Süddeutsche Zeitung

Stilkritik:Der Parlamenteint

Warum ist Sigmar Gabriel so braun gebrannt? War das Solarium zu scharf eingestellt oder ist das etwa eine subtile Form der Klimapolitik?

Eckhart Nickel

Wissen Sie, was das ist, ein Parlamenteint? Das schöne Wort bezeichnet die mannigfaltigen Bräunungsstufen der Sonnenbänke im Bundestag während des Sommerlochs. Durch besonders intensiven Parlamenteint fällt in jüngster Zeit Sigmar Gabriel auf, dessen Hautfarbton nun fast an Luis Trenkers famose Gletscherbräune vom Piz Palü heranreicht. Ein mutiger Schritt in einem meteorologisch eher durchwachsenen Sommer, der die alte Debatte um die adäquate Gesichtsfarbe endlich auf Wiedervorlage gebracht hat.

Wenn der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sich gegen zurückhaltende nordische Blässe mit so einem Braun-Out präsentiert, kann das kein Erkennungszeichen der Toskana-Fraktion mehr sein. Vielmehr könnte es sich um eine subtile Form von Politik handeln: Bildsprache am eigenen Leib, eine Gesichtsrede, die mehr sagt als tausend Worte.

Gabriel träte in dieser Lesart - optisch perfekt ausbalanciert zwischen den Skeptiker-Stirnfalten von Altkanzler Gerhard Schröder und Roger Moores beschwingter Frisur als James Bond - persönlich den Beweis dafür an: Es gibt ein Ozonloch, der Klimawandel findet statt, wir kriegen zu viel Sonne ab, selbst hier in Deutschland, lasst uns jetzt mal endlich was dagegen tun, Mensch!

Der einzige andere Grund für gebräunte Haut ist, dass sie so gut zu rosa Hemden und Krawatten passt. Ansonsten gilt unter gewieften so genannten Well-Agers nach wie vor: Noblässe oblige.

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