Stilkritik: Lady Gaga:Rilkes größter Fan

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Lady Gaga ist für ihre skurrilen Auftritte bekannt. Doch nur die wenigsten wissen von ihrer Liebe zu Rilke. Eines seiner Zitate hat sich die Sängerin tätowieren lassen.

Anna-Lena Roth

Lady Gaga - sie wäre leicht einzuordnen in die Reihe der Britneys und Christinas des Showgeschäfts. Vor einem Jahr tauchte die platinblond perückte Sängerin das erste Mal in der Öffentlichkeit auf, "Poker Face" hieß das Lied, mit dem ihr dann der endgültige Durchbruch gelang. Darin singt sie: "Ich werde ihn heiß machen und ihm zeigen, was ich habe." Klischee erfüllt.

Ihre Bühnenshows sind genauso schrill inszeniert wie die selbst designten Outfits der Sängerin: bunt, außergewöhnlich, skandalträchtig. Mal erscheint Lady Gaga mit funkensprühendem Bustier auf der Bühne, dann mit Gasmaske zur Pressekonferenz, um sich wenige Wochen später in Kunstblut getränkt auf einer Awardshow-Bühne zu räkeln. Als ihre modischen Vorbilder nennt sie Peggy Bundy und Donatella Versace.

Erst auf den zweiten Blick unterscheidet sich die 23-jährige Künstlerin von ihren blonden Pop-Kolleginnen. Während die nämlich mit ihren Affären, Alkoholeskapaden und Allüren von sich reden machen, zitiert Lady Gaga mit Vorliebe Andy Warhol, denkt öffentlich darüber nach, ob ein bestimmter Rot-Ton "kommunistisch" sei und bekennt sich als Rilke-Fan. "Ich bete täglich. Ich lese jeden Tag Rilke. Und ich verehre Beethoven", sagte sie in einem Interview.

Ihre Vorliebe für den deutschsprachigen Lyriker ist mittlerweile für jederman ersichtlich - denn ihren linken Oberarm zieren nicht die sonst üblichen chinesischen Schriftzeichen oder hawaianischen Tribals, sondern ein Zitat von Rainer Maria Rilke: "Prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt, gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müßten, wenn es Ihnen versagt würde zu schreiben. Dieses vor allem: Fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: Muss ich schreiben?"

Eine monströse Vergangenheit

Ein Popstar, der sich für Lyrik interessiert? Es klingt weniger verwunderlich, wenn man weiß, dass Lady Gaga einst Stefani Joanna Angelina Germanotta war. Aufgewachsen in einer gutbürgerlichen New Yorker Familie lernte sie im Alter von vier Jahren Klavier spielen. Nach Gehör. Mit elf sollte sie auf die berühmte Juilliard School gehen und entschied sich dann doch für die katholische Privatschule Convent of the Sacred Heart. Dort ging übrigens auch Paris Hilton auf die Schule - aber hier hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.

Bevor Germanotta als Lady Gaga auszog, sämtliche Chartspitzen zu erklimmen, lernte sie an der Tisch School of Arts der New York University und beschäftigte sich dort unter anderem mit dem Philosoph Montaigne. Zu seinem Aufsatz "Über eine Missgeburt" schrieb die Musikstudentin 2004 ganz akademisch: "Dingen, die dem Gewöhnlichen zuwiderlaufen, sprechen wir automatisch etwas Monströses zu."

In Zeiten, in denen eine Amy Winehouse sich Comicfiguren unter die Haut stechen lässt und eine Heidi Klum den Namen des Liebsten auf dem Arm verewigt, läuft Lady Gagas deutsches Rilke-Zitat wahrhaft dem Gewöhnlichen zuwider. Das ist die Grundlage ihres Erfolges.

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