So ein Fahrrad setzt im Menschen ungeahnte Kräfte frei. Thomas Bernhard etwa war als Achtjähriger von seinem Fortbewegungsmittel derart berauscht, dass er von Traunstein nach Salzburg aufbrach - ohne Furcht und Zweifel.
Der Briefträger François wiederum verwandelte sich auf seinem Veloziped in Jacques Tatis Film "Jour de fête" in ein rasendes Arbeitstier. Und H.G. Wells soll sich seinen Roman "Der Krieg der Welten" in England erradelt haben. Die Geschichte flog ihm zu wie ein Blatt im Fahrtwind.
Wenn nun Umweltminister Norbert Röttgen nach 13-stündiger Beratungszeit das Kanzleramt in der Nacht zum Montag verlässt und seine Heimreise ausgerechnet auf einem Fahrrad antritt, so möchte er damit zeigen, dass die Zukunft der Menschheit allein in der erneuerbaren Energie liegen kann.
So ein Fahrrad ist eine geniale Erfindung. Dieses Verhältnis von Energie und Leistung! Der Energiewert eines Pfundes Fett - und schon bringt es ein durchschnittlicher Radler auf 300 Kilometer. Weiter als jedes andere Wesen, als jede Maschine.
Ein Leben in Balance - das ist es, worum es dem kraftvollen, furchtlosen Arbeitstier Röttgen in diesem Krieg der Welten geht. Es hilft eben nicht, wenn der Mensch sich immer nur Gedanken über das Lenken macht - nicht aber an das Treten denkt. Im ausgehenden Atomzeitalter sollte sich auch der letzte Depp darüber klar werden, dass er nicht nur Reiter ist, sondern auch Pferd.
Genau das sollte Röttgens kleine nächtliche Geste zeigen. Oder, um mit Christian Morgenstern zu sprechen: "Nun aber schnell! Der Herr ruft: Hopp! und sprengt davon im Hochgalopp."