Süddeutsche Zeitung

Stilkritik: Marc Bator:Der Kolossal-Guckkasten

Respekt trägt jetzt schwarz: Nach den Stars ist nun auch "Tagesschau"-Sprecher Marc Bator mit Nerd-Brille im Bilde.

Hans-Jürgen Jakobs

Die Geschichte könnte so gelaufen sein, dass Scarlett Johansson einst begeistert von Woody Allen den Film Match Point machte und hernach fand, so eine große, altmodische Brille, wie sie der Regisseur trägt, sei eine wunderbare Erfindung. Jedenfalls setzte sich die Schauspielerin solch ein klobiges Gestell aus der Stilrichtung Retro-Chic auch privat auf, was Eingang in die Lifestyle-Illustrierten fand.

Diese Art Sehhilfe wurde als "Nerd-Brille'' zur Modehilfe, und wer einen solchen Kolossal-Guckkasten trägt, wird gewöhnlich mit mehr Respekt behandelt. Computer-Streber ("Nerds''), die durch Groß-Glas aufs flimmernde Leben schauen, sind kein Gegenbeispiel, schließlich hat es Bill Gates so nach ganz oben geschafft.

Wir wissen nicht, ob Marc Bator bunte Magazine liest oder ob er wirklich von Heino inspiriert wurde, wie er selbst sagt - jedenfalls hat der Tagesschau-Sprecher seit einigen Tagen ein auffälliges Modell auf der Nase sitzen. Im Gegensatz zur klassischen Woody-Allen-Brille ist sie bei ihm flacher angeordnet, was eine Parallel-Linie zu den Lächellippen des News-Manns zieht. Seine ganze Haltung demonstriert: Future now! Das schwere Schwarz der Brillenfassung kontrastiert aufs angenehmste mit dem tiefen Blau der Deko. Der frühere Kontaktlinsen-Träger präsentiert sich und diese Welt voller Ölpest, Rettungsschirme und Schiedsrichter-Pfeifen mit neuem Selbstbewusstsein, so wie es Trägern von Nerd-Brillen nun mal zusteht.

Am Donnerstag will Marc Bator nun mit diesem Nasen-Modell die Nachrichten um 20 Uhr ansagen - also zur heiligsten Zeit der Deutschen ins Wohnzimmer kommen. Bisher konnte man ihn so morgens bewundern, in den Frühnachrichten. Der Tag wurde dann schön.

Bators Stimme ähnelt der des Tagesschau-Urahns Karl-Heinz Köpcke, der ebenfalls zur Stilikone aufgestiegen war. Er war immer picobello gekleidet und so etwas wie der geborenen Krawattenmann. Einmal musste er nach einem Tauchunfall eine Schramme verdecken und trat mit ungewohntem Schnauzbart auf. Da hat ganz Deutschland lange diskutiert.

Der Trend zur Nerd-Brille hat noch keinen Bart, was auf Revolution im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schließen lässt.

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SZ vom 23.06.2010/che
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