre Dame kommt in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass Kinder vom miterlebten Streit lernen, wie eine Lösung herbeigeführt wird und welche Verhandlungsstrategien sie später selbst einsetzen können. Cummings beschäftigt sich seit 1994 mit den Effekten elterlicher Konflikte. In seinen Studien mit Grundschulkindern stellte er fest, dass ein gelöster Konflikt am Ende ein ebenso entspanntes Kind zurücklässt, als hätte es einen Streit gar nicht gegeben. Doch Vorsicht bei vorgespieltem Frieden: Kinder sind laut Cummings sehr sensibel für die subtilen Varianten, die eine Konfliktlösung haben kann und ein halbgarer Kompromiss lässt nicht nur die Eltern verärgert, sondern auch die Kinder irritiert zurück.

Sollten die Kinder jetzt also bei jedem Konflikt dabei sein? Natürlich nicht, sagt Cummings. Die Kinder in seinen Studien reagierten auch positiv, wenn die Eltern ärgerlich den Raum verließen, später aber versöhnt wieder zurückkehrten und dem Kind erklärten, dass und wie sie den Konflikt gelöst hatten. Wenn also morgens beim Frühstück die ersten wütenden Worte fallen und sich die Eltern erst nach Feierabend vertragen, ist dies nicht gleich ein Schaden für die Kinder. Die Kinder müssen nicht jeden Streit unbedingt von Anfang bis Ende mitverfolgen. Aber wenn sie den ersten genervten Schlagabtausch mitbekommen haben, sollten sie über die erfolgreichen Friedensverhandlungen am Abend informiert werden.

Auch Cummings bestätigt, dass die Art des Streitens eine große Rolle spielt. In einer Studie mit Ein- bis Dreijährigen verglich er Familien, die ihre Unstimmigkeiten in der Ehe eher mit Lächeln und sogar Lachen diskutierten gegen solche, die eher genervte Blicke und kritische Kommentare austauschten. Die Kinder mit den lachenden Eltern waren auch selbst fröhlicher und unabhängiger. Insgesamt geben gelöste Konflikte den Kindern emotionale Sicherheit, ungelöste schüren hingegen ihre Ängste vor einer Trennung der Eltern.

"Unsere Studien sind eine Mahnung", sagt Cummings, "wir müssen Eltern dringend darin unterstützen, wie sie Konflikte konstruktiv bewältigen können - um der Kinder und ihrer selbst willen." Aber was macht diesen viel beschworenen, konstruktiven Streit aus?

"Konstruktiv ist ein Streit, wenn beide Seiten vorwiegend nach einer Lösung des Konflikts oder des Problems suchen", sagt Manfred Cierpka, Experte vom "Bündnis für Kinder" und Direktor der Abteilung für Familientherapie am Universitätsklinikum Heidelberg. "Nicht konstruktiv wird es oft, wenn die üblichen Partnerschaftsdynamiken überwiegen" - also einer Recht behalten wolle, Macht demonstriere oder das Opfer sein müsse. "Dann tritt die Problemlösung in den Hintergrund und die Beziehungsdynamik in den Vordergrund."

Cierpka zufolge kann ein konstruktiver Streit für Kinder immer ein gutes Beispiel sein, denn "Kinder lernen am meisten über Identifikation mit einem modellhaften Verhalten". Wie stark und wie gut sie dem Beispiel der Eltern folgen, hängt nach seiner Erfahrung auch davon ab, wie ihre eigene Beziehung zu den Eltern ist. Hat das Kind eine sichere Bindung zu seinen Eltern, vertraut es ihnen und erfährt es zuverlässige Zuwendung, wird es eher den Dialogstil von Mutter oder Vater übernehmen als ein Kind, das Ablehnung oder Vernachlässigung erlebt.

Insgesamt, so resümiert Franiek, ist es eine "Klimafrage", ob und wie Kinder von Elternkonflikten profitieren: "Ein positives Familienklima und positiv-konstruktives Konfliktverhalten ging in unserer Studie einher mit positivem Erziehungsverhalten - und dies stand wiederum im direkten Zusammenhang mit dem Sozialverhalten der Kinder." Kinder aus solchen Familien werden sich eher bedanken, andere loben, sie können zuhören und abwarten, sich entschuldigen und Bedauern ausdrücken. Alles Fertigkeiten, die in der Schule wie im späterem Leben von Vorteil sind.

Sich bei einem Streit auf die Sache zu konzentrieren, ist allerdings selbst für Erwachsene leichter gesagt als getan. Programme wie die Kurse des Deutschen Kinderschutzbundes "Starke Eltern - starke Kinder" bieten Eltern geschützte Räume, in denen sie die Konfliktlösung üben können. Auch Konzepte wie die Gewaltfreie Kommunikation helfen, aus alten Mustern auszubrechen und das nächste Mal zu sagen: "Schatz, der Müll stinkt seit drei Tagen in der Küche. Es ist mir wichtig, dass alle hier mithelfen. Daher bitte ich Dich, die Tüte morgen früh mit hinunter zu nehmen." Und damit die Kinder wirklich davon profitieren, bitte unbedingt dabei lächeln - auch wenn es schwerfällt.

© SZ vom 12.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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