Stilkritik der Partei-Anhänger:Berliner Wahlvolk

Zwischen grauen Männern, bunten Brillen und verhackten Flaschenbieren: Jede Partei hat in Berlin die Wähler, die sie verdient - wie ein Blick auf die Gäste ihrer Wahlpartys verrät. Eine Typologie.

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Stilkritik der Partei-Anhänger:CDU

Abgeordnetenhauswahl Berlin - CDU

Quelle: dpa

Irgendwie passt der CDU-Wähler nicht nach Berlin. Er ist weder arm, noch sexy, sondern alt und gesetzt. Er trägt einen Sparkassen-Filialleiter-Anzug und eine Brille, die je nach Mut entweder nach Thilo Sarrazin oder bloß nach Christian Wulff aussieht. Die Parteizugehörigkeit ist seine letzte konservative Konstante in dieser Stadt, in der sein Audi A6 täglich in Flammen aufzugehen droht. "Damit sich was ändert" war der schwammige Slogan seiner Partei - das Outfit des CDU-Wählers wird das sicher nicht tun. Es sei denn, seine Frau käme auf die Idee, ihm einen neuen Anzug zu kaufen. Aber die denkt jetzt ein bisschen mehr an sich, seitdem die Kinder aus dem Haus sind, und hat sich gerade diesen flotten Pony ins blonde Haar schneiden lassen. Das ist zwar auch nicht sexy, aber sie hat ja auch nicht Wowereit gewählt. Judith Liere

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Stilkritik der Partei-Anhänger:SPD

Abgeordnetenhauswahl Berlin - SPD

Quelle: dpa

Es gibt ja Leute, die sagen, dass es nur noch eine öde, gesichtslose politische Mitte gibt. Als Beleg verweisen sie gerne auf jene jungen Lebenslauflangweiler, die mit akkurat zerstrubbeltem Haar zur Krawatte auf jeder Wahlparty mitklatschen könnten. Doch es gibt auch die anderen. Die "Originale". In der SPD sind es vor allem Frauen mittleren Alters, die dafür sorgen, dass ihre Partei erkennbar bleibt. Oberflächliche Beobachter könnten ihren Stil - ein Mix aus praktisch gemeinten Kleidern und Frisuren - als labberig oder geschlechtslos bezeichnen. Doch in Wahrheit gelingt den Damen ein echter Spagat: Obwohl sie vermutlich nicht mehr wissen, wie man eine Kuh melkt, und trotz ihres Alters noch keine Enkel hüten, personifizieren sie wie wenige den stolzen, den eigentlichen Titel ihrer Partei: alte Tante. Marc Felix Serrao

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Stilkritik der Partei-Anhänger:Bündnis 90/Die Grünen

Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Wahlparty Gruene

Quelle: dapd

Die Grünen brauchen eigentlich gar keine Slogans mehr, die Brille reicht völlig. Das Modell kennt man von früher, durch die Gläser blickten 1983 die Bundestagsabgeordneten der alten Parteien verächtlich auf die langhaarigen Neu-Kollegen von den Ökos. Heute bedienen sich die Grünen dieser ästhetischen Waffe der Gegner, nach dem Motto: Nehmt ihr uns den Atomausstieg ab, nehmen wir euch die Brille weg. Moden halt. So vermittelt die Brille dieser jungen Wahlpartygängerin nicht nur Zeitgeist und Belesenheit, sondern soll auch noch abgrenzend wirken wie Fischers Turnschuh - politischer Kulturkampf, auf dem Rücken der Wählernase ausgetragen. Die Grünen jedenfalls haben damit das stärkste Berlin-Ergebnis der Grünen-Geschichte eingefahren. Wo eine Brille ist, ist auch ein Weg. Martin Wittmann

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Stilkritik der Partei-Anhänger:FDP

Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Wahlparty FDP

Quelle: dapd

In Michael Endes Buch Momo stehlen graue Herren die Zeit, bis sie fast abgelaufen ist. Bei der Berliner FDP ist das anders. Hier sehen graue Herren und Damen die Zeit ihrer Partei ablaufen, und gern würden sie etwas davon stehlen und aufbewahren. Es ist ein Outfit, das sich auch für Veranstaltungen eignet, die Wahlabenden der Berliner FDP wesensmäßig verwandt sind, etwa unerfreuliche Testamentseröffnungen. Einst gab es hier ein liberales Großstadtbürgertum, in den Salons tanzten die Damen im kleinen Schwarzen Twist und die Herren im Smoking. Jene, die sich heute Liberale nennen, hätte man damals den Wagen holen geschickt. Dennoch haben die grauen Menschen einen Vorteil: Wenn sie vor Scham über 1,8 Prozent im Boden versinken, wird ihr Fehlen gar nicht recht auffallen. Joachim Käppner

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Stilkritik der Partei-Anhänger:Die Linke

Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Wahlparty Die Linke

Quelle: dapd

Spätestens seit Bürgermeister Walter Momper auf den Wiedervereinigungspartys den roten Schal zum Markenzeichen erhob, weiß jeder in Berlin: Wer hier links neben der SPD noch auffallen will, muss mindestens einen roten Pullover tragen. Nun reichen phänotypische Bekenntnisse allein selbst in Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr aus, um Politik zu machen. Also versuchte es die Linke mit der Kampagne "Mieter vor Wildwest schützen", die man zur Not wohl auch im roten Cowboyhut verteidigt hätte. Bei den ersten lahmen Prognosen auf der Wahlparty kam dann plötzlich raus: Mensch, wir waren ja seit Jahren selbst an der Regierung! Seitdem trägt man roten Pullover in Berlin nur mit runtergeklapptem Unterkiefer. Einem Ondit zufolge hat selbst die Delegation der kubanischen Botschaft die Stimmung auf der Party nicht mehr rausgerissen. Marten Rolff

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Stilkritik der Partei-Anhänger:Die Piraten

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Quelle: AFP

Jetzt ma keine Panik, Alter! Sieht so etwa jemand aus, vor dem Du Angst haben musst? Nö. Grundgesetz, Nachhaltigkeit, Datenschutz - das ist doch ganz in Deinem Sinne, oder? Krieg den Behörden, Friede den Bürgern, kapierste? Und jetzt sag doch mal: Ist nicht jeder von uns eine Raubkopie? Irgendwann irgendwohin gedownloaded? Jetzt komm mir doch nicht mit Patentrecht, Alter! Patente behindern die Entwicklung der Wissensgesellschaft. Und wir wollen den freien, digitalen Kommunikationsfluss, klar? Echte Demokratie. Keine Ausbeutung. Lustige Brillen. Abwaschbare Tastaturen. Freispruch für alle Ego-Shooter! Was? Kapierste alles nicht? Bei Kommunikationsfluss denkste an Blasenschwäche und bei Piraten an Karibik? Das ist wegen Deinem Alter, Alter. Komm, wir hacken uns ein Flaschenbier. Martin Zips

© SZ vom 20. September 2011/grc
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