Streit über Martinsumzug:Nur meine liebe Laterne nicht

Die Geschichte des Heiligen Martin steht für Barmherzigkeit und Güte. Der Martinsumzug einer Kita im hessischen Bad Homburg steht unter Polizeischutz. Die Einrichtung wurde wild beschimpft, weil sie dem Martinsumzug seinen Namen geraubt haben soll.

Von Jens Schneider, Frankfurt

Morgen ist Martinstag, noch ist also etwas Zeit. Noch haben sich nicht alle üblichen Verdächtigen in der Angelegenheit zu Wort gemeldet. Da ist noch Raum für allerlei Talk-Shows, Worte zum Sonntag, die ganze Aufregungsmaschinerie, die sich mehr und mehr in Gang setzt und plötzlich allen möglichen Menschen ihre Leuchten auszupusten droht.

Am Donnerstagabend ist genau das passiert, und es war am Ende ein Segen, dass gar nichts passierte. In Bad Homburg bei Frankfurt machten sich die Kinder aus einer städtischen Kita namens "Leimenkaut" auf den Weg zu ihrem Laternenumzug, wie es sie jetzt viele gibt zur Erinnerung an den Heiligen Martin von Tours, jenen Bischof, der den Legenden zufolge ein besonders wohltätiger Mensch war.

Es ging am Donnerstag, so wird in Bad Homburg gesagt, fast zu wie in jedem Jahr. Die Kinder der Kita trugen ihre Laternen, und natürlich gab es ein Martinsfeuer. Genau so wird das von der Kita Leimenkraut genannt, Martinsfeuer. Freilich begleiteten einige Kameraleute und Fotografen den Umzug. Und er stand, was martialisch klingt, unter Polizeischutz.

Freilich hielten sich die Beamten der Stadtpolizei im Hintergrund. Früher kamen, weil die Kleinen halt eine Straße überqueren, zur Sicherheit zwei Beamte. Diesmal waren es wenige mehr, denn es hatte Gerüchte gegeben, der Umzug solle zum "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest" umgewandelt werden.

"Das sind menschenfeindliche Mails"

Gut 300 Mails hatten die Mitarbeiter der Kita in den vergangenen Tagen erreicht, manche enthielten so üble Drohungen, dass die Erzieher in Angst versetzt wurden und nun die Polizei gegen die Urheber ermittelt. "Das sind menschenfeindliche Mails, deren Inhalt ich gar nicht zitieren möchte", sagt Dieter Kraft, der für die Kita zuständige Sozialdezernent von Bad Homburg. Kraft ist zuletzt täglich in der Kita gewesen, die Erzieher seien arg erschrocken und fühlten sich hilflos gegenüber einer Entwicklung, die sie nicht verstehen.

Da dürften sie nicht allein sein. Die Kita aus dem bürgerlichen Viertel Ober-Eschbach geriet in einen Medien-Sturm, der wohl nichts über die Kita, aber viel über dieses Land sagt. Alles begann mit einem Artikel in der Lokalzeitung. Aber der allein hätte die Aufregung nie ausgelöst. Es brauchte die ganze Maschinerie: einen extremen Blog, der die Sache verbreitete, das Internet, gedruckte Medien und berufene Retter des Abendlandes.

St.Martin und die anderen Kulturen

Die Taunus-Zeitung hatte geschrieben, dass in der städtischen Kita der Martinstag seinen Namen verloren habe und aus Gründen politischer Korrektheit nun das "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest" gefeiert werde. Sie berichtete, ohne Namen zu nennen, von Eltern, die sich darüber beklagt hätten. Denen sei gesagt worden, dass man das Fest umbenannt habe, weil Kinder und Eltern aus anderen Kulturkreisen nicht diskriminiert werden sollten.

Eine Umbenennung hat es nie gegeben

Das sei falsch, sagt nun Stadtrat Kraft. Es sei weiter vom Martinstag die Rede, gerade auch in Einladungen und Papieren, etwa dem Antrag für den Laternen-Umzug gemäß der Straßenverkehrsordnung; stets sei vom Martinsumzug die Rede. Er habe die Unterlagen durchgesehen.

Ja, irgendwann, im Jahr 1998, sei wohl mal eine "Sonne-Mond-und-Sterne-Suppe" gekocht worden. Seither gebe es auch diesen Namen. Aber eine Umbenennung? "Wir müssten das doch wissen", sagten die Erzieher dazu, ratlos. Der Artikel wurde, so heißt es in Bad Homburg, zunächst in einem Blog kommentiert. Es folgten Droh-Mails, die Geschichte erreichte größere Medien, und nun hatten viele etwas zu sagen.

Dabei fand sich kaum jemand, den die Idee, die es in Bad Homburg sowieso nicht gab, begeisterte. Nur die Linken in Nordrhein-Westfalen äußerten Zustimmung. Seither bekommt ihr Sprecher Rüdiger Sagel so viel Aufmerksamkeit wie sonst wohl nie. Er stellte freilich schnell klar, dass er missverstanden worden sei, vielleicht gar absichtlich, und Martinsumzüge auch nicht abschaffen wolle. Ja, die Botschaft des Heiligen Martin, den Mantel zu teilen und den Armen zu helfen, sei sogar "zentraler Bestandteil unserer Politik": Kinder sollten weiterhin mit Martins-Laternen Freude haben.

St.Martin in aller Munde

Aber die Maschinerie läuft. "Total skandalös", fand zum Beispiel CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär die Sache in einem Interview. Auch sei es schlimm, "dass uns jetzt Muslime darauf hinweisen müssen, dass es vollkommen in Ordnung ist, St. Martin zu feiern". Der Zentralrat der Muslime hatte das Fest verteidigt und St. Martin als Vorbild gewürdigt. Aber auch aus der CDU Rheinland-Pfalz kam die Mahnung, dass der St. Martinstag in Deutschland tief verwurzelt sei.

Mehr als eine Woche liegt der längst dementierte Zeitungsbericht nun zurück, aber Kommentare gibt es immer mehr. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, fehlt nicht in der Reihe. Sie wird zitiert von den Ruhr Nachrichten, dass sie sich an die DDR erinnert fühlte, wo Engel zu "Jahresendzeitfiguren" erklärt worden seien. Und am Freitag setzte sich der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick per Twitter für St. Martin ein. Noch ist kein Ende in Sicht: Noch ein bis zum Tag der Tage, viel Raum, den beliebten Heiligen zu retten.

In Bad Homburg hoffen sie schon, dass der Spuk nun endlich vorbei ist. "Es war ein wunderschöner Martinsumzug, der bestbesuchte seit Jahren", sagt Dezernent Kraft. "Schön, all die Lieder wieder zu hören." Selbst die Lichter der Fernsehkameras störten nicht sehr. "Es waren halt diesmal", meint auch Andreas Möring, Sprecher der Stadt, "ein paar Laternen mehr."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: