Süddeutsche Zeitung

Stillen in der Öffentlichkeit:Muttermilch ist ein Lebensmittel

Eine Mutter darf ihr Baby nicht im Bordrestaurant der Bahn stillen. Eine absurde Diskussion.

Von Barbara Vorsamer

Was macht eine stillende Mutter, wenn das Baby unterwegs Hunger hat? Sie begibt sich auf die Suche nach einem einigermaßen ruhigen, einigermaßen gemütlichen Ort. Oft heißt das: Ab ins nächste Café, Ecktisch suchen, Cappuccino bestellen und Kind unauffällig anlegen.

Das dachte sich auch Kathlin S., als sie mit ihrem drei Monate alten Baby im ICE von Hannover nach Frankfurt unterwegs war. Weil weder im Kleinkindabteil noch anderswo ausreichend Platz frei war, machte sie es sich im Bordbistro bequem, bestellte ein Getränk für sich selbst und wollte ihrer Tochter zu Trinken geben.

Durfte sie aber nicht. "Sofort stand eine Bistromitarbeiterin vor mir und sagte wörtlich: 'Das muss jetzt nicht auch noch sein.'", erzählt Kathlin S.. Als sie wissen wollte, warum nicht, hieß es, man habe hier nun mal mit Lebensmitteln zu tun.

Eine Bahnsprecherin bestätigt den Vorfall auf Anfrage, sagt aber, dass die Mitarbeiterin lediglich auf die Möglichkeit, im Kleinkindabteil zu stillen, hingewiesen habe und sich zuvor andere Gäste über die stillende Frau beschwert hätten. Kathlin S. glaubt das nicht. "Ich habe das Baby noch nicht mal angelegt, da stand die Mitarbeiterin schon vor mir", erzählt sie. In der kurzen Zeit könne niemand etwas gesagt haben, davon abgesehen sei das Bistro fast leer gewesen.

Nicht alles, was jemanden stört, ist verboten

Egal wie das Gespräch genau ablief - es ist problematisch. Wenn die Beschwerde anderer Gäste der Ausschlag war und das Stillen, wie die Bahnsprecherin betont, "im Bordrestaurant grundsätzlich erlaubt ist, wir sind ein sehr familienfreundliches Unternehmen", stellt sich die Frage: Seit wann reicht die Beschwerde von Mitreisenden dafür, jemanden aus dem Raum zu bitten? Darf man künftig die Schaffner bitten, den Sitznachbarn zu entfernen, weil der beim Trinken schlürft?

Zudem bestand nach Angaben von Kathlin S. gar keine Möglichkeit, das Baby an einem ruhigeren Ort zu füttern, der Zug erschien ihr voll und das Bistro als ruhigster Ort. Das könne nicht stimmen, sagt die Bahnsprecherin. In der zweiten Klasse seien gerade mal 300 von 500 Plätzen besetzt gewesen.

Kathlin S. hätte also mit zwei Taschen, dem Oberteil ihres Kinderwagens (mit dem Buggy durch den ICE fahren geht nicht) und einem Baby auf dem Arm durch den Zug balancieren und sich ein leereres Abteil suchen können. Wäre das praktikabel gewesen? Stillen ist nun mal nichts, was auf später verschoben werden kann, wenn die Situation gerade nicht passt. Ein Baby, das Hunger hat, weint. Meistens laut. Und je mehr Hunger es hat, desto lauter wird es. Babygeplärr wiederum finden die meisten Menschen auch ziemlich störend.

Besonders absurd ist es, ein Stillverbot mit "Wir haben hier mit Lebensmitteln zu tun" zu begründen. Muttermilch ist auch ein Lebensmittel, eine stillende Frau in einem Speiserestaurant ist hygienisch völlig unbedenklich. Doch immer wieder kommt es vor, dass Frauen das Stillen an öffentlichen Orten untersagt wird, zum Beispiel in einem Londoner Luxushotel, im Wal-Mart oder in der Hamburger Hochbahn. Die Begründung ist meistens, dass sich andere Gäste oder Verkehrsteilnehmer gestört fühlen oder fühlen könnten.

Was genau stört, wird selten explizit benannt, doch dass die entblößte Brust das Problem ist, liegt nahe. Den Busen in der Öffentlichkeit rauszuhängen, ist verpönt. Die Brustwarze gehört zu den wenigen Körperteilen, die auch in unserer freizügigen Gesellschaft ein verstecktes Dasein führen. Gleichzeitig springen einem pralle Dekolletés an jeder Bushaltestelle entgegen. Eine sexy Silhouette ist immer gerne gesehen, echtes Fleisch hingegen wirkt angeblich abstoßend. "Diese Doppelmoral stört mich sehr und deswegen erzähle ich von meiner Erfahrung", sagt Kathlin S.

Fast alle Mütter stillen schon aus einem eigenen Bedürfnis heraus so diskret, dass Passanten ein Um-die-Ecke-Fernrohr bräuchten, um ein bisschen Nippel zu erhaschen. Die meiste Zeit verdeckt der Babykopf alles Interessante. "Man hat gar nichts gesehen", berichtet auch Kathlin S. Sie habe sich ein Tuch über die Schulter gehängt und sei außerdem sehr geübt im Stillen.

Diskriminierung von Stillenden

Glücklicherweise, denn auf ihrer Suche nach einem einigermaßen akzeptablen Ort, um ihr Baby zu füttern, landete sie schließlich entnervt und den Tränen nahe auf dem Boden zwischen zwei Waggons. "Ich habe mich so diskriminiert gefühlt", sagt Kathlin S.

Einen angemessenen Umgang mit dem Thema hat übrigens vor einigen Monaten die Hamburger Hochbahn vorgeführt. Nachdem ein Fahrer eine stillende Mutter aus dem Bus geworfen hatte, stellte das Unternehmen sofort klar, dass Stillen in allen Fahrzeugen erlaubt sei, entschuldigte sich bei der betroffenen Frau - und stellte sich vor seinen Angestellten mit der Begründung, Fehler könnten nun mal passieren. Die Deutsche Bahn ist inzwischen auch der Meinung, die Situation hätte mit mehr Fingerspitzengefühl geregelt werden können.

Die Frage bleibt, warum stillende Frauen solchen Diskriminierungen immer wieder ausgesetzt werden. Vielleicht müssen sich alle mal in Erinnerung rufen, dass die Ernährung eines Säuglings die primäre Funktion der weiblichen Brust ist. Ihre Funktion als sexueller Reiz ist in der öffentlichen Wahrnehmung so dominant, dass Stillen als aggressiver, sexueller Akt empfunden wird, obwohl es etwas ganz harmloses ist: Füttern.

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