Stilpapst Glenn O'Brien über Männer:"Es ist okay, ein Tier zu sein"

Glenn O'Brien ist der Philosoph unter den Stilberatern. In seiner Kolumne berät der Amerikaner Männer zum Thema Kleidung und Lifestyle. Nun hat er sein Wissen in einem Buch zusammengefasst.

Alexander Runte

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Glenn O’Brien

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Glenn O'Brien ist der Philosoph unter den Stilberatern. In seiner Kolumne berät der Amerikaner Männer zum Thema Kleidung und Lifestyle. Nun hat er sein Wissen in einem Buch zusammengefasst. Zehn Weisheiten über Männer.

New York im Mai. Es ist schwül. Glenn O'Brien hat zum Lunch das "Noho Star" an der Lafayette Street vorgeschlagen. Weißer Vollbart, die Haare wie Julius Cäsar. Krawatte über gelbem Button-Down-Hemd mit einem gekonnt-nachlässig geöffneten Knopf. Ein Jankerähnliches Sakko, das ihm der Designer Issey Miyake selbst geschenkt hat.

O'Brien ist eine Legende. In den 70er Jahren arbeitete er für Andy Warhols Interview Magazine und moderierte mit Debbie Harry eine Fernsehsendung; er war mit Basquiat befreundet, mit Grace Jones liiert, arbeitete als Creative Director bei Barneys und ist der "Style Guy" der amerikanischen GQ. Sein gesammeltes Wissen hat er nun in seinem neuen Buch "How To Be A Man" (Rizzoli) zusammengefasst. Und - wir haben es ja schon lange geahnt - es ist alles schwieriger geworden mit dem Mannsein.

Lesen Sie weiter: Zehn Weisheiten über Männer. In Bildern.

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I. Über Evolution

Mein Buch ist ein Philosophiebuch, aber heute kann man - zumindest in den USA - nicht mehr einfach so über Philosophie schreiben. Man muss sich tarnen. Obwohl viele Ratschläge aus älteren Büchern immer noch interessant sind, wollte ich kein Ratgeberbuch schreiben - Dress For Success oder so was. Viele Männer sind sich heute seltsam unsicher, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Im Grunde lässt sich sagen: Es geht um Evolution. Schritt für Schritt nach vorne. Oder nach hinten, je nach Situation. In Zeiten von Homer konnte ein Mann zum Beispiel alles über die Welt wissen. Heute weiß der Durchschnittsmann so wenig über die Welt, dass es nicht wichtig erscheint, was er denkt. Aber wollen wir uns damit abfinden?

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II. Über Tiere

Wir müssen heute immer richtig und effizient in der Welt funktionieren. Aber wir Männer sind Tiere. Und es ist okay, ein Tier zu sein. Wenn wir Jungs sind, werden wir dazu erzogen, Männer zu sein. Wenn wir aber Männer sind, müssen wir eher wieder lernen, auf das Tier in uns zu hören. Damit meine ich, dass wir in Umgebungen arbeiten, die einfach nicht gesund für uns sind. Wir müssen also herausfinden, wie wir wieder gesund werden. Vor kurzem sollte ich etwa an einer Pressereise teilnehmen, es ging um Golf in Marokko. Ich liebe Golf, musste aber absagen. Als Tier sollte man keine Flüge, die länger als zwei Stunden dauern, in der Economy Class verbringen müssen.

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III. Über Uniformität

Das Leben ist deswegen so interessant, weil so viele unterschiedliche Versionen möglich sind. Und das drücken wir auch mit unserer Kleidung aus. Wenn wir einen Smoking anziehen, sind wir jemand anderes. Allerdings scheinen die Leute immer weniger Lust darauf zu haben, mal jemand anderes zu sein. Das ist gerade bei Jungs ziemlich eintönig, die nie gelernt haben, sich angemessen anzuziehen. Mädchen lernen das, Jungs ziehen immer nur T-Shirt und Jeans an. Und wenn sie dann erwachsen sind, haben sie keine Ahnung, was sie als Männer anziehen sollen und laufen immer noch herum wie kleine Jungs. Es stimmt zwar, dass es in Städten wie New York und L.A. immer mehr gut angezogene junge Männer gibt, aber sie sehen alle gleich aus, weil sie dieselben Blogs lesen. Naja, vielleicht durchleben wir gerade einfach eine Talsohle in der individualistischen Entwicklung.

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IV. Über soziale Netzwerke

Zum einen möchte ich einfach nicht jeden Moment meines Lebens mit jedem Menschen teilen. Zum anderen glaube ich auch nicht, dass das ein Schlachtfeld ist, auf dem sich für einen Mann viel gewinnen lässt. Ein recht bekannter Freund von mir hat die maximale Anzahl von Freunden auf Facebook. Neulich hatte er auf dem Weg zum Flughafen einen Unfall mit seinem Mietwagen, und seine Version der Geschichte war, das Navigationsgerät sei schuld gewesen. Als ich später mal mit ihm Auto gefahren bin, habe ich aber gemerkt, woran es lag: Er schrieb Statusmeldungen auf Facebook, während er am Steuer saß.

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V. Über Muskeln

Die Griechen hatten ein feines Gespür für Proportionen und Funktionalität. Vor 20 Jahren gab es beim American Football vielleicht zwei Spieler, die mehr als 150 Kilo gewogen haben. Ich weiß nicht, wie viele es heutzutage sind, aber Steroide haben dazu beigetragen, dass wir Dinge machen, die wir besser sein lassen sollten. Wir sollten uns auch nicht gehen lassen. Die goldene Mitte ist vielleicht gar nicht so schlecht.

Mick Jagger wird 65

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VI. Über Femininität

Die weibliche Seite gehört den Frauen ja nicht exklusiv. Marc Bolan, Mick Jagger und David Bowie haben schließlich auch gezeigt, dass Männer mit viel Kontakt zu ihrer weiblichen Seite sogar immensen Erfolg bei Frauen haben können. Es ist gut, dass Männer sich heute stärker damit auseinandersetzen. Frauen beschäftigen sich übrigens auch mehr mit ihrer männlichen Seite, was fast noch besser ist, da ich glaube, dass Frauen viel besser dafür geeignet sind, Firmen zu führen als Männer. Sie gehen souveräner mit Stress um als Männer. Vielleicht bin ich ja ein Sexist. Aber ich glaube, dass Männer eher einen Herzinfarkt erleiden als Frauen; weil die eben letztlich doch die härteren sind.

(Aufnahme aus dem Jahr 1969 von Mick Jagger mit seiner damaligen Freundin, der britischen Sängerin und Schauspielerin Marianne Faithfull)

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VII. Über Alter und Tod

In unserer Zeit gehen wir geradezu fahrlässig mit dem Altern um. Wir tun so, als ob da nichts käme. Wir versuchen, so lange wie möglich so jung wie möglich zu sein. Dabei ist es viel besser, älter zu wirken als jünger. Zum Beispiel war das eines der großen Erfolgsgeheimnisse von Andy Warhol: Er setzte sich bereits mit 28 eine übertriebene, weiße Perücke auf. Er war sich nicht sicher, hatte aber Angst, dass ihm die Haare ausfallen könnten. Also probierte er es mit einer Perücke, noch bevor es so weit kommen konnte. Die musste natürlich so absurd aussehen; damit niemand auf den Gedanken käme, dass er freiwillig so eine Perücke tragen würde. So sah Andy relativ lange alterslos aus.

(Aufnahme von Andy Warhol aus dem Jahr 1971 in München)

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VIII. Über Sexualität

Früher gab es Codes; da war klar, wer schwul ist und wer nicht. Jetzt spielen viele junge Männer mit ihrer Sexualität und entscheiden sich nicht für irgendeine Seite - was wieder dem griechischen Ideal sehr nahe kommt. Wir dürfen nicht vergessen: Sexualität ist nur ein geringer Teil unserer Persönlichkeit. Meine Style-Guy-Kolumne hieß am Anfang "Your Gay Friend", weil meine Redakteure der Meinung waren, eine Modekolumne könnte nur von einem Schwulen glaubwürdig geschrieben werden. Wir fanden es wahnsinnig lustig, dass ich derjenige war, der von uns allen am meisten Ahnung von Mode hat, ich - der Hetero.

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IX. Über Schreiben

Es gefällt mir, dass junge Leute so viel schreiben. Heute hat jeder hat seinen eigenen Blog, in dem er seiner Kreativität freien Lauf lassen kann, ungefiltert, unkontrolliert. Das ist gut. Aber man sollte nicht vergessen, dass man auch auf so etwas wie Papier schreiben kann. Etwa Briefe. Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf die Idee kommen würde, die gesammelten E-Mails und Tweets von Glenn O'Brien zu veröffentlichen.

(Abbildung: handschriftlicher Brief der damals 17-jährigen Elizabeth Taylor aus dem Jahre 1949 an ihren ersten Verlobten William Pawley)

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X. Über Angst

Es gibt Dinge, um die ich einen Bogen mache. Ich habe zum Beispiel Angst vor Strahlen. Ich habe noch nie eine Mikrowelle besessen. Und beim 3D-Scanner am Flughafen raste ich aus. Die Dinger machen mir wirklich Angst. Ich hab' das auch schon mit meinen Freunden von der deutschen Band Kraftwerk diskutiert. Die waren immer sehr pro Technik und konnten sehr wütend werden, wenn man sie in Frage stellte. Aber manches sollten wir einfach lassen. Etwa Atomkraftwerke.

© SZ am Wochenende vom 25.06.2011/metz/vs
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