Streit um Stents:Angst vor der "Zeitbombe" im Herz

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Neuartige Stents für Herzpatienten hatten Euphorie ausgelöst - doch eine kritischen Studie verunsichert Patienten und entzweit Mediziner.

Werner Bartens

Der Brief der Patientin an den Chefarzt der Kardiologie war eindeutig: Sie schrieb ihm, dass sie den Eingriff verschieben wollte, "obwohl ich sehr, sehr großes Vertrauen in Ihre Behandlung habe!!".

Ärzte streiten um mit Medikamenten beschichtete Gefäßstützen. (Foto: Foto: AP)

Der Termin für die Dame war bereits ausgemacht. In ihren Herzkranzgefäßen sollte eine mit Medikamenten beschichtete Gefäßstütze, ein so genannter Stent, verankert werden, um die Adern offen zu halten.

Dabei wird ein kleines Metallgeflecht durch einen Schlauch von der Beckenschlagader über die Hauptschlagader bis zum Herz vorgeschoben und in verengte Kranzarterien gepresst.

Die Prozedur dauert eine Viertelstunde. Doch nachdem die Dame Berichte gelesen hatte, dass Patienten mit beschichteten Stents unter Thrombosen der Kranzgefäße gelitten hatten, bekam sie Zweifel.

"Vielleicht ist man in ein paar Monaten weiter, diese Zeit würde ich gern noch abwarten", schrieb sie dem Herzspezialisten. "Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen bis dahin nicht verloren gehe."

Ernüchterung nach der Euphorie

"Mehrere Dutzend Patienten haben bei uns Eingriffe abgesagt", sagt Ralph Haberl, Chef der Kardiologie am Klinikum München-Pasing. "Sie waren verunsichert."

Haberl, an desen Klinik jährlich 600 Stents implantiert werden, gibt die Erfahrung vieler Kardiologen wieder. Sie mussten in den vergangenen Monaten etliche Patienten überzeugen.

"Natürlich muss man auch seltene Nebenwirkungen beachten", sagt der Mediziner. "Aber arzneimittelbeschichtete Stents sind eine sehr gute Therapie - das Gefährliche ist jetzt, dass sich Patienten aus Angst überhaupt keine Stents mehr machen lassen."

Anlass für die Irritation unter Herz-Patienten sind Analysen aus der Schweiz, die auf dem Weltkongress der Kardiologen in Barcelona im September 2006 vorgestellt wurden.

Forscher aus Basel hatten Studien zu arzneibeschichteten Stents ausgewertet und berichtet, dass sie eine leicht erhöhte Sterblichkeit bei Patienten beobachten konnten, denen eine solche Gefäßstütze implantiert wurde.

Sie führten dies auf Thrombosen der Kranzgefäße zurück, die entstanden, weil beschichtete Stents langsamer als unbeschichtete in die Gefäßwand einheilten. Jeder Fremdkörper aber fördert die Bildung von Blutgerinnseln, wodurch die Arterie wieder verstopfen kann.

Seitdem gehen auch unter Ärzten die Ansichten über Stents auseinander. Die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte, hatte jüngst zu einer Anhörung über Vorteile und Risiken der beschichteten Stents geladen, bei der es offenbar hoch herging ( New England Journal of Medicine, Bd. 355, S. 1949, 2006 und Bd. 356, S. 325, 2007).

Kardiologen und Vertreter der Hersteller warfen sich gegenseitig vor, ihre Daten seien nicht aussagekräftig genug. Einigen Ärzten wurde unterstellt, dass sie die kritischen Ergebnisse nicht genügend zur Kenntnis nähmen, weil sie von der Industrie abhängig seien.

Der Kardiologe Jeffrey Brinker von der Johns Hopkins Universität in Baltimore sagte hingegen, er habe noch keine Argumente gehört, "die mein bisheriges Vorgehen ändern werden".

Dass die Debatte um die Stents so hitzig verläuft, hat mehrere Gründe. Einerseits ist viel Geld im Spiel. Die früher ausschließlich verwendeten reinen Metallstents kosten etwa 200 Euro, beschichtete Stents sind hingegen erst ab etwa 1000 Euro zu haben.

In den USA und der Schweiz sind fast 90 Prozent der Stents, die implantiert werden, beschichtet, in Deutschland liegt die Rate noch bei unter 50 Prozent.

Der Markt wächst unaufhörlich, mehr als sechs Millionen Menschen weltweit tragen bereits beschichtete Stents in ihrer Brust. Allein in Deutschland erleiden jährlich etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Viele dieser Infarkte ließen sich mit Stents verhindern oder deutlich herauszögern.

Diese positiven Aussichten sind ein weiterer Grund für die Kontroverse unter den Ärzten - das Deutsche Ärzteblatt sprach bereits von einer Art Glaubenskrieg.

Die Ernüchterung von Barcelona

Schließlich ist die Enttäuschung unter vielen Medizinern groß, dass die ehemals gefeierten beschichteten Stents jetzt in die Kritik geraten. Ihr Mechanismus überzeugte viele Ärzte: Bereits mit den erstmals 1987 eingesetzten reinen Metallstents konnten Herzkranzgefäße offengehalten werden.

In 25 bis 35 Prozent der Fälle setzte sich das Gefäß jedoch schnell wieder zu und musste erneut geweitet werden; manchmal waren drei oder vier solcher Eingriffe nötig.

Mit den beschichteten Stents, die 2003 auf den Markt kamen, wurde die Prognose für Patienten noch besser: Waren Medikamente auf die Gefäßstützen aufgebracht, machten weniger als zehn Prozent der Kranzarterien wieder dicht.

Doch dann kam die Ernüchterung von Barcelona. "Vorher wurden beschichtete Stents vielleicht zu enthusiastisch und unreflektiert gesehen", sagt Melchior Seyfarth, Leitender Oberarzt am Deutschen Herzzentrum München, wo etwa 4000 Stents im Jahr implantiert werden. "Jetzt erleben wir als überschießende Reaktion die Verdammnis dieser Stents."

Dazu besteht offenbar jedoch kein Anlass. Die FDA betont, dass die bisherige Datenlage weder mehr Todesfälle noch eine erhöhte Infarkthäufigkeit beweist. Die Schweizer Forscher hätten mit ihrer Kritik wichtige Anregungen gegeben und Hypothesen aufgestellt.

Trotz der Bedenken wegen möglicher Thrombosen gibt es nach aktuellen Empfehlungen der FDA eindeutige Vorteile der beschichteten Stents gegenüber unbeschichteten. Das gilt besonders, wenn die Gefäßstützen innerhalb der Zulassung angewendet werden, das heißt bei Patienten, bei denen nur ein Kranzgefäß verengt ist.

60 bis 75 Prozent der beschichteten Stents werden aber bei Eingriffen verwendet, für die sie nicht ausdrücklich zugelassen sind, etwa bei mehrfacher Verengung der Kranzgefäße. Hier ist nicht eindeutig erwiesen, dass beschichtete Stents überlegen sind. Ärzte behandeln Patienten nicht aus Fahrlässigkeit "off-label", sondern weil sie vermuten, dass sie ihnen so optimal helfen können.

"Das ist ja die Crux, weswegen wir die Probleme überhaupt diskutieren", sagt William Maisel, Kardiologe aus Boston.

Eine weitere wichtige Empfehlung der FDA und der kardiologischen Fachgesellschaften betrifft die Vorbeugung von Komplikationen:

Nachdem ein beschichteter Stent implantiert wurde, sollte wenigstens ein Jahr lang mit Hilfe von Medikamenten wie Clopidogrel und Acetylsalicylsäure die Blutgerinnung gehemmt werden, um Thrombosen zu verhindern. "Es ist gefährlich, wenn die Mittel von Hausärzten oder vor einem Eingriff abgesetzt werden", sagt Kardiologe Haberl.

Viele Patienten bleiben verunsichert. "Auch die, die bereits Stents haben, wollen wissen, wie es um sie steht", sagt Melchior Seyfarth. "Manche wollten sogar Stents wieder ausgebaut haben, was unmöglich ist."

So befürchten die einen, eine "Zeitbombe" im Herz zu tragen, wie es eine schwedische Zeitung formulierte. Andere vertrauen darauf, dass ihre Arterien mit beschichteten Stents länger frei bleiben.

Die Ungewissheit könnte sich auflösen, wenn Kardiologen vom Deutschen Herzzentrum München demnächst die Auswertung der Langzeitergebnisse von 5000 Patienten vorstellen.

"Diese Daten könnten einen wichtigen Beitrag für die Wahl der richtigen Stents leisten", sagt Seyfarth.

© SZ vom 25.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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